# taz.de -- Zum Tod Khaled Khalifas: Chronist des modernen Syriens | |
> Khalifas Bücher wurden in 20 Sprachen übersetzt, sind aber in Syrien | |
> verboten. Nun ist der preisgekrönte Autor mit 59 Jahren gestorben. | |
Bild: Khaled Khalifa, hier bei einer Lesung in Leipzig 2018 | |
Khaled Khalifa hasste das syrische Regime, aber dem Land blieb er sein | |
Leben lang treu. Der dissidente Schriftsteller lebte nicht im Exil, sondern | |
in Damaskus, in einer Art innerem Heimat-Exil. Mit 59 Jahren ist er in der | |
Nacht auf den 1. Oktober an einem Herzinfarkt gestorben. In Damaskus, einer | |
der wenigen Hauptstädte, in denen seine Bücher nie offiziell zum Kauf | |
auslagen. | |
Khaled Khalifa kam 1964 in Maryamin, einem Dorf in der Nähe von Aleppo, zur | |
Welt. Er studierte zunächst Jura. Mit einer Gruppe von Literaten gründete | |
er die Literaturzeitschrift ALEPH. Einige Monate später verbot die | |
staatliche Zensurbehörde das Magazin. Eine Erfahrung, die sich wiederholte: | |
Alle seine Bücher sind in Syrien verboten. | |
Bekannt wurde Khalifa durch seine Drehbücher für syrische TV-Serien, die | |
ihm den Lebensunterhalt sicherten. 2006 erschien der erste von seinen | |
insgesamt sechs Romanen, „Lob des Hasses“. Darin entflieht eine junge | |
Syrerin aus Aleppo ihrem abgeschotteten Leben und schließt sich einer | |
dschihadistischen Organisation an. Das Buch wurde in sechs Sprachen | |
übersetzt. | |
Bereits vor dem Krieg bearbeitete Khalifa in seinen Serien Tabuthemen, | |
darunter „Sirat al-Jalali“ („Porträt der Familie Jalali“, 2000) und �… | |
al-Khawf“ („Zeit der Angst“, 2007) über die Muslimbruderschaft in Syrien | |
und das Massaker von Hama 1982, bei dem mindestens 10.000 Menschen starben. | |
## Große Brutalität | |
Seine Bücher ließ er im Libanon verlegen, sie wurden in 20 Sprachen | |
übersetzt, vier Bücher auch auf Deutsch. Khalifa gilt als einer der | |
profiliertesten Chronist*innen Syriens. Seine Romane handeln von | |
Fundamentalisten, berichten von Massakern, Vertreibungen und Massengräbern. | |
Der Brutalität stellte er eine Prise Komik und literarische Sinnlichkeit | |
entgegen. | |
Bombenanschläge wurden Teil seines alltäglichen Lebens. Er fühlte sich | |
allein, seine Freund*innen emigrierten oder starben. Doch Khalifa blieb, | |
umgeben von leeren Straßen und dunklen Herzen. Er schrieb daheim oder in | |
Straßencafés. [1][„Wir haben uns daran gewöhnt, mit dem zu leben, was noch | |
da ist“, schrieb Khalifa 2014 in der taz.] 2012, bei der Beerdigung eines | |
ermordeten Musikers, attackierten ihn Assad-nahe Schläger und brachen ihm | |
die linke Hand. Khalifa reagierte trotzig und sagte öffentlich, er schreibe | |
ohnehin mit der rechten Hand. | |
Im Schreiben verhandelte er Einsamkeit und die Gräueltaten des Krieges. Der | |
2013 erschienene Roman „Keine Messer in den Küchen dieser Stadt“ handelt | |
vom Leben unter der Herrschaft der Baath-Partei von Machthaber Baschar | |
al-Assad. | |
Mit dem Erfolg kamen auch die Einladungen zu Vorlesungen und Diskussionen | |
in westliche Städte, Khalifa nahm sie gerne an, kehrte jedoch immer wieder | |
nach Syrien zurück. Im Jahr 2016 brach er sein Studium in Harvard ab, weil | |
er die lange Abwesenheit von seinem Land nicht ertragen konnte. Er ging | |
zurück, im selben Jahr erschien [2][„Der Tod ist ein mühseliges Geschäft�… | |
Ein Buch mit dunkler Situationskomik über drei Geschwister, die sich | |
aufmachen, um den Leichnam ihres Vaters in seinem Heimatdorf zu begraben. | |
Der Roman erzählt von Straßensperren und Opfern des Krieges im Hier und | |
Jetzt. | |
## Starke Stimme des Widerstands | |
Fröhlich war Khalifa selten zumute. „Wie kann man fröhliche Ideen | |
aufschreiben, wenn die Stadt, durch die man geht, eine dunkle Stadt ist, | |
eine Stadt, die überfallen wurde? Eine Stadt, die brennt und bombardiert | |
wird“, sagte er in einer Kurzdokumentation über sein Leben im inneren Exil | |
aus dem Jahr 2019. Trotz allem habe er noch Hoffnung. Die Frage, warum er | |
in Syrien bliebe, beantwortete er immer anders. „Ich bleibe, weil dies mein | |
Land ist“, sagte er in einem Interview im Jahr 2019. „Ich bin hier geboren, | |
ich lebe hier und ich will hier sterben!“ | |
In Damaskus und nicht nur in der arabischen Welt fehlt nun eine starke | |
Stimme des Widerstands. „Oh Tod. Warum hast du mich tausend Mal verschont“, | |
schreibt Khalifa in der Kurzdokumentation „Exiled at home“. In der Nacht | |
auf den 1. Oktober versagte sein Herz. Nun wird er in der Stadt begraben, | |
in der er sterben wollte und in der auch seine Mutter begraben liegt. | |
2 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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