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# taz.de -- Putin-kritischer Autor Dmitry Glukhovsky: Mit feiner Klinge
> Der Schriftsteller Dmitry Glukhovsky ist in Russland ein Star. In seinen
> Romanen schreibt er über sein erstarrtes Heimatland und Wladimir Putin.
Bild: „Noch bin ich kein politischer Flüchtling“: Dmitry Glukhovsky
Dmitry Glukhovsky hat beruflich mit der Zukunft zu tun: Er ist als
Science-Fiction-Autor bekannt geworden. Insofern kann es schon erstaunen,
wie oft der Mann von der Vergangenheit spricht. Denn eine der
Grunddiagnosen, die der Moskauer Schriftsteller der politischen Klasse
seines Heimatlandes stellt, ist es, nicht nur die Zukunft, sondern schon
die Entwicklungen der Gegenwart aufhalten zu wollen.
„Die autoritären Regierungen, insbesondere Russland, fürchten die neue
Internet- und Youtube-Kultur, sie haben Angst vor unabhängigen
Journalisten, Künstlern und Comedians. Sie versuchen, den Wandel
hinauszuzögern, indem sie [1][gegen diese lebendige soziale Kultur
angehen,] und glorifizieren die Vergangenheit“, erklärt er. Im Englischen
spricht er von „freezing“, vom „Einfrieren“ der Gegenwart, da scheint d…
soziale Kälte in Russland gleich mitzuschwingen.
Glukhovsky ist zu einem Interview ins Marriott Hotel in Frankfurt am Main
gekommen. Der 42-Jährige ist in Russland ein Starautor. Er hat die
postapokalyptische „Metro“-Trilogie veröffentlicht, allein der 2002
erschienene erste Teil der Reihe, „Metro 2033“, verkaufte sich im Original
mehr als eine halbe Million Mal.
Aus der Romanreihe ist ein ganz eigener Kosmos geworden, es gibt ein
Computerspiel gleichen Namens und weitere Adaptionen. Zuletzt erschienen
von Glukhovsky in Deutschland sein großartiger Krimi „Text“ (2018) sowie
„The Outpost. Der Posten“ (2021), der erste Teil einer weiteren
Science-Fiction-Erzählung.
Geboren und aufgewachsen ist Glukhovsky in Moskau, er entstammt einer
Familie der russischen Intelligenzija. Er hat in Jerusalem Journalismus und
Internationale Beziehungen studiert. Zunächst arbeitete er auch als
Journalist, noch heute schreibt er Kolumnen für die mit dem
Friedensnobelpreis 2021 ausgezeichnete [2][Zeitung Nowaja Gaseta.]
Zeitweilig lebte Glukhovsky auch in Frankreich und Deutschland – nach
Karlsruhe zog er für einige Zeit, um Deutsch zu lernen.
## Nach einem Bürgerkrieg
Heute ist er in Moskau und in Barcelona zu Hause, in Katalonien verbringt
er die Winter. „In gewisser Weise bin ich ein Klimaflüchtling – noch kein
politischer Flüchtling“, sagt er und lacht.
Literarisch geprägt sei er vor allem von den Erzählungen der
Strugatzki-Brüder. Deren Romane „Das Experiment“ und „Picknick am
Wegesrand“ hätten ihn als Jugendlichen begeistert. Mit der Arbeit an der
„Metro“-Trilogie begann er bereits, als er 17 war.
Sein nun auf Deutsch erschienener Roman „The Outpost“ erzählt einmal mehr
von einer Situation nach dem Untergang eines Landes: Russland befindet sich
in einer Zeit nach einem Bürgerkrieg, ein zentralistisches Gebiet
(„Moskowien“) hat sich vom Teil jenseits der Wolga abgespalten – die
verfeindeten Regionen bekämpfen einander, wobei hinter der Wolga eine
mythenumwobene archaische Lebensweise herrschen soll.
Die Handlung spielt in Jaroslawl, wo der östlichste Außenposten des neuen
Landes ist, und sie dreht sich um den jungen Jegor, der von einem besseren
Leben jenseits des Reichs träumt.
## Ein Land ohne Zukunft
Russland sei in seiner Geschichte gefangen, darauf spiele er auch in diesem
Roman wieder an, sagt der Autor, es gehe um die Rückbesinnung auf das
Traditionelle, Orthodoxe und Patriarchale – und den politischen Stillstand.
