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# taz.de -- Impfungen in der Kunst: Kampf gegen die Seuchen
> Menschen mit Mund-Nasen-Schutz und leere Supermarktregale: Ikonische
> Bilder von Pandemien gibt es nicht erst seit Corona.
Bild: Louis-Lépold Boilly: Die Impfung, 1807
Boten sich zunächst leere Supermarktregale und später Menschen mit
Mund-Nasen-Masken als ikonische Bilder der Pandemie an – und überzeugten
nicht, weil sie keine Hoffnung vermittelten –, stellt sich inzwischen die
Frage: gelingt dies der Impfspritze?
Denn während sich Katastrophen, wie [1][Georg Seeßlen im Dezember in der
Zeit] festhielt, „gemeinhin zu dem einen, alles sagenden Bild verdichten,
mit dem wir in eine veränderte Wirklichkeit zurückkehren, scheinen sich in
der Pandemie alle Bilder zu spalten und aufzulösen“.
Was also lässt sich über das ikonische Potenzial des Impfens aus der
Kulturgeschichte ableiten? Begibt man sich auf Spurensuche, landet man
zunächst im antiken Zentralasien. In der Sammlung des College of Physicians
of Philadelphia findet sich eine wohl über 1.000 Jahre alte Papierarbeit
chinesischen Ursprungs, in der die später in der lateinischsprachigen Welt
so genannte Inokulation geschildert wird.
Eine Hand mit langen Fingernägeln ragt darauf aus einer Wolke und hält eine
Nadel oder ein Messer in Richtung einer mit Pockenausschlag übersäten Figur
– die Zeichen der Krankheit, die am engsten mit der Geschichte der Impfung
verbunden ist.
## Kuhpocken in Schnittwunden
Nicht etwa, um sie zu bedrohen: Diese Vorform der heutigen Vakzination
immunisierte Patienten, indem ihnen Material von Erkrankten in
Schnittwunden eingebracht wurde. Das war nicht nur für den Patienten
hochgefährlich, sondern drohte auch bei jeder Anwendung eine weitere
Epidemie auszulösen.
Im Westen lernte man dieses Verfahren vermutlich erst später kennen, aber
auch ein Vers aus einem Gesundheitsratgeber der Schule von Salerno des 13.
Jahrhunderts rät bereits: „Damit die Pocken nicht zum Tod der Kinder führen
/ bringe den Gesunden Pockenmaterie in die Adern.“
Die „Tödlichkeit“ der Pocken und des sie auslösenden Variolavirus
provozierte aber erst in der Frühen Neuzeit ernsthafte medizinische
Gegenwehr. Der britische Landarzt Edward Jenner hatte nicht als Erster
bemerkt, dass vorher an den milderen Kuhpocken erkrankte Menschen immun
gegen das Virus waren.
Aber er publizierte als Erster die Beschreibung eines damals waghalsigen,
heute ethisch unvertretbaren Versuchs: 1796 inokulierte er den 8-jährigen
James Phipps zuerst mit Kuh-, dann mit Menschenpocken. Aus lateinisch
„vacca“ – die Kuh – entstand der Begriff des Vakzins.
## Mit dem Impfen kamen auch dessen Gegner
In den Folgejahren ging es schnell, die Vakzinierung verbreitete sich auch
auf dem europäischen Festland. Künstler porträtierten schließlich nicht nur
Jenner und Phipps bei der Geburtsstunde der Behandlung (Ernest Board,
Gaston Melingue, Albert Chéreau), sondern vermehrt auch andere Ärzte im
Zuge der damaligen Impfkampagne (Constant-Joseph Desbordes, Louis-Léopold
Boilly).
Oft kommt ein Bildtyp zum Einsatz, auf dem ein elegant leidensverkrümmtes
Kind in den Armen einer Frau dem Messer des unbarmherzig darübergebeugten
Arztes zu entkommen versucht. Kaum kommt man daran vorbei, darin eine wilde
Mischung aus dem Jesuskind und dem Schmerzensmann Christus zu erkennen.
Zur Erbauung potenzieller Impflinge dienten diese Bilder wohl kaum. Und
[2][auch das Impfgegnertum, so alt wie die Impfung selbst], fand in
zahlreichen Karikaturen und politischen Zeichnungen Niederschlag, bis hin
zu triumphierenden Skeletten mit der Unterschrift „Triumph of
De-Jenner-Ation“, die spätere Impfpflicht in England als degeneriert
beschimpfend. Selbst Kant fürchtete, mit der Vakzination könnte die
Bestialität der Kühe auf den Menschen übergehen. Später wurde seine Meinung
differenzierter.
Entgegengesetzte Beispiele kennt die Numismatik: Im Germanischen
Nationalmuseum in Nürnberg gibt es einen Bestand an Münzen, die als Prämien
für verschiedene Leistungen in der in Berlin bereits 1799 begonnen
Impfkampagne vergeben wurden. Kinder und ihre Eltern bekamen zuweilen
Eisenmedaillen für die Teilnahme überreicht.
## Medaillen für den Entdecker der Schutzimpfung
Auf einer Seite dieser Medaillen wird Edward Jenner als „Entdecker der
Schutzimpfung“ geehrt, auf der anderen tanzen Kinder einen Reigen um eine
Kuh, die von einer Putte mit Blumen geschmückt wird. Für Ärzte gab es
ähnliche Prämien aus Silber, vorne König Wilhelm III., hinten zuerst die
griechische Heilgöttin Hygieia, in einer späteren Version dann eine
Impfszene – auch hier flüchten sich die abgebildeten Kinder vor dem Arzt zu
einer Frauengestalt.
Jenner hatte behauptet, seine Methode sei geeignet, die Pocken gänzlich
auszurotten. Er sollte recht behalten, aber das Unterfangen noch fast 200
Jahre dauern. Bis dahin wurden die Bilder der Impfkampagnen längst
professionell genutzt und auf Litfaßsäulen verlagert.
Diese Poster bilden das wahrscheinlich größte Konvolut an Impfkunst: Mal
vom Bienenmaskottchen „Well-bee“ unterstützt (Polio-Impfkampagne in den USA
der 1960er), mal von abschreckenden Bildern eines Kindes mit Rollator
(„Kinderlähmung ist grausam – Schluckimpfung ist süß“, Deutschland 197…
riefen sie mit allen Mitteln zur Spritze.
2015 stellte die Bill & Melinda Gates Foundation die Initiative „The Art of
Saving a Life“ vor, aus dem eine zeitgenössische Sammlung von Kunst zur
Impfung hervorging, die Impfallianz Gavi unterstützend. Die wollte damals
bis 2020 viele Millionen Kinder impfen. Das Jahr sollte anderes
bereithalten.
Die Rückschau zeigt also: Unsere Bilder verhandeln schon lange den Kampf
gegen die Seuchen. Vielleicht muss heute kein einzelnes davon die rettende
Bannkraft aufbringen, ihn zu erklären.
7 Jun 2021
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/kultur/2020-12/pandemie-coronavirus-bilder-erzaehlung-k…
[2] /Medizinprofessor-ueber-Impfgeschichte/!5740840
## AUTOREN
Christopher Suss
## TAGS
Kunst
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