# taz.de -- Roman über Roadtrip in Syrien: Der tote Vater fährt mit | |
> Khaled Khalifas „Der Tod ist ein mühseliges Geschäft“ ist eine Groteske | |
> über den Ausnahmezustand in Syrien. Es macht Hoffnung auf eine bessere | |
> Zukunft. | |
Bild: Das Leben ist hart in Syrien, doch ein bisschen Galgenhumor kann nicht sc… | |
Kann man in Syrien sein und dort derzeit Romane schreiben? Man hält dies in | |
dem vom Bürgerkrieg verwüsteten Land für unwahrscheinlich. Und dennoch, | |
genau dies tut Khaled Khalifa. Der 1964 geborene Autor lebt in Damaskus. | |
Und schreibt weiter Texte und Bücher. | |
Der Rowohlt Verlag hat nun Khalifas neuen Roman, „Der Tod ist ein | |
mühseliges Geschäft“, ins Deutsche übertragen lassen. Khalifa ist mit | |
dieser schmalen Novelle ein außergewöhnlicher Roadtrip gelungen. | |
Erstaunlich ist seine mit Galgenhumor und großem literarischem Raffinement | |
verfasste Groteske in jederlei Hinsicht. Erstaunlich ist, wie tiefgründig | |
Khalifa von der syrischen Realität berichtet, ohne dabei larmoyant oder | |
bitter zu wirken. Frech gegenüber der Obrigkeit, aber zugleich ohne | |
Illusionen über deren Gegner. Verblüffend ist auch, mit welch einfacher | |
literarischer Handlungskonstruktion Khalifa komplex und über mehrere Zeit- | |
und Raumebenen erzählt. | |
Die drei Geschwister Fâtima, Hussain und Bulbul machen sich im Kleinbus auf | |
die Reise, um den Leichnam ihres Vaters in seinem Heimatort zu beerdigen. | |
Es war dessen letzter Wunsch. Auf dem Weg nach Anabija kommen sie an den | |
Gräbern und Checkpoints der verschiedenen Kriegsparteien vorbei. Sie | |
durchqueren die surreal anmutende Trümmerlandschaft der syrischen | |
Gegenwart. Gefechtslärm statt Vogelgezwitscher. „Nirgendwo waren die Spuren | |
der Kämpfe zu übersehen: zerstörte Panzer, ausgebrannte Autos, getrocknetes | |
Blut. Die Häuser in Straßennähe lagen allesamt in Trümmern und waren | |
verlassen. In der Ferne sah man ausgebrannte Gebäude.“ | |
## Überall neben dem Tod ist auch Leben | |
Und dennoch ist überall neben dem Tod auch Leben. Es wird um | |
Passagierscheine gefeilscht, Schlafplätze werden für die Nacht gesucht. | |
Ganz Syrien ist in Bewegung. In den Rückblenden und kunstvoll arrangierten | |
Betrachtungen seiner Protagonisten erinnert Khalifa auch an den syrischen | |
Alltag in der Zeit vor dem Bürgerkrieg. An die Streite in den Familien oder | |
mit Nachbarn, die der großen kollektiven Tragödie vorausgingen. | |
Die Reise der Geschwister nach Anabija wird so auch zu einer in die | |
familiäre Vergangenheit. Zu den Geheimnissen, den unerfüllten Wünschen und | |
Beziehungen, den gescheiterten Träumen, die jeder Mensch in sich trägt, sei | |
er nun Zivilist oder Kämpfer. | |
Khalifas Roman erinnert so daran, dass der Mensch mehr sein sollte als nur | |
das Etikett einer Weltanschauung, mehr als ein Auftständischer, | |
Assad-Anhänger, Christ, Schiit oder Sunnit. | |
Die Überlebenden der syrischen Odyssee sammeln sich an den Rändern der | |
Kämpfe in provisorischen Unterkünften, schlafen zu vielen in notdürftigen | |
Quartieren und erzählen sich nachts abgeklärt ihre Geschichten. | |
## Der Tote entwickelt ein Eigenleben | |
„Erklärt werden musste nichts“, lässt Khalifa eine seiner Figuren | |
betrachtend kommentieren. Die Zustände erklären vieles von selbst, es ist | |
nicht die Zeit der unnötigen Worte. Nur der Tote im Auto auf dem Weg nach | |
Anabija wirft immer drängendere Fragen auf, entwickelt imaginär ein | |
regelrechtes Eigenleben. War der tote Vater ein Rebell, ein Held oder in | |
Wirklichkeit vor allem ein sich selbst und seine Umgebung täuschender | |
Egomane? Und wer waren und sind die mitreisenden Geschwister? | |
Die Reise von Checkpoint zu Checkpoint mit dem Leichnam durch ein | |
verheertes Syrien ist das allegorische Bild einer Gesellschaft, die ihre | |
Leichen nicht loswird. | |
Und deren Krieg nicht erst mit dem jetzigen Bürgerkrieg begann. Als ein | |
großer Literat beschreibt Khaled Khalifa den permanenten Ausnahmezustand | |
Syriens. | |
Und Individuen, die sich mit diesem nicht gemein machen wollen, die | |
parteiisch sind, aber sich ihre humanistische Würde bewahren. Khalifas | |
Roman erzählt eine vielschichtigere Geschichte, als es die Berichte über | |
zumeist anonyme und abstrakte Kampfhandlungen vermögen. „Der Tod ist ein | |
mühseliges Geschäft“ bringt Syrien näher an uns heran. Das schmale Buch | |
wäre auch eine ideale Vorlage für die Inszenierung auf einer der | |
zeitgenössischen Bühnen. | |
Es ist Dokument eines Infernos, widersetzt sich aber zugleich mit den | |
Mitteln der Literatur den tagtäglichen Zumutungen. Khalifas Haltung macht | |
Hoffnung auf ein anderes, fast unsichtbares, aber dennoch existierendes | |
Syrien, dessen Zeit erst noch kommen wird. | |
23 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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