# taz.de -- Schriftstellerin über ihre Heimat Syrien: „Ich habe das selbst s… | |
> Dima Wannous über ihren Roman „Die Verängstigten“ und ein psychotisches | |
> Zwangsregime, das sich nur dank Russen und Iranern an der Macht halten | |
> kann. | |
Bild: Dima Wannous im September 2018 in Berlin | |
Ein Hotel nahe dem Ku’damm in Berlin. Dima Wannous spricht fließend | |
Englisch, gibt das Interview aber doch lieber auf Arabisch. Es übersetzt | |
also Ibrahim Mahfouz. Wannous ist Gast des Internationalen Literaturfests, | |
wo sie in der ersten Septemberhälfte dreimal auftrat. | |
taz am wochenende: Frau Wannous, Sie leben heute im Exil. Wie würden Sie | |
Ihr Leben in Syrien vor 2011, dem Beginn der zunächst [1][friedlichen | |
Massenproteste gegen das Assad-Regime], beschreiben? | |
Dima Wannous: Meine Kindheit in Syrien in den 1980er und 90er Jahren war | |
sehr deprimierend. Das realisierte ich aber erst rückblickend, als ich das | |
Land 2011 verlassen hatte. Ich war depressiv und bemerkte es nicht, da ich | |
kein anderes Leben kannte. Mit der Distanz und dem Abstand von drei, vier | |
Jahren merkte ich im Exil, dass Syrien der Grund für meine Depression war. | |
Grund war die allgegenwärtige Repression und Unterdrückung der Menschen | |
durch das Regime. Nicht einmal im Theater hattest du dich getraut, Gefühle | |
zu zeigen und laut zu klatschen. Oder die Architektur: In Syrien waren die | |
Straßenzüge eigentlich schön, bevor Assad und seine Baath-Partei vieles | |
abreißen ließen, um ihren tristen Betonstil durchzusetzen. | |
Es heißt, das Bildungsniveau in Syrien sei sehr hoch gewesen? | |
Das Niveau war vor 2011 erschreckend schlecht und ist jetzt natürlich noch | |
viel schlechter geworden. Aus ideologischen Gründen wird das Arabische | |
überbewertet. Eine große Abneigung pflegt Assads Baath-Partei gegen das | |
Französische, entsprechend sieht der Unterricht aus. Die syrische | |
Bevölkerung hat aber trotz des miserablen Bildungssystems selbstständig die | |
Weltliteratur und vieles andere für sich entdeckt. | |
Sie emigrierten 2011 zunächst in den Libanon. Warum später weiter nach | |
London? | |
Aus persönlichen Gründen. Mein Ex-Mann wohnt in London. Mein Sohn kam in | |
ein Alter, in dem er die Nähe seines Vaters brauchte. Nach sechs Jahren in | |
Beirut war vieles untragbar geworden, vor allem die Sicherheitslage und | |
die Präsenz der mit Assad und Iran verbündeten libanesischen Hisbollah. | |
In Ihrem Roman sprechen Sie von der „Revolution“ in Syrien. Warum vermeiden | |
Sie das Wort „Bürgerkrieg“? | |
Weil es kein Bürgerkrieg ist. Syrien ist von Russland und dem Iran besetzt, | |
die gemeinsam mit dem Regime die syrische Bevölkerung bekriegen. Sie töten | |
die Menschen mit biologischen Waffen, Fassbomben und ihren Raketen. | |
Hunderttausende haben sie so ermordet, Millionen vertrieben. Das ist kein | |
Bürgerkrieg, sondern ein Krieg gegen das Volk. | |
Aber die Aufständischen bekämpfen sich teilweise untereinander und begehen | |
ebenfalls Kriegsverbrechen. | |
Ja, aber die Hauptschuld liegt beim Regime. Sie haben damit angefangen, die | |
eigene Bevölkerung umzubringen. Die anderen Gruppen sind entstanden, um | |
ihre Regionen und ihre Leute gegen das Regime zu verteidigen. Ich | |
unterstütze die islamistischen Gruppen nicht, ich bin Atheistin. Ich | |
verstehe aber, warum sie gegen das Regime kämpfen. | |
In „Die Verängstigen“ spielen vor allem Frauenfiguren eine große Rolle. V… | |
den Männern heißt es oft, sie seien tot, verschwunden oder selbst Mörder | |
geworden …? | |
Während der Revolution haben Frauen oft viel mehr Courage gezeigt als | |
Männer, gerade zu Beginn der Revolution, bei den vielen zivilen | |
Demonstrationen. Später stellten sich die Frauen immer vorne an die | |
Fenster, wenn die Polizei kam und die Männer suchte, die sich drinnen | |
versteckten. Ich habe das selbst so erlebt. Ich schreibe von der syrischen | |
Realität. Und: Ich bin eine Frau, eine Autorin. Die Arbeit an diesem Roman | |
war wie eine Art Therapie für mich. | |
Würden Sie das Buch als einen feministischen Roman bezeichnen? | |
Nein. Es ist zuallererst ein Roman über die Angst. | |
Die Angst oder vielmehr „die Angst vor der Angst“ ist das durchgehende | |
Motiv Ihres Romans. Ihre beiden Figuren, Sulaima und Nassim, lernen sich | |
im Wartezimmer eines Psychologen kennen. Inwieweit ist dies symbolhaft für | |
die syrische Gesellschaft? | |
