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# taz.de -- Gangsterfilm „No Sudden Move“ im Kino: Er will, was ihm zusteht
> Steven Soderberghs Gangsterfilm „No Sudden Move“ nutzt das Genre, um von
> Rassismus und Klassengegensätzen zu erzählen. Wer oben ist, bleibt oben.
Bild: Sie glauben, sie können Bedingungen stellen: Curt (Don Cheadle) und Rona…
Kurz bevor sich die Fäden in Steven Soderberghs Verwirrspiel „No Sudden
Move“ weitestgehend aufgelöst haben, bekommt ein hochrangiger
Geschäftsführer eines Autokonzerns sein vorübergehend geraubtes Geld
zurück. Doch nicht nur das: Statt der 375.000 Dollar sind über 400.000
Dollar im Koffer, und dann übergibt der Polizist, der dem Geschäftsmann zu
Diensten ist, auch noch einen Umschlag mit 50.000 Dollar, der zufällig
aufgetaucht ist. „Das gehört wohl auch Ihnen“ sagt er nur, und wenn sich
das mehr wie eine Feststellung anhört als eine Frage, kommt man dem Kern
des Films nahe.
Beziehungsweise seinem Subtext, denn lange Zeit wirkt „No Sudden Move“ wie
eine dieser typischen Soderbergh’schen Fingerübungen, wie ein lässig
dahingeworfenes Spiel mit Genremotiven, bei dem einer der fleißigsten
Regisseure Hollywoods einen Haufen seiner Lieblingsschauspieler
zusammengetrommelt hat, um ein bisschen Spaß zu haben. Doch dieser moderne
Film Noir hat weniger mit der „Ocean’s Eleven“-Reihe zu tun als mit Filmen
wie „Magic Mike“ oder [1][„Logan Lucky“], die unter den Genremustern
scharfe Analysen des amerikanischen Traums und vor allem seiner Abgründe
waren.
Schauplatz ist die Autometropole Detroit, das Jahr 1954. Der
US-amerikanischen Industrie geht es noch gut, was man vom Verhältnis der
Ethnien nicht behaupten kann. Kein Wunder also, dass der gerade aus dem
Gefängnis entlassene Curt Goynes (Don Cheadle) wenig begeistert ist, als
ihm ein Job für einen Weißen vermittelt wird. Der undurchsichtige
Mittelsmann ist Mr. Jones (Brendan Fraser), der Curt mit Ronald Russo
(Benicio del Toro), zusammenbringt, der nur mit großem Widerwillen mit
einem Schwarzen zusammenarbeitet.
Dritter im Bunde ist Charley (Kieran Culkin), der jedoch bald eine Kugel in
den Kopf bekommt. Längst ist der angeblich simple Job aus dem Ruder
geraten, denn der Buchhalter Matt Wertz (David Harbour) hat im Tresor
seines Bosses vergeblich nach den Unterlagen gesucht, die den Plot
antreiben.
Einerseits sind diese Unterlagen ein typischer MacGuffin, wie Hitchcock den
Antrieb eines Plots nannte, der in Wirklichkeit aber unwichtig war,
andererseits aber viel mehr: Denn auch wenn Soderbergh mit Lust die Muster
des Film Noir variiert, einen Plot entfaltet, der zunehmend undurchschaubar
erscheint, entwickelt sich „No Sudden Move“ zu mehr als einer
oberflächlichen Variation von Genremotiven.
## Soziale Konflikte kurz vor dem Ausbruch
Schon während der Anfangstitel eingefügte Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus den
50er Jahren deuten die Subtexte an, Bilder von Schwarzen und Weißen sind zu
sehen, von Arbeitern und Industriellen, aus einer Zeit, in der die
US-amerikanische Wirtschaft boomte und die sozialen Konflikte kurz vor dem
Ausbruch standen. Die Bürgerrechtsbewegung sollte bald an Fahrt gewinnen,
die zumindest auf dem Papier zu einer Gleichstellung der Ethnien sorgte.
Doch was sich bei all dem nicht veränderte, war die Vormachtstellung des
Kapitals, der Industriebarone, die es kontrollierten und auch Jahrzehnte
später noch kontrollieren, was den wirklichen Kern der Ungerechtigkeit des
amerikanischen Systems darstellt.
Weniger um „Rassenkonflikte“ geht es dabei, sondern um Klassengegensätze,
wobei in den 50er Jahren noch mehr als heute die Durchlässigkeit der
Gesellschaft gering war. Anders gesagt und um zur anfangs geschilderten
Szene zurückzukommen: Wer arm ist, bleibt arm, wer Geld hat, verdient auch
dann Geld, wenn er eigentlich gar nicht ans Geldverdienen denkt.
## Um ein paar Tausend Dollar betrogen
Nur das, was ihm zusteht, will Curt Goynes, der Schwarze, der, bevor er ins
Gefängnis kam, um ein paar Tausend Dollar betrogen wurde. Nicht wenig Geld
in den 50er Jahren, aber doch lächerlich im Vergleich mit den Summen, mit
denen die Reichen hantieren.
Zwischenzeitlich scheint Curt die Gier zu übermannen, scheint er die
Bodenhaftung zu verlieren, so wie fast alle Figuren in „No Sudden Move“,
die aus ihrem Leben ausbrechen wollen, die Affären haben, von etwas anderem
träumen. Was genau das sein soll, dieses Andere, können sie kaum
definieren, Hauptsache, raus aus dem, was sie haben, weg von dem, was ihnen
der amerikanische Traum als erstrebenswertes Ziel vorgaukelt.
Wie kaum ein anderer Regisseur seiner Generation thematisiert Steven
Soderbergh in seinen Filmen die kapitalistischen Strukturen Amerikas,
stellt die Versprechungen des amerikanischen Traums infrage, den Wunsch,
sich am eigenen Schopf in höhere gesellschaftliche Sphären zu erheben.
Vielleicht auch deswegen zieht es [2][den eklektischen Regisseur immer
wieder zu Geschichten, die in kriminellen Welten spielen], wobei damit
nicht nur das Offensichtliche gemeint ist.
In Soderberghs Welt ist oft schwer zu unterscheiden, wer die größeren
Gangster sind: die Diebe und mehr oder weniger edlen Ganoven, die
trickreiche Coups planen, oder die Bosse der Wirtschaft oder der
Pharmaindustrie, die mit ihren Machenschaften vielleicht viel mehr
anrichten. Am Ende von „No Sudden Move“ kommen zwei Figuren „erfolgreich�…
aus der Sache raus, ein Schwarzer und ein Weißer, der Schwarze mit 5.000
Dollar, der Weiße mit Millionen. C’est la vie.
24 Jun 2021
## LINKS
[1] /Neue-Krimikomoedie-Logan-Lucky/!5447169
[2] /Unsane-im-Berlinale-Wettbewerb/!5484192
## AUTOREN
Michael Meyns
## TAGS
Film noir
Schwerpunkt Rassismus
soziale Klassen
USA
Thriller
Kapitalismus
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