| # taz.de -- Syrer im Libanon: Assad wartet schon | |
| > Im Libanon leben anderthalb Millionen Geflüchtete aus Syrien. Die sollten | |
| > jetzt zurückkehren, finden die meisten der vier Millionen Libanesen. | |
| Bild: Syrische Flüchtlinge am Strand in Beirut | |
| Beirut/Tal Abbas taz | „Auf keinen Fall gehe ich nach Syrien zurück!“ | |
| Baschar sitzt im kleinen Wohnzimmer seiner Erdgeschosswohnung in Tarik | |
| al-Matar, einem Viertel im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut. Er | |
| ist breit wie ein Schrank, und sein Händedruck bleibt einem in Erinnerung. | |
| Vor dem Krieg hat er als Bäcker gearbeitet, in seinem Heimatdorf Taldau in | |
| der Gemeinde Hula, etwa 20 Kilometer nordwestlich der syrischen Stadt Homs. | |
| Es ist Ende September, und im Libanon ist der Sommer noch nicht vorbei. | |
| Draußen vor der Wohnungstür flimmert die Nachmittagshitze über dem | |
| betonierten Parkplatz. Baschar rückt den Ventilator zurecht und zündet sich | |
| die nächste Zigarette an: „Bevor ich verhaftet wurde, habe ich an jeder | |
| Demonstration gegen das Regime teilgenommen. Wir waren jeden Tag auf der | |
| Straße.“ | |
| Anfang 2012, so erzählt es Baschar, verschleppte ihn der syrische | |
| Geheimdienst und brachte ihn in ein Gefängnis in Homs, dort wurde er | |
| täglich geschlagen und misshandelt. Seit dieser Zeit hat er Probleme mit | |
| den Füßen, seine Knöchel sind gezeichnet von den Folterspuren. Was sie | |
| genau mit ihm gemacht haben, möchte er nicht sagen. | |
| Baschar hatte Glück: Nach einem Monat ließen sie ihn laufen. Nach seiner | |
| Entlassung floh er in den Libanon. „Ich habe mich in ein Taxi gesetzt und | |
| bin direkt nach Beirut gefahren.“ Seine Frau und die Kinder musste er | |
| zurücklassen. Sie kamen einige Monate später nach – zu Fuß, über die grü… | |
| Grenze im Libanon-Gebirge. „Vier Tage waren sie unterwegs“, erzählt | |
| Baschar. „Der Schmuggler, der ihnen den Weg zeigte, hat dafür 800 Dollar | |
| verlangt.“ | |
| ## Kein Schutzstatus | |
| Etwa 1,5 Millionen [1][Geflüchtete aus Syrien] leben heute im Libanon – | |
| neben 4 Millionen Libanesen. Wie hoch die Zahl genau ist, kann niemand | |
| sagen. Im Mai 2015 stoppte die libanesische Regierung die Registrierung der | |
| Ankommenden durch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Der Libanon hat weder | |
| die Genfer-Flüchtlingskonvention von 1951 noch das Zusatzprotokoll über die | |
| Rechtsstellung der Flüchtlinge unterzeichnet. Geflüchtete aus Syrien | |
| genießen nach libanesischem Recht also keinen besonderen Schutzstatus. | |
| Zu Beginn des Konfliktes im Nachbarland praktizierte der Libanon eine | |
| Politik der „offenen Tür“: Flüchtende Syrer wurden ohne Einschränkung | |
| hereingelassen. Aber ab 2014, als deutlich wurde, dass der Konflikt nicht | |
| so schnell gelöst werden würde und die Zahl der Schutzsuchenden die | |
| 1-Million-Marke überschritt, änderte sich das. | |
| Von offizieller Seite werden die Syrer meist auch nicht als „Flüchtlinge“ | |
| (Lasch’iin), sondern als „Vertriebene“ (Nazhiin) bezeichnet. Dadurch will | |
| man auch rhetorisch jeden Vergleich mit den palästinensischen Flüchtlingen | |
| vermeiden, die 70 Jahre nach ihrer Vertreibung immer noch im Libanon leben. | |
| Aus demselben Grund hat der libanesische Staat seit Beginn des Krieges in | |
| Syrien – anders als etwa Jordanien – den Bau offizieller Flüchtlingslager | |
