# taz.de -- Kunsthistorische Ausstellung in Wien: Möglichst echte alte Meister | |
> Die frühe Reproduktionsfotografie schuf Ende des 19. Jahrhunderts einen | |
> neuen Erwerbszweig und sie bedeutete einen Wendepunkt der | |
> Kunstgeschichte. | |
Bild: „Die Jäger im Schnee“ (Pieter Bruegel d. Ä., 1565), Glasnegativ von… | |
In vielen Museen ist es erlaubt, ein Smartphone mit in die Ausstellung zu | |
nehmen. Warum auch nicht? Mögen die eingebauten Kameras inzwischen sehr gut | |
sein, für eine kommerzielle Auswertung der damit erstellten Bilder bedarf | |
es vor allem fachlicher Kenntnis. Das war Ende des 19. Jahrhunderts nicht | |
anders. Eine feine Ausstellung im Kunsthistorischen Museum in Wien widmet | |
sich den Anfängen der Reproduktionsfotografie als neuem Erwerbszweig und | |
Wendepunkt der Kunstgeschichte. | |
Vor Erfindung der Fotografie erfassten Gemäldesammlungen ihre Bestände | |
meist ohne Illustrationen. In den Katalogen wurden nur ausgewählte Werke | |
mit Holzschnitten und Kupferstichen reproduziert. Erst das Verfahren mit | |
der Kollodium-Nassplatte machte es um 1850 möglich, viele Abzüge von einem | |
Negativ zu erstellen und als Einzelbilder oder in Publikationen zu | |
vermarkten. | |
Der Umzug der kaiserlich-österreichischen Gemäldesammlung vom Schloss | |
Belvedere in das damals von Gottfried Semper und Carl von Hasenauer [1][am | |
Wiener Ring] errichtete neue Kunsthistorische Museum gab Anlass, Werke von | |
Alten Meistern wie Caravaggio, Tintoretto und Rubens systematisch zu | |
erfassen und dem breiten Publikum zugänglich zu machen. | |
Tageslicht bot beste Bedingungen für perfekte Aufnahmen. Damit die Bilder | |
beim Transport möglichst wenig Schaden nehmen, richtete der beauftragte | |
Hoffotograf Josef Löwy im Garten vor dem Belvedere von 1888 bis 1891 ein | |
temporäres Atelier ein. | |
## Die optimale Sonneneinstrahlung | |
Wie der Pavillon ausgesehen hat, davon vermitteln in der Ausstellung | |
technische Zeichnungen und ein Modell einen Eindruck. Eine große | |
Balgenkamera war auf einer Drehscheibe montiert, sodass die zu | |
fotografierenden Bilder nach der optimalen Sonneneinstrahlung ausgerichtet | |
werden konnten. Zugleich ließ sich das Aufnahmegerät bei kleineren Gemälden | |
oder für Detailaufnahmen näher an das Kunstwerk heranschieben. | |
Zwei feuerfeste und ineinander verschiebbare Holzhütten überdachten die | |
Kamera und dienten als Dunkelkammer, in der die lichtempfindlichen | |
Fotoplatten unmittelbar vor und nach der jeweiligen Aufnahme präpariert | |
wurden. | |
Den qualitativen Unterschied zwischen Innen- und Außenaufnahmen | |
veranschaulichen in der Ausstellung zahlreiche Gegenüberstellungen. | |
Besonders gut zeigen sich die Unterschiede anhand zweier Aufnahmen von | |
Michiel Coxcies Altarflügel „Vertreibung aus dem Paradies“ aus der Mitte | |
des 16. Jahrhunderts. Auf der einen sind Partien der Oberkörper von Adam | |
und Eva überbelichtet, während die Tiere zu ihren Füßen ebenso wie die | |
Baumkronen durch flächiges Dunkel an Kontur verlieren. Die andere, am | |
gleichen Tag entstandene Außenaufnahme zeichnen differenzierte | |
Helligkeitswerte und Schärfe aus. | |
Josef Löwy hatte ein Verfahren entwickelt, das die Farben eines Gemäldes in | |
adäquaten Schwarzweißtönen wiedergab. Zudem ermöglichte die erzielte | |
Tiefenschärfe Vergrößerungen von Details, die heute mit denen | |
hochauflösender Digitalbilder vergleichbar sind. Eine Vorreiterrolle in der | |
damaligen Reproduktionsfotografie nahm übrigens das Militär ein, es musste | |
bei der Vervielfältigung von Karten schließlich besonders präzise arbeiten. | |
Der besseren Verkäuflichkeit wegen war es üblich, offensichtliche Mängel | |
auf Reproduktionen zu retuschieren. Hingegen lehnten die Kunsthistoriker | |
jede Nachbearbeitung ab. Sie legten Wert auf exakte Kopien. Da nicht jedem | |
Kunstwissenschaftler das Studium großer Sammlungen vor Ort möglich war, | |
boten Fotografien von Exponaten nun eine gute Alternative. | |
Die Kunstgeschichte verdankt der fotografischen Entwicklung wichtige | |
Diskussionen zur Rezeption von Kunst und dem Medium. Bis [2][heute gilt | |
etwa Walter Benjamins Aufsatz] über das Kunstwerk im Zeitalter seiner | |
technischen Reproduzierbarkeit von 1935 als eine der maßgeblichen | |
Untersuchungen zum Thema. | |
Sämtliche Kosten für die dreijährige Kampagne oblagen übrigens Josef Löwy. | |
Lediglich für das Wasser, das zum Entwickeln benötigt wurde, durfte er eine | |
kaiserliche Leitung anbohren. | |
18 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Markus Weckesser | |
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