# taz.de -- Mena Prison Forum im Berliner HAU: Resonanzkörper aus Pappe, Zucke… | |
> Eine Veranstaltungsreihe im Hebbel am Ufer beschäftigt sich mit Gefängnis | |
> und Folter in Nahost. In der ersten Ausgabe waren Musiker aus Syrien | |
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Bild: Hat bei der Gesprächsrunde im HAU nach dem Konzert teilgenommen: Schrift… | |
Der Abend begann mit einer verblüffenden Aussage: „Wir hatten auch | |
glückliche Momente im Gefängnis“, sagt Asaad Shlash. Der Musiker aus | |
Damaskus, der mehr als zehn Jahre Haft in den Foltergefängnissen des | |
syrischen Diktators Hafis al-Assad erlebte, bezog sich dabei auf jene | |
Momente, in denen er mit seinen Mithäftlingen auf selbstgebauten | |
Instrumenten heimlich musizieren konnte. | |
Einige dieser Lieder brachten er und fünf seiner damaligen Mitspieler ins | |
Hebbel am Ufer (HAU), zum Auftakt der Berliner Veranstaltungsreihe des | |
Dokumentationszentrums Mena Prison Forum. Haft- und Foltererfahrungen in | |
den Gefängnissen des Nahen Ostens und Nordafrikas waren hier Thema. | |
Circa sechs Jahrzehnte Haft, [1][einige davon im Sednaya-Militärknast] bei | |
Damaskus, andere Jahre im noch berüchtigteren Wüstengefängnis Tadmor nahe | |
Palmyra, saßen da gemeinsam auf der Bühne des HAU1. | |
Die sechs Männer spielten auf Instrumenten, wie sie sie in den Gefängnissen | |
gebaut hatten: Bei einer Oud, dem klassischen arabischen Saiteninstrument, | |
bestand der Resonanzkörper aus einer Waschschüssel, bei der anderen aus | |
einem eckigen Holzkasten. Bei der dritten, in der typisch gewölbten Form | |
der Oud, bildeten Lagen aus Pappe den Resonanzkörper, aneinandergefügt mit | |
einem Kleber Marke Eigenbau aus Marmelade und Zucker. | |
## Sehnsucht mit Musik bekämpfen | |
Wie die sechs Männer dort von ihrem Drang nach Freiheit und ihrer Sehnsucht | |
nach den Liebsten zu Hause sangen, ließ erahnen, welche Kraft ihnen die | |
Musik einst gegeben haben muss, um auch die schrecklichsten Momente zu | |
überstehen. Allerdings zählten sie trotz ihres Leidens zu den | |
Glücklicheren. Denn mehr als 15.000 Menschen verschwanden während der | |
Diktaturen von Vater und Sohn al-Assad, die seit 1970 das Land beherrschen. | |
Daran erinnerte der Schriftsteller Yassin al-Haj Saleh, selbst 16 Jahre | |
eingesperrt, in der Gesprächsrunde nach dem Konzert: „Zwei Mal wöchentlich | |
gab es Exekutionen, teilweise 200 Menschen auf einmal. Ich weiß nicht, wo | |
sie alle diese Leichen begraben haben“, sagte er bitter. Al-Haj Saleh setzt | |
sich für die Verfolgung der Täter ein. Das ist auch das Anliegen des Mena | |
Prison Forum, 2018 vom [2][libanesischen Aktivisten Lokman Slim] und dessen | |
Frau Monika Borgmann ins Leben gerufen. | |
Beide beschäftigten sich [3][anfangs mit libanesischen Gefangenen in | |
syrischen Knästen.] Slim wurde 2021 ermordet, mutmaßlich von Killern der | |
mit Iran und Syrien verbundenen Hisbollah. Jetzt ist das Mena Prison Forum | |
sein Vermächtnis und Borgmann dessen Vertreterin. | |
Auf dem Podium sprach die [4][Juristin und Menschenrechtsaktivistin Joumana | |
Seif] die Erfolge der syrischen Zivilgesellschaft an. Deren Recherchen | |
führten zu Anklagen gegen Folterer und Mörder [5][der Assads unter anderem | |
in Koblenz] und gegen solche der Hisbollah unter anderem in Stuttgart. | |
Lynn Maalouf vom Büro des Sondergesandten der Vereinten Nationen für Syrien | |
stellte zwei Pionierorganisationen der UN vor, die Informationen zu | |
Menschenrechtsverletzungen in Syrien und zum Schicksal Verschwundener | |
sammeln, um damit Material für weitere Anklagen zu haben. Das könnte auf | |
die gesamte Region ausstrahlen. Denn eines der großen Probleme der | |
Dauerkonflikte dort ist die Unkultur der Straflosigkeit. „Davon profitiert | |
aktuell auch Israel“, sagte al-Haj Saleh – und sprach den Elefanten im Raum | |
an, den Krieg in Gaza und die Bombardierungen im Libanon. | |
Die nächste Veranstaltung des Mena Prison Forum in Berlin werde sich den | |
Foltergefängnissen des „Islamischen Staats“ widmen, kündigte Borgmann an, | |
bevor sie sich zurück nach Beirut begab. Dort, wo ihr Mann und sie das | |
Dokumentationszentrum gründeten, ist sie heute den Angriffen der | |
israelischen Luftwaffe ausgesetzt. „Bislang wurde unser Zentrum zum Glück | |
noch nicht getroffen“, sagte sie der taz. Ein kleiner Trost in einem großen | |
Drama. | |
29 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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