| untersagt. Im Bekaa-Tal, einer Hochebene zwischen dem Libanon-Gebirge und | |
| dem Anti-Libanon, auf dem die libanesisch-syrische Grenze verläuft, leben | |
| deswegen heute hunderttausende syrische Geflüchtete in „informellen“ | |
| Zeltstädten. Sie werden zwar geduldet, aber nach offizieller Rechtslage | |
| können ihre Behausungen jederzeit abgerissen werden. | |
| ## Syrer als Sündenböcke | |
| Dass die syrischen Geflüchteten besser heute als morgen in ihre Heimat | |
| zurückkehren sollen, ist im Libanon inzwischen die Meinung der | |
| allermeisten. Am lautesten fordert das Gebran Bassil, Außenminister in der | |
| libanesischen Übergangsregierung: „Es gibt einen internationalen Willen, | |
| die syrischen Flüchtlinge im Libanon zu halten, und diesen Willen werden | |
| wir brechen“, verkündete er im vergangenen Juni. Auch Bassils | |
| Schwiegervater, der libanesische Präsident Michel Aoun, macht immer wieder | |
| deutlich, dass er eine Rückkehr der Syrer auch ohne eine vorherige | |
| politische Lösung des Konfliktes für notwendig hält. | |
| Lautsprecher wie Bassil benutzen die syrischen Geflüchteten auch gern als | |
| Sündenböcke und geben ihnen die Schuld für die zahlreichen Probleme des | |
| Libanon: die ständigen Stromausfälle, das Müllproblem oder die schlechte | |
| gesamtwirtschaftliche Lage. Seit etwa einem Jahr organisieren die | |
| libanesischen Verbündeten des Assad-Regimes – die schiitische Hisbollah und | |
| die christliche Bassil-Partei FPB – in Zusammenarbeit mit den libanesischen | |
| Behörden die Rückführung kleinerer Gruppen von Syrern. Auf diesem | |
| offiziellen Weg sind seit Anfang des Jahres aber nur [2][etwa 14.000 | |
| Personen zurückgekehrt]. | |
| Für die Propaganda des Assad-Regimes sind diese Rückführungen jedoch Gold | |
| wert: Busse mit Konterfeis des Diktators an der Frontscheibe, Familien mit | |
| fahnenschwenkenden Kinder, die auf der syrischen Seite der Grenze empfangen | |
| werden – diese Bilder sagen: Der Krieg ist vorbei, alles ist sicher, es ist | |
| Zeit für die Syrer, zurückzukommen. | |
| Für Baschar ist eine Rückkehr jedoch ausgeschlossen: „Wenn ich zurückgehe, | |
| bringt mich das Regime um!“ Kurz nachdem er in Beirut angekommen war, | |
| begingen Assad-treue Milizen (Schabiha) am 25. Mai 2012 in seinem | |
| Heimatdorf Taldau ein Massaker. Über 100 Menschen wurden ermordet, fast die | |
| Hälfte davon Kinder. „Sie haben auch eine Tante von mir umgebracht, und die | |
| beiden Söhne meines Bruders“, erzählt er. „Sie waren 18 und 22 Jahre alt.… | |
| Ende 2011 und 2012 kam es in Baschars Heimatregion Hula zu Kämpfen zwischen | |
| der Assad-treuen syrischen Armee und den Rebellen der Freien Syrischen | |
| Armee (FSA). „Als die Armee nach Hula kam und die Kämpfer der FSA | |
| vertrieben hat, sind die meisten aus unserem Dorf entweder nach Idlib oder | |
| in den Libanon geflüchtet. Die Hälfe der Häuser im Dorf wurden bei den | |
| Kämpfen zerstört“, erzählt Baschar – auf seinem Telefon zeigt er Fotos | |
| einer Trümmerlandschaft. | |
| Heute arbeitet er auf einer der zahllosen Baustellen in Beirut. Dort | |
| verdient er rund 250 Dollar im Monat. Zusätzlich bekommt die Familie 150 | |
| Dollar Finanzhilfe vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Baschar, seine Frau | |
| und die vier Kinder müssen also von etwa 400 Dollar im Monat überleben. | |
