Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Buch über Freiheitsbewegung in Belarus: Tagebuch des Widerstands
> Der Band „Stimmen der Hoffnung“ erzählt von der belarussischen
> Zivilgesellschaft in ihrem Kampf gegen das Lukaschenko-Regime.
Bild: Minsk, 30. August 2020, als Widerstand sich mit einer Blume ausdrückt
Selbst als Agnja Loika auf der kargen, kalten Pritsche im Gefängnis von
Schodino liegt, ist ihre Hoffnung noch nicht gänzlich erloschen. Sie und
die anderen Oppositionellen in den Nachbarzellen senden sich gegenseitig
Klopfsignale. „Schywe Belarus! – Es lebe Belarus!“, bedeutet ein
Klopfmuster. „Wir glauben! Wir können! Wir siegen!“, ein weiteres. Es sind
Durchhalteparolen, die Loika Mut machen an diesem Ort, an dem Misshandlung
und Folter drohen. Auf den Ärmeln ihres Trainingsanzugs steht ein weiterer
Slogan: „Never Give Up!“ Drei Worte, die gut wiedergeben, wie die
Widerstandsbewegung gegen das belarussische Regime tickt.
Einige Aufzeichnungen, Notizen und Gedichte von Aktivist:innen der
belarussischen Freiheitsbewegung und Künstler:innen sind nun [1][in dem
Band „Stimmen der Hoffnung“] versammelt, der zum Jahrestag der
Wahlfälschungen und der Anfänge der Protestbewegung im Berliner Verlag Das
Kulturelle Gedächtnis erschienen ist. Der eindrückliche Bericht von Agnja
Loika, die eigentlich Marketingmanagerin ist, ist einer der darin
dokumentierten Beiträge.
Prominente literarische Stimmen wie jene von [2][Volha Hapeyeva], [3][Sasha
Filipenko] und [4][Viktor Martinowitsch] stehen neben Beiträgen von zum
Teil anonymen Anhänger:innen der Protestbewegung. Die Texte sind
zweisprachig abgedruckt (Belarussisch/Russisch – Deutsch), sodass sie vor
allem auch den Widerstand im Exil erreichen; die Herausgeberin wurde
anonymisiert. Manche Texte sind dabei den Onlineprojekten [5][„August
2020“] und [6][„Stimmen aus Belarus“] entnommen.
„Man hat den Eindruck, ganz Belarus hat im vergangenen August begonnen zu
schreiben – und schreibt noch immer. ‚Stimmen der Hoffnung‘ ist wie ein
Tagebuch“, sagte der Slawist Heinrich Kirschbaum [7][bei einer
Buchvorstellung kürzlich in Berlin], die man im Stream verfolgen konnte.
## Stolz auf die Menschen von Minsk
Die Textsammlung liest sich wie ein Nebeneinander von hoffnungsfrohen,
euphorischen Texten aus den ersten Tagen der Revolution und erschütternden
Berichten, die davon erzählen, wie die Polizei und die Spezialeinheit Omon
die Protestierenden niederknüppeln und Inhaftierte foltern.
In einem auf den 11. August 2020 datierten Text schreibt „Tamara“ über ihre
Festnahme: „Zuerst waren wir nur Frauen, dann warfen sie auch junge Männer
rein – direkt auf den Boden, stapelweise. Die Omon-Typen traten sie und
schlugen mit Stöcken. […] Ein Omon-Typ schnappte sich einen jungen Mann mit
langen Haaren und fragte ihn, warum er wie ein Weib aussehe. Ein echter
Kerl muss glattrasiert sein, schrie er. Dann holte er ein Messer hervor und
begann, dem Jungen die Haare abzuschneiden. Dabei schnitt er ihm
absichtlich mehrfach ins Gesicht. Und grölte dabei wie ein Tier.“
Auf der anderen Seite ist da aber auch diese bewundernswerte Solidarität
der Menschen, die mit den weiß-roten Flaggen und Armbändern und Blumen auf
die Straße gingen, die aus diesen Texten spricht.
Eine Schreiberin namens Elsa Anselm findet das Gefühl des Zusammenhalts am
besten in dem belarussischen Wort „Hramada“ wieder: „[Hramada] bedeutet
Gemeinschaft, aber der Anklang an das russische gromadnyj – gewaltig –
verstärkt die Wortbedeutung um ein Vielfaches, selbst auf der Ebene der
einzelnen Laute. Hramada – das ist, wenn die Menschen nicht nur durch
gemeinsame Interessen und Ziele miteinander verbunden sind, sondern auch
durch Ort und Zeit, durch Stimmung, Kraft und Geist. Und wenn die Zahl
dieser Menschen gewaltig ist.“
Ein weiterer [8][berührender Text ist der des Schriftstellers Alhierd
Bacharevič, der schildert, wie stolz er auf die Menschen von Minsk ist].
