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# taz.de -- Kolumne Hier und Dort: Revolution. Liebe. Krieg. Freiheit
> Unsere Autorin wurde in Syrien geboren und sozialisiert. Nun hatte sie
> Geburtstag und glaubt, dass ein Mensch mit 35 Jahren vollständig sein
> kann.
Bild: Das Gedächtnis der Revolution liegt irgendwo zwischen hier und dort: ein…
Mein Gedächtnis ist fünfunddreißig Jahre alt geworden. Vier Jahre davon
verbrachte es außerhalb Syriens; davon drei Jahre in Deutschland, wo es
heute noch ist.
Mein Gedächtnis sieht aus, als hätte es Wurzeln in der Ewigkeit geschlagen.
Die Ereignisse des einunddreißigjährigen Syrien-Lebens sind immens viele.
Um in Deutschland ähnliche Erfahrungen zu machen wie in Syrien, würde ich
noch viele Jahrzehnte benötigen.
Vielleicht übertreibe ich etwas, aber für mich ist die nicht allzu weit
davon entfernte Realität: In Syrien wurde ich geboren, sozialisiert; dort
war es, wo sich meine Persönlichkeit bildete und ich begann, produktiv zu
arbeiten. Ich glaube daran, dass der Mensch bereits mit fünfunddreißig
Jahren vollständig sein kann. Alles, was danach kommt, kann als eine Reihe
kosmetischer Maßnahmen gelten. Am Kern der Persönlichkeit ändern solche
Dinge nicht mehr viel. Wobei ich im Laufe der Jahre sicherlich feststellen
werde, dass ich etwas von dem, was meine Persönlichkeit einst bestimmte,
ablegen muss.
## Die Verantwortung einer Generation
Ich gehöre einer Generation in Syrien an, die ihre eigene soziale und
politische Revolution vorantreiben muss. Eine Generation, die mit der
rückständigen Tradition brechen muss. Wir müssen mit dem Erbe der Diktatur
Schluss machen. Mit anderen Worten: Meine Generation muss ihre
Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen wahrnehmen. Wir müssen
lernen, dass der Weg zur Demokratie schwierig und lang ist.
Zwischen hier und dort gibt es ein Gedächtnis der Revolution, der Liebe und
des Krieges. Das dürfte ein Titel für einen Roman werden.
Die Revolution ist die Freiheit, in deren Genuss ich erst kam, als ich mit
Tausenden Menschen auf die Straßen von Damaskus ging und rief: „Das Volk
will …!“ Ja, wir sind das Volk, und wir wollen etwas. Aber was die Despoten
und die ausländischen Mächte wollen, ist etwas anderes oder – besser gesagt
– sind andere Dinge. Letztere wollten noch nie das, was das Volk anstrebte.
Uns blieb und bleibt nichts anderes, als weiter unsere Forderung zu
erheben.
## Was Liebe ist
Die Liebe ist der Augenblick, in dem du den Menschen findest, der dich vor
der Kugel des Scharfschützen bewahrt, damit du weiterlebst, während er
fällt. Das prägt dein Gedächtnis für immer. Liebe ist, wenn jemand zu dir
steht und dich nicht verrät, auch wenn diese aufrechte Haltung ins
Gefängnis führt. Liebe ist, wenn jemand mehr als fünf Jahre lang die
Schläge des Folterknechts für dich einsteckt, nur damit du in Freiheit
lebst.
Krieg ist, wenn sich die Schurken dieser Erde mit dem Despoten gegen dich
vereinigen. So können sie kollektiv deine Revolution und deine Liebe
vergewaltigen und den Volkswillen in niederträchtige Ziele umwandeln.
All dies und mehr war dort. Hier schreibe ich seit einem Jahr diese
Kolumne. Ich hoffe, es ist mir gelungen, etwas von dem, was dort passierte,
zu beschreiben. Sollte ich eines Tages nach Syrien zurückkehren, würde ich
in einer der syrischen Zeitungen für die, die dort geblieben sind, eine
Kolumne mit dem Titel „Hier und dort“ schreiben.
20 Mar 2017
## AUTOREN
Kefah Ali Deeb
## TAGS
Hier und Dort
Revolution
Schwerpunkt Syrien
Exil
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Syrien Bürgerkrieg
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