| „Das reicht natürlich hinten und vorne nicht.“ | |
| Trotzdem gehören Baschar und seine Familie gewissermaßen zu den | |
| Privilegierten unter den syrischen Flüchtlingen im Libanon: Sie wohnen in | |
| einem richtigen Haus und die Kinder gehen in eine der vom | |
| UN-Kinderhilfswerk UNICEF geförderten Schulen. | |
| ## Keine Arbeit, keine Hilfe | |
| Davon kann Abdelkarim nur träumen. Der 32-Jährige wohnt mit seiner Frau und | |
| den zwei kleinen Kindern in einem Flüchtlingscamp am Rand von Tal Abbas im | |
| äußersten Norden des Libanon. Die Gegend gehört zu den ärmsten Regionen des | |
| Landes. Arbeit gibt es, wenn überhaupt, auf den Feldern. Rings um das Dorf | |
| erstrecken sich die Anbauflächen für Gurken, Kartoffeln und Tomaten. Zur | |
| syrischen Grenze braucht man zu Fuß etwa eine halbe Stunde. | |
| Abdelkarim sitzt auf einem roten Plastikstuhl in einer der schmalen Gassen | |
| des Camps und schlürft einen Kardamom-Kaffee. Auf seinem T-Shirt prangt der | |
| deutsche Schriftzug: „Klasse! Wir singen“. Aber zum Singen ist ihm nicht | |
| zumute: Seit sechs Jahren lebt er im Lager in einer notdürftig aus | |
| Plastikplanen und Spanplatten zusammengezimmerten Hütte. 2012 flüchteten er | |
| und seine Frau aus Baba Amr, einem sunnitischen Viertel in Homs, dass | |
| während der Belagerung durch die syrische Armee täglich beschossen wurde. | |
| Auch er hat zweieinhalb Monate in einem Kerker des Regimes verbracht. „Die | |
| Armee hat einfach alle jungen Männer ins Gefängnis gesteckt und gesagt: | |
| ‚Das sind Terroristen.‘ Ich habe gesehen, wie Leute im Gefängnis exekutiert | |
| wurden.“ Er selbst habe sich nie an Demonstrationen gegen Assad beteiligt, | |
| sagt Abdelkarim. | |
| Für das Stückchen Erde, auf dem er seine Hütte errichtet hat, muss | |
| Abdelkarim monatlich 5.000 libanesische Pfund (etwa 2,80 Euro) Miete | |
| bezahlen; an den Grundeigentümer, dem das Land gehört, auf dem das Camp | |
| errichtet wurde. Aber selbst dieser kleine Betrag ist manchmal schwer | |
| aufzubringen. Denn wie die allermeisten Leute im Camp hat Abdelkarim keine | |
| Arbeit und erhält auch keine Hilfe mehr von den Vereinten Nationen. Zwei- | |
| bis dreimal in der Woche bekommt er kleine Jobs, die gerade ausreichen, um | |
| Essen zu besorgen. | |
| Lisa Abou Khaled vom libanesischen Büro des UNHCR kennt diese Situation: | |
| „Unser Budget ist begrenzt, deswegen müssen wir uns auf die Leute | |
| konzentrieren, die am dringendsten Hilfe benötigen“, erläutert sie. | |
| „Manchmal müssen wir die Hilfe für bestimmte Familien einstellen, um | |
| anderen helfen zu können, deren Situation noch schwieriger ist.“ | |
| Die Hälfte der syrischen Flüchtlinge im Libanon lebe unterhalb der | |
| Armutsgrenze von 2,90 USD pro Tag, sagt Abou Khaled. „Eigentlich brauchen | |
| alle diese Leute finanzielle Direkthilfe, aber unsere Mittel reichen nur | |
| für etwa 60 Prozent der Betroffenen.“ | |
| Ob er sich für die Zukunft vorstellen könne, nach Syrien zurückzugehen – | |
| Abdelkarim zuckt mit den Schultern: „Ich würde ja gern zurückgehen, aber es | |
| ist einfach nicht sicher. Die Leute sagen, der Krieg sei zu Ende, aber das | |
| stimmt nicht. Solang Assad an der Macht ist, wird der Krieg nie zu Ende | |
| sein.“ | |
| 1 Oct 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jakob Farah | |
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