„‚The Outpost‘ ist wie ein ironisches Märchen. In Russland gibt es keinen
Zukunftsentwurf. Die letzten, die eine Vision für Russland hatten, waren
die Bolschewiken in den 1910er und 1920er Jahren. Das endete im
Terrorisieren der eigenen Bevölkerung, im Blutvergießen und in der totalen
Zerstörung. Seither gibt es keine Zukunftserzählung mehr.“
Entsprechend beschwöre man immer wieder ein besseres Gestern. „Und das ist
nicht nur in Russland so, das kann man auch in Polen, Ungarn und Tschechien
beobachten.“
Dmitry Glukhovsky wirkt wie einer, der seine Heimat nicht verloren geben
will. Humor ist eine der Waffen, die er dazu einsetzt. Im Interview
vergleicht er Wladimir Putin etwa mit der Figur Morra aus den „Mumins“:
„Wie Morra ist Putin auch: ein furchteinflößendes Wesen, das auf der Erde
sitzt und in dessen Gegenwart alles zu erstarren beginnt: das politische,
soziale und kulturelle Leben.“
## Schon gewarnt worden
Auf die unumgängliche Frage, ob er selbst, der sich als Regimekritiker sehr
offen äußert, Angst verspüre, antwortet er: „Eigentlich nicht. Obwohl es
schon Situationen gab, in denen ich gewarnt wurde. Man muss damit umgehen,
glaubwürdig bleiben und versuchen, sich nicht selbst zu zensieren.“ Als
Schriftsteller sei er aber nicht ganz so gefährdet wie zum Beispiel
Journalisten.
Doch auch die Fiktion vermag treffsicher zu kritisieren. Glukhovskys
realistischer Roman „Text“ handelt von einem jungen Mann namens Ilja, der
aus der Lagerhaft kommt und Rache nimmt an dem Polizisten, der ihn einst in
Haft brachte. Indem er das Handy des toten Polizisten an sich nimmt, lebt
er mit dessen Identität weiter.
In „Text“ umreißt Glukhovsky die Verhältnisse in den Haftanstalten und
Straflagern, die inzwischen so viele Oppositionelle kennen: „Im Lager sind
an die hundertfünfzig in einer Baracke, im Knast um die fünfzig in einer
Zelle, die Pritschen haben drei Stockwerke, zum Nachbarschicksal ist’s ein
halber Meter; und jeder hat anstelle einer Lebensgeschichte einen offenen
Bruch; mit hervorstehenden Knochensplittern“, heißt es da in einer Passage.
## Der Kult um Putin
Mit feiner Klinge ironisiert Glukhovsky in „Text“ den Putinkult, einmal
wird da ganz Moskau lahmgelegt, um der Präsidenteneskorte den Weg zu
bahnen. Humorvoll geht er auch mit der Verbindung aus religiös-orthodoxer
Demutsgeste und Obrigkeitstreue um, die die russische Gesellschaft lähmt.
An einer Stelle resümiert der Erzähler: „Auf der Erde ist das Leben so
eingerichtet, dass alle Menschen unbedingt in die Hölle kommen. Besonders
in Russland.“
Sorge bereitet Glukhovsky vor allem, dass die Propaganda immer wieder
wirkt. „Die ultrakonservative Agenda von Seiten der Kirche und des Staats
verfängt: Vor zwei Jahren gab es eine Umfrage in Russland, bei der knapp 50
Prozent der Menschen angaben, dass Schwule und Lesben die gleichen Rechte
wie heterosexuelle Menschen haben sollten. Nun, nach zwei Jahren
[3][massiver Anti-Gay-Propaganda], sind es nur noch rund 30 Prozent, die
das sagen. Es funktioniert also.“
Mit „Text“ hat Glukhovsky bereits einmal die Science-Fiction-Pfade
verlassen, und er will sich auch zukünftig anderen Genres widmen.
Inhaltlich ist er dabei keineswegs auf die Gegenwart und Geschichte
Russlands festgelegt, man kann sich mit ihm genauso über militärische
Technologien und künstliche Intelligenz („Die Ethik hinkt den
technologischen und industriellen Fortschritten leider meist weit
hinterher“) oder Identitätspolitik unterhalten („Je vielteiliger deine
Identität ist, desto komplexer und cooler bist du“).
So oder so: Es wird interessant sein, was von diesem wachen Denker in
Zukunft noch kommt – und wie er selbst mit dem verhärteten politischen
Klima in Russland umgehen wird
10 Jan 2022
## LINKS
[1] /Russland-geht-gegen-NGO-vor/!5822050
[2] /Redaktionsbesuch-in-Moskau/!5805640
[3] /Homophobie-in-Russland/!5772531
## AUTOREN
Jens Uthoff
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