Zwischen dem Putsch von Hafis al-Assad und der Baath-Partei und dem Beginn | |
der Proteste 2011 liegen vierzig Jahre, in denen wir Syrer nicht frei | |
leben konnten. 23 Millionen Syrer hatten beständig Angst vor dem Regime, | |
aber auch Angst vor möglichen Veränderungen. Ein Titel wie „Die | |
Verängstigten“ schien mir da naheliegend. | |
Es gibt eine Szene, die erzählt, dass sich bereits die Schulkinder | |
gegenseitig überwachen und misstrauen. Ist das eine zugespitzte | |
Momentaufnahme? | |
Dazu eine Anekdote aus meiner Schulzeit: Eine Lehrerin, die uns | |
Militärunterricht gab, drohte uns Kindern mit dem „Gefängnis“. Das | |
„Gefängnis“ war ein geschlossener Raum, in den du gesperrt wurdest, wenn du | |
zum Beispiel von deiner Schuluniform den Gürtel vergessen hast. Oder die | |
Religionslehrerin: Sie jagte uns Angst vor der Hölle ein. Sie erzählte, wie | |
wir in die Hölle kämen, dort verbrennen und wieder rausgeholt würden, eine | |
neue Haut bekämen, um erneut in der Hölle zu landen. Die Atmosphäre in | |
meiner Schule war von Willkür und Angst geprägt. | |
In Ihrem Roman spielt auch das [2][Massaker von Hama] eine wichtige Rolle. | |
1982 ermordeten die syrischen Streitkräfte dort bis zu 30.000 Zivilisten | |
und legten die Stadt in Schutt und Asche. Wie wurde in Syrien darüber vor | |
2011 geredet? | |
Das war tabu. Viele verschwanden damals, über deren Schicksal ist bis heute | |
nichts bekannt. Die Ortschaften in der Region um Hama nahmen zumeist keine | |
Geflüchteten auf, da sie Angst hatten, ihnen könnte sonst Ähnliches | |
geschehen. Die Kultur der Angst dominierte Syrien. Deshalb lasse ich in | |
meinem Roman auch den Arzt aus Hama nach Damaskus fliehen. Die Menschen | |
änderten teilweise sogar ihre Herkunftsangaben in den Ausweisen, damit | |
nicht erkennbar war, dass sie aus Hama stammten. | |
Sie erzählen auch davon, wie in einem Dorf eine Moschee gebaut wird. Vielen | |
ist es gleichgültig, nur Einzelne regen sich auf. Andere wechseln ihre | |
Konfessionen, etwa um heiraten zu können. Waren das die Ausnahmen, oder kam | |
dies oft vor? | |
Das kommt auf die Konfession an. Ich erzähle von einem Sunniten, der Alawit | |
geworden ist, ein eher ungewöhnliches Beispiel. Alawiten sind weniger | |
konservativ religiös, tragen keine Kopftücher. Daher auch der Zorn der | |
einen, als die Moschee gebaut wird. Das ist aber von Region zu Region sehr | |
unterschiedlich. Sunniten haben in Syrien allgemein kein Problem damit, | |
Alawiten zu heiraten. Anders herum ist es aber eins: Weil die Alawiten eine | |
Minderheit sind, haben sie Angst davor, verdrängt zu werden. | |
Nebenbei wird in Ihrem Roman eine Frau erwähnt, die sich in einen „Josef“ | |
verliebt. Sein tatsächlicher Name lautet aber Jussuf, er ist Muslim und | |
kein Christ. Aus Liebe zu ihm ändert sie schließlich ihre Konfession. | |
Sie wechselt ihre Religion auf dem Papier, um ihn zu heiraten. Sie ist | |
offiziell Muslimin, übt ihre christliche Religion aber weiterhin aus und | |
geht in die Kirche. Diese Figur basiert auf der Biografie meiner Tante, die | |
als Christin einen Muslim geheiratet hat. Am Ende wollte sie aber nach | |
christlichem Ritus beerdigt werden – und so geschah es auch. | |
Mit „Die Verängstigten“ waren Sie für den Arabic Prize for International | |
Fiction nominiert und landeten jetzt auf Platz 1 der | |
Weltempfänger-Bestenliste. Was bedeuten solche Auszeichnungen für Sie? | |
Natürlich hilft das, Geschichten wie meine bekannter zu machen. Ich hoffe, | |
dass Literatur etwas verändern kann. Es gibt viele Beispiele aus | |
Lateinamerika oder Europa, bei denen die Erzählungen erst nach und nicht | |
während der Revolution geschrieben wurden. | |
Viele geflüchtete Syrer kamen auch nach Deutschland. Wie nehmen Sie von | |
London aus die politische Entwicklung in der Bundesrepublik war? | |
Ich beobachte die Situation. Ich sehe die politische Entwicklung in | |
Deutschland als Teil des generellen Erstarkens des Rechtsextremismus in | |
Europa. Die geflohenen Syrer könnten vielleicht zurückgehen, sollte Assad | |
vor Gericht gestellt oder getötet werden. Doch mit Assad ist für die | |
meisten keine Lösung möglich. Viele mir wichtige Menschen sind durch Folter | |
gestorben, wurden ermordet oder gelten als verschwunden. Ganze Regionen | |
sind komplett zerstört. An eine Rückkehr ist so nicht zu denken. | |
22 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Isabella Caldart | |
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