Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Cities Festival Damascus: Die gebrochene Szene von Damaskus
> Das Kulturzentrum Moussem in Brüssel gibt Performances aus Syriens
> Hauptstadt ein Podium. Die Arbeiten sind verstörend und faszinierend.
Bild: Unter Trümmern fand Alansar das Mathematikheft eines Mädchens, daraus w…
Kurz vor Mitternacht gibt Hoor Malas es unumwunden zu: Sie nerven, diese
Fragen nach dem Krieg. „Was wir machen, ist universal“, sagt die Tänzerin
mit Nachdruck. „Wir sind zwar Künstler aus Syrien, aber nicht nur syrische
Künstler.“ Mayar Alexane, der Theatermacher, mit dem sie zuvor ihre
Produktion „Three Seconds“ aufführte, ergänzt: „Es ist beinahe ein
Stereotyp. Normalerweise wollen wir Veranstaltungen vermeiden, die einen
direkten Bezug zu Syrien haben. Es ist hip, damit Geld zu machen.“
Dass die beiden trotzdem nach Brüssel gekommen sind, gemeinsam mit ihrem
Produktionsmanager Ibrahim Diab, liegt am besonderen Konzept des „Cities
Festival Damascus“. Moussem, ein kleines und äußerst agiles Kulturzentrum,
das sich selbst „nomadisch“ nennt und auf Nahost und Nordafrika
spezialisiert ist, richtet dieses Festival seit 2016 aus. Nach Beirut,
Tunis und Casablanca ist der gesamte Februar nun Damaskus gewidmet.
Dass diese Edition sich von früheren unterscheidet, zeigt sich freilich
schon daran, dass Hoor Malas, 32, und der vier Jahre jüngere Mayar Alexane
die einzigen vertretenen Künstler sind, die noch in der Stadt wohnen.
Andere kommen aus Frankreich, Türkei, Beirut oder Berlin. Diejenigen, die
von Damaskus „zerbrochener Szene“, wie es im Programmheft heißt, übrig
blieben, agieren in einem doppelt problematischen Rahmen: zum einen die
alltägliche Wirklichkeit des Kriegs. Und dann, wenn sie in Europa
auftreten, ist da der Blick des Publikums, der stark vom Horror der
Nachrichtenbilder geprägt ist.
Just wie in der Premiere der Performance „Three Seconds“, deren Titel sich
auf die durchschnittliche Länge einer Traumsequenz bezieht. Hoor Malas
kriecht und tanzt, sie faltet sich in einem Regalfach zusammen, flirtet und
küsst ihr Ebenbild im Spiegel, während Mayar Alexane sie als Lichtmeister
in Szene setzt. Metallisches Blau, sanftes Gelb und virtuose
Taschenlampenblitze akzentuieren die unterschiedlichen Trauminhalte. Und
ja, ein Albtraum ist auch dabei, doch der, so Hoor Malas, ist „ziemlich
kondensiert“.
## Der Traum als Rückzugsort
Dem Publikum erscheinen die bedrückenden Sequenzen indes mehr Gewicht zu
haben. Womit man sich selbst durchaus fragen kann: Gestehen wir Künstlern
aus Kriegsgebieten eine universelle und vermeintlich unpolitische
Themenauswahl zu, wie die Auseinandersetzung mit dem Träumen als letztem
Rückzugsort des Individuums?
Gut möglich, dass auch der Aufbau des Performance-Abends in den Kaai
Studios den Blick dafür geschärft hat. Er begann nämlich mit dem intensiv-
verstörenden „The Math Book“ von Hiba Alansari, gewidmet einem Mädchen
namens Nour Bazakadi, das 2014 bei einem Bombenangriff in Nordsyrien starb.
In den Trümmern fand Hiba Alansar Nours Mathematikheft – ein Erlebnis, das
sie zwischen zerbrochenem Hausrat und verbrannten Dachpfannen auf die Bühne
bringt. Sie versucht Ordnung in all das Zerbrochene zu bringen, beschriftet
die Ziegel mit mathematischen Formeln und Symbolen, bis sie am Ende wie
panisch aus dem Raum rennt und ein Publikum zurücklässt, das sich kaum zu
klatschen traut.
## Vorübergehender Aufenthalt
Spielerischer, aber nicht weniger eindringlich ist die Vorstellung
„Temporary Stay“ der Theatermacher Waël Ali und Chrystèle Khodr. Sie
stellen die aktuelle Situation der Region in den Kontext früherer Krisen.
Waël Ali verließ das Land 2006 zum Studieren und lebt heute in Frankreich.
Die Libanesin Chrystèle Khodr hat syrische Vorfahren.
„Temporary Stay“ basiert auf einer alten Audio-Aufnahme, auf der ihr nach
Schweden geflüchteter Onkel vom Leben dort berichtet, unterbrochen durch
Reflexionen und Monologe. Bisweilen ist das sarkastisch und komisch,
punktuell geht es durch Mark und Bein – etwa wenn Chrystèle Khodr von ihrer
Familie spricht, „von der in den letzten hundert Jahren niemand im gleichen
Land geboren wurde und starb“.
20 Feb 2019
## AUTOREN
Tobias Müller
## TAGS
Moussem Nomadic Arts Centre
Hoor Malas
Mayar Alexane
Hiba Alansari
Schwerpunkt Syrien
Damaskus
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Politisches Theater
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gedichte von Ghayath Almadhoun: Als das Meer selbst ertrank
Seine Gedichte handeln von der Unmöglichkeit, nach dem Krieg in Normalität
zu leben. Ghayath Almadhoun, palästinensisch-syrisch-schwedischer Dichter.
Schriftstellerin über ihre Heimat Syrien: „Ich habe das selbst so erlebt“
Dima Wannous über ihren Roman „Die Verängstigten“ und ein psychotisches
Zwangsregime, das sich nur dank Russen und Iranern an der Macht halten
kann.
Theaterperformance „Tin Pit“: Heimat, neu erträumt
Der syrische Autor und Regisseur Wasim Ghrioui erzählt Geschichten aus
einem geschmähten Viertel von Damaskus, in dem er selbst aufgewachsen ist.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.