# taz.de -- Dichterin Asma Kready über Damaskus: Ich schreibe über Damaskus w… | |
> Die Sehnsucht nach meiner Heimat Syrien drückte ich Ende 2022 in einem | |
> Gedicht aus. Jetzt, nach dem Sturz des Assad-Regimes, ist alles offen. | |
Bild: Eine Frau füttert in Damaskus im Februar Tauben | |
Wie geht es dir, Damaskus? | |
Nur wenige Stunden bin ich von dir entfernt, | |
aber so weit, dass die Hand meiner Mutter mir nicht mehr wie leichter Regen | |
über den Rücken streichen kann. | |
Die Distanz zwischen uns beträgt einen kurzen Anruf bei Freundinnen, | |
die ich früher gleich danach aufgesucht hätte. | |
Zwischen uns liegen Tränen aus Augen, | |
die um deine alten Gassen trauern. | |
Ich wusste gar nicht, wie sehr ich dich liebe! | |
Ohne die beschützenden Blicke meiner Mutter zu leben habe ich nicht gelernt | |
und ich weiß nicht mehr, wie der Tag meiner besten Freundin war. | |
Wie geht es dir, Damaskus? | |
Du harte, gute Stadt? | |
Ich möchte dir sagen, | |
dass Geschwister von mir noch unter deinen Wunden atmen | |
und dass ich ihnen eine andere Zukunft gewünscht hätte. | |
Sei gnädig mit allem, was ich hinterlassen habe. | |
Jetzt schon sage ich Guten Morgen | |
zu deinen Bäumen, | |
die alles stumm beobachten, | |
zu deinen Straßenhändlern, | |
zu meinen Nachbarinnen von damals, | |
die mich vom Fenster aus gegrüßt haben, | |
und zu jeder Erinnerung, die ich noch an dich habe. | |
Guten Morgen, wann immer jemand dich hasst | |
und dich gegen eine kalte Stadt eintauschen will. | |
Guten Morgen jedem, der es bisher nicht geschafft hat, | |
deinem Griff zu entfliehen. | |
Guten Morgen, Damaskus, | |
du geliebter Steinhaufen in meinem Herzen. | |
(Dieses Gedicht postete Asma Kready Ende 2022 auf Facebook. In der | |
deutschen Übersetzung von Günther Orth erschien es am 31. 10. 2024 auf | |
[1][weiterschreiben.jetzt]) | |
Als ich diese Worte schrieb, stand ich vor meinem eigenen Exil, als würde | |
ich in einen zerbrochenen Spiegel starren, der meinen Schmerz | |
widerspiegelt. Damaskus war nicht nur eine Stadt; es war eine innere | |
Stimme, eine Erinnerung, die trotz des Staubes vergangener Tage hell | |
leuchtete. Jede Ecke seiner Straßen, jeder aufrecht stehende Baum zeugte | |
von meiner Geschichte des Verlustes. | |
Damals wurde Entfernung nicht in Kilometern gemessen, sondern im Gewicht | |
jedes einzelnen vergehenden Augenblicks. Das Schreiben wurde zu meiner | |
einzigen Atempause. Ich schrieb über Damaskus, während ich versuchte, das | |
zurückzugewinnen, was die Zeit gestohlen hatte – das Gesicht meiner Mutter, | |
das Lächeln meiner Freunde, sogar die alltäglichen Gespräche, die einst wie | |
eine sanfte Brise vergingen. | |
Und zu dieser Zeit ähnelte Damaskus mir: Verwundet und verloren … und doch | |
träumte es, wie ich, vom Überleben. Mit jedem Wort suchte ich nach mir | |
selbst inmitten der Trümmer aus Angst und Schmerz. Ich ließ das Damaskus, | |
das ich einst kannte, wiederauferstehen und formte es nach meinen Wünschen | |
um – zu einer Stadt der Sicherheit, Liebe und des Lebens. | |
## Sturz | |
Die Jahre vergingen wie die Schritte eines Elefanten, der unsere Knochen | |
zermalmt – bis zum Tag der Flucht. | |
„Es ist jetzt 6.18 Uhr … Syrien ist ohne den Diktator.“ | |
Dieser Satz fühlte sich an wie ein unerreichbarer Traum. | |
Ein entscheidender Moment, der das Unvorstellbare plötzlich zum Greifen nah | |
werden ließ. Aber die Wahrheit war, dass der Sturz des Regimes nur der | |
Anfang einer neuen Geschichte war. Als hätten wir uns aus einer massiven | |
Tür gestürzt, die uns gefangen hielt – nur um uns dann vor einem Haus in | |
Trümmern wiederzufinden, das dringend wiederaufgebaut werden muss. | |
[2][Das war das Erbe, das uns der Tyrann hinterlassen hat]. Alte Wunden | |
blieben bestehen und neue kamen hinzu, als die Barrieren zusammenbrachen. | |
Syrer, die einst von einer Heimat geträumt hatten, sahen sich nun mit einer | |
schweren Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft konfrontiert. Freiheit | |
bedeutete nicht das Ende des Leidens, sondern war der Beginn eines | |
komplexen Kapitels, das uns an die Herausforderungen erinnerte, die vor uns | |
lagen – nationale Versöhnung, Übergangsjustiz und der Wiederaufbau des | |
Vertrauens unter den Menschen einer zerrütteten Nation. | |
