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# taz.de -- Berliner Stadtkultur im Humboldt Forum: Müll und Mythen
> Bei der Neuköllner Oper gehen Zugänglichkeit und politische Inhalte oft
> Hand in Hand. Jetzt gastiert sie im Berliner Humboldt Forum
Bild: Die Neuköllner Oper zu Gast im Humboldt Forum Berlin mit „Mexico Aura�…
Für ein Museum ist das Berliner Humboldt Forum mehrere Nummern zu groß. Es
gibt in der Schlossattrappe nicht nur das Ethnologische Museum an sich,
sondern auch enorm viel Luftraum, etwas Gastronomie und nicht zuletzt
zahlreiche Nebengelasse, die nicht ständig bespielt werden, in denen aber
prinzipiell internationale Symposien abgehalten, Konzerte gegeben oder
Theaterproduktionen gespielt werden können.
Als Veranstaltungsort etabliert haben sich diese mannigfaltigen räumlichen
Möglichkeiten für das Berliner Kulturleben noch lange nicht. Mit der
[1][Neuköllner Oper, Berlins traditionsreichstem alternativem
Musiktheater], ist nun für ein paar Sommerwochen schon einmal ein nicht
unbedeutendes Stück Berliner Stadtkultur in den Saal 2 des Humboldt Forums
eingezogen. Die Neuköllner haben über viele Jahre ein sehr eigenes, dabei
stets volksnahes Profil entwickelt, bei dem politischer und musikalischer
Anspruch Hand in Hand gehen. Das sind gute Voraussetzungen für das
Bespielen dieses neuen hauptstädtischen Kulturraums, der politisch in
doppelter Hinsicht umstritten ist: als rückwärtsgewandtes architektonisches
Megaprojekt zum einen und zum anderen aufgrund des [2][zunehmenden
Legitimationsdrucks, dem ethnologische Museen sich heutzutage ausgesetzt
sehen].
Die Diskussionen um die Restitutionsansprüche von Ländern, aus deren
kolonial besetzten Gebieten Kunstgegenstände einst mitgenommen wurden, sind
nur der greifbarste Aspekt eines Problemkomplexes, bei dem es um weit mehr
geht als um ein paar Skulpturen: Es geht um das Recht auf eine eigene
Geschichte sowie Geschichtsschreibung und um die Emanzipation von der
historisch ererbten Last, anhaltend aus der Perspektive früherer Besatzer
wahrgenommen zu werden.
## Bilder anderer Kulturen
Mit der Produktion „Mexico Aura – The Myth of Possession“ hat die
Neuköllner Oper eigens ein Projekt für diesen Ort entwickelt. Es unternimmt
den ambitionierten Versuch, dieser komplexen Problemstellung Rechnung zu
tragen. Aus Beiträgen der AutorInnen John von Düffel (Deutschland) und Eva
Hibernia (Spanien) sowie der Musik der mexikanischen Komponistin Diana
Syrse (die als Sängerin zugleich die Hälfte aller weiblichen Gesangsparts
des Abends trägt) ist eine Art performative Collage entstanden. Sie wird
vom [3][Zafraan Ensemble] musikalisch souverän begleitet – unter der
Leitung von Melissa Panlasigui, die als Dirigentin im zentralen
Bühnenhintergrund platziert ist wie eine Hohepriesterin des Taktmaßes und
damit auch rein optisch die Produktion zusammenhält. Denn die Szenen, die
von Düffel und Hibernia zum Thema entwickelt haben, nähern sich diesem von
sehr verschiedenen Seiten.
Von Düffel nimmt den Fall des Claas Relotius auf, der mit sensationell
gefälschten Spiegel-Reportagen aufflog. Er macht aus dem erfindungsreichen
Reporter einen Bühnenerzähler, dessen Berichte von Müllkippen-Elend, vom
Kampf um Leben und Tod an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze und von
uralten, auf die Mayas zurückgehenden Klistierritualen, die der Reporter
angeblich am eigenen Leib erfahren hat, wir nicht ernst nehmen können. Wir
wissen ja von vornherein, dass wir diesem Erzähler misstrauen müssen. Aber
ist es nicht so, dass wir generell zu gutgläubig sind, wenn Erzählungen uns
in unseren vorgefassten Bildern fremder Kulturen bestärken?
Wie diese Bilder anderer Kulturen bewahrt oder verändert werden können,
thematisieren die Szenen von Eva Hibernia, in denen eine Museumskuratorin
mit einer kritischen Bewerberin zusammentrifft. Hat die Kuratorin recht,
wenn sie ihre Arbeit des Sammelns und Bewahrens um jeden Preis verteidigt?
Diana Syrse und Ana Schwedhelm, die sämtliche weibliche Gesangsrollen der
Produktion bestreiten (alle männlichen Rollen schultert der Bariton Justus
Wilcken), liefern sich ein ausdauerndes musikalisches Streitgespräch, das,
wie übrigens sämtliche Texte der Produktion, zweisprachig an der Wand
mitgelesen werden kann. Doch trotzdem hat man Mühe zu folgen, viel wurde in
das Libretto hineingepackt, was inhaltlich vage bleibt.
## Der Müllhaufen der Geschichte
Es gibt auch so schon genug zu verarbeiten für das Publikum; denn während
Diana Syrses Musik eng und expressiv verstärkend an der gesungenen
Szenenfolge entlang komponiert ist, spielt auch noch eine Choreografie mit
einem gewissen Eigenleben mit. Ab und zu werden die fünf TänzerInnen direkt
in die Handlung involviert. Mit ihnen gelingt es dem Regisseur Christopher
Roman, den gesamten Raum zu nutzen; und wenn man zwischendurch etwas
ermüdet beim Bemühen, konstant den Text zu verfolgen, kann es sehr
entspannende Wirkung haben, den TänzerInnen zuzusehen.
Auch die Kostüme (Rebekka Dornhege Reyes) sind inspirierend: Zu Beginn
bestehen sie schlicht aus übereinandergezogenen Trikots verschiedener
Farben, in die große runde Löcher hineingeschnitten wurden, was hübsche
Effekte ergibt.
Am Ende des Abends präsentieren sich alle Mitwirkenden in sensationell
recycelten Prunkgewändern aus billigem Abfallmaterial. Schließlich begann
der Abend ja auf einer Müllkippe. Ob damit wohl auch der Müllhaufen der
Geschichte gemeint ist, auf den wir alle unseren exotisierenden Blick auf
das Fremde entsorgen sollen, kann jede und jeder für sich selbst
entscheiden.
27 Jul 2022
## LINKS
[1] /Gentrification-mit-Gesang/!5668457
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[3] /Match-Cut-Festival-in-Berlin/!5863126
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Neuköllner Oper
Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus
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