Den einzigen theoretischen Beitrag liefert Viktor Martinowitsch, der sich
mit Hannah Arendts Begriff von der „Banalität des Bösen“ auseinandersetzt.
Martinowitsch widerspricht Arendt in Bezug auf den heutigen belarussischen
Faschismus – dort seien sich die Verantwortlichen jederzeit dessen bewusst,
was sie tun, nur sei die Verantwortlichkeit eben ausgesetzt, erst recht,
wenn die Spezialeinheiten maskiert und anonym prügeln könnten.
Martinowitsch verlässt auch die linke Komfortzone, indem er sich damit
auseinandersetzt, unter welchen Bedingungen sich das Böse in uns allen
instrumentalisieren lässt.
„Stimmen der Hoffnung“ ist ein Buch, dem man gerade in diesen Tagen viele
Leser:innen und Käufer:innen wünscht – hat sich zuletzt die ganze
Grausamkeit des Regimes schließlich erneut in den Fällen [9][des Bloggers
Roman Protassewitsch], des Oppositionellen [10][Vitali Schischow], der
[11][Sportlerin Kristina Timanowskaja] oder der Mittelalterfolk-Band
Irdorath gezeigt. Wie das System Lukaschenko funktioniert, mit seinen
Zivilpolizisten (Tichari), mit den schwarz gekleideten Schlägertrupps, mit
seinen Strafkolonien, davon liefern diese Zeugnisse einen sehr genauen
Eindruck.
18 Aug 2021
## LINKS
[1] http://daskulturellegedaechtnis.de/work/belarus/
[2] /Debuetroman-Camel-Travel/!5743971
[3] /Sasha-Filipenko-ueber-die-Lage-in-Belarus/!5746756
[4] /Roman-ueber-Moskauer-Alltag/!5744626
[5] https://www.august2020.info/de
[6] https://www.facebook.com/Belarusstimmen/
[7] https://www.facebook.com/events/572920547056687/
[8] https://hu-hu.facebook.com/Belarusstimmen/photos/alhierd-bacharevi%C4%8D-mi…
[9] /Festgenommener-Blogger-in-Belarus/!5774183
[10] /Belarussischer-Regimegegner-in-Kiew/!5790802
[11] /Sportdiktatur-in-Belarus/!5787583
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Belarus
Minsk
Widerstand
Repression
Gefängnis
Zivilgesellschaft
Belarus
Ukraine
Literatur
Essay
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
Belarus
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
Russische Literatur
## ARTIKEL ZUM THEMA
Essay der Lyrikerin Volha Hapeyeva: „Sprache ist nie neutral“
Die belarussische Lyrikerin Volha Hapeyeva lebt im deutschen Exil. Und
fühlt sich dort schon fast ein wenig zu Hause.
Belarusischer Autor über Krieg und Kunst: „Die Hoffnung liegt im Menschen“
Im Hamburg feiert sein Roman „Revolution“ Theaterpremiere. Viktor
Martinowitsch über Unterwerfung, Angst und die Kraft der Literatur.
Putin-kritischer Autor Dmitry Glukhovsky: Mit feiner Klinge
Der Schriftsteller Dmitry Glukhovsky ist in Russland ein Star. In seinen
Romanen schreibt er über sein erstarrtes Heimatland und Wladimir Putin.
Das Jahr 2021 in Belarus: Konsolidierung oder Agonie?
Zivilgesellschaftliche Proteste wurden erstickt, Medien zerschlagen,
Oppositionelle festgenommen: 2021 war ein schlechtes Jahr für Belarus.
Autorinnen fordern Handeln wegen Belarus: Geiseln im Hybridkrieg
Jelinek, Müller, Alexijewitsch, Tokarczuk: Vier
Literaturnobelpreisträgerinnen appellieren, alles zu tun, um die Krise an
der Grenze zu Belarus zu lösen.
Repression gegen belarussische Band: Maschinenpistolen gegen Dudelsäcke
Die auch in Deutschland populäre belarussische Mittelalter-Folkband
Irdorath wurde brutal verhaftet. Den Musikern drohen lange Haftstrafen.
Buch über Proteste in Belarus: Die weibliche Massenbewegung
In „Die Frauen von Belarus“ erzählt Journalistin Alice Bota von den
Protagonistinnen der Proteste. Doch sie stellt auch unbekannte Frauen ins
Zentrum.
Autor Sergej Lebedew über Giftmorde: „Sie glauben an Macht und Angst“
Sergej Lebedew erzählt in seinem neuen Roman von Giftanschlägen gegen
russische Oppositionelle. Der Fall Nawalny und Belarus hänge zusammen, sagt
er.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.