## Widerstand | |
Das Schreiben war nicht nur eine Möglichkeit, mich mit meinem persönlichen | |
Exil auseinanderzusetzen, sondern auch ein Mittel, um die Geschichten derer | |
zu teilen, die ich liebte und mit denen ich den Schmerz teilte. | |
Eine enge Freundin von mir verlor Ende 2012 ihren Vater. Sie und ihre | |
Familie baten um jedes Wort, jeden Hinweis auf sein Schicksal. Sie suchten | |
in Gefangenenlisten und unter den namenlosen Toten nach ihm. Aber Schweigen | |
war die einzige konstante Antwort – ein unerträgliches Schweigen, das auf | |
ihrer Brust lastete und jeden Tag in ein Leben in der Schwebe verwandelte. | |
Und meine Brüder, die das Land verlassen haben, auf der Flucht vor der | |
Brutalität der Unterdrückung und der Angst, dass ihre Hände zu Werkzeugen | |
werden, mit denen unschuldiges Blut vergossen wird. Sie trugen ihre kleinen | |
Koffer und zerbrechlichen Träume und zogen das Unbekannte dem Leben als | |
Teil der von Assad aufgezwungenen Tötungsmaschine vor. | |
Jede Nachricht, die ich von ihnen erhalte, trägt den Schmerz des Exils in | |
sich, die Angst, ihre Heimat nie wiederzusehen. Aber am meisten schmerzt | |
mich die Szene, in der eine Mutter sich nach dem Sturz des Regimes eine | |
Schlinge um den Hals legt. Dieselbe Schlinge, die drei ihrer Söhne das | |
Leben gekostet hatte. Sie haben ihr keine Spuren hinterlassen, aber diese | |
Schlinge. Nachdem sie jahrelang nach ihnen gesucht und jede Zelle, jedes | |
Gefangenenlager inspiziert hatten – nur um die Wahrheit in einer Schlinge | |
zu finden, die für sich selbst spricht. | |
Diese Geschichten waren Teil meiner Welt, als ich schrieb, und der Schmerz | |
in ihnen war die Quelle meines persönlichen Kampfes mit der Hoffnung. Jede | |
einzelne fügte meinem Verständnis dessen, was in Syrien geschah, eine neue | |
Ebene hinzu. | |
Jetzt, da sich die Stürme etwas gelegt haben, ist mir klar geworden, dass | |
Schreiben nicht nur ein Akt der Aufzeichnung von Ereignissen oder ein | |
Versuch der Flucht ist. | |
Es ist ein Akt des Widerstands. | |
Worte sind meine einzige Waffe gegen das überwältigende Gefühl der | |
Hilflosigkeit. Ich schreibe über Damaskus wie jemand, der im Dunkeln ein | |
Bild malt und versucht, die dunklen Ecken mit Liebe und Hoffnung zu | |
erhellen. In dem Damaskus, über das ich heute schreibe, stehen die Bäume | |
noch, die Fenster warten noch darauf, geöffnet zu werden, und Mütter suchen | |
noch immer nach ihren Söhnen – denen, die Assad in seinen Gefängnissen | |
begraben hat. | |
## Hoffnungen | |
Ich träume von einem Syrien, in dem Freiheit nicht nur ein Wort in Reden | |
ist, sondern ein Grundrecht. Ein Syrien, das Geschichten der Liebe und | |
nicht der Angst verdient hat. Ich träume von Straßen, die nicht mit | |
Panzern, sondern mit Liedern und herzlichen Gesprächen gefüllt sind. Ein | |
Zuhause, in dem Asphalt ein Weg zum Leben ist und [3][kein Versteck für | |
weitere Gefängnisse]. | |
Der Weg, der vor uns liegt, ist lang, aber ich glaube, dass die Syrer in | |
der Lage sind, ihre neue Geschichte zu schreiben – eine Geschichte, die | |
mit dem Wiederaufbau des Menschen beginnt. Ein Mensch, der von Tyrannei | |
niedergeschlagen wurde, braucht Zeit und mehr Mut als im Krieg, um sein | |
Vertrauen in sich selbst und sein Land wiederherzustellen – ohne zur Geburt | |
eines neuen Tyrannen beizutragen. Die Forderungen nach einer | |
Zivilgesellschaft, sozialer Gerechtigkeit und Übergangsjustiz sind nicht | |
nur eine Reihe von Slogans, die wir skandieren. | |
Dies sind grundlegende Bedingungen für eine Heimat, die wirklich allen | |
gehört. In das Gefüge dieser Nation ist ein tiefer Schmerz eingebettet. Er | |
kann nicht ohne echte Gerechtigkeit überwunden werden – eine Gerechtigkeit, | |
die denjenigen ihre Rechte zurückgibt, die sie verloren haben, und die | |
kalten Akten öffnet. | |
Die vor uns liegende Aufgabe wird nicht einfach sein. Aber wir haben es | |
verdient zu träumen, zu arbeiten und vor allem zu leben. | |
Übersetzung aus dem Arabischen: Shams Zarzour und Lisa Schneider | |
12 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://weiterschreiben.jetzt/texte/wolken-die-mich-fuer-einen-baum-halten-… | |
[2] /Syrien-Ausstellung-in-Koeln/!5869223 | |
[3] /Mena-Prison-Forum-im-Berliner-HAU/!6053702 | |
## AUTOREN | |
Asma Kready | |
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