# taz.de -- Agenten-Serie „Die Schläfer“: Echte Ostblock-Atmosphäre | |
> Die tschechische Spionage-Serie „Die Schläfer“ auf Arte wirkt oldschool | |
> und authentisch. Nichts sieht nach billiger Kulisse aus, niemand scheint | |
> verkleidet. | |
Bild: Nach einem Autounfall sucht Marie ihren Mann Viktor, der spurlos verschwu… | |
Die Miniserie in sechs Teilen heißt „Die Schläfer“. Nicht: „Der Schläf… | |
Und der Grund ist nicht einfach der, dass der Titel im Singular schon seit | |
1973 belegt ist von [1][Woody Allen]. Das ist die Plural-Version inzwischen | |
nämlich auch: seit Barry Levinsons „Sleepers“ von 1996. Bei Benjamin | |
Heisenbergs „Schläfer“ (2005) kann es sich grammatisch sowohl um einen | |
Singular als auch einen Plural handeln. | |
Die hier besprochene Serie heißt „Die Schläfer“, es muss also mehr als nur | |
einen von ihnen geben. Ein Schläfer jedenfalls ist ein verdeckt vorgehender | |
Agent, Informant, Saboteur, Terrorist dann, wenn er erst nach einer | |
längeren passiven Zeit aktiv wird. Vorher lebt er unauffällig, hat einen | |
normalen Job, vielleicht sogar eine Frau. | |
So wie Viktor (Martin Myšička), der Dissident, der nach einer dramatisch | |
verlaufenen gemeinsamen Flucht mit der Violinistin Marie (Tatiana | |
Pauhofová) aus der Tschechoslowakei einer Dozenten- und Beratertätigkeit in | |
London nachgeht. Zwölf Jahre sind vergangen, es ist das Jahr 1989, am | |
Vorabend [2][der Samtenen Revolution], als die beiden doch noch einmal in | |
die alte Heimat zurückkehren. | |
Enthielt der ausschlaggebende Brief einer Verflossenen an ihn noch eine | |
besondere Botschaft? Wer hat den Brief vorher geöffnet, ganz old school mit | |
Wasserdampf? Und was hat es mit dem Seifenstück auf sich, das sehr | |
konspirativ auf einer Flughafentoilette an Viktor übergeben wurde? | |
Woraufhin er nach einem scheinbaren Unfall wie vom Erdboden verschwunden | |
ist. Und niemand Marie bei der Suche wirklich helfen zu wollen scheint. | |
Übrigens, alte Spionage-Thriller-Weisheit: Nichts ist, wie es scheint. | |
## Authentisch altmodisch | |
Würde man da nicht einen ganz anderen Namen lesen (Drehbuch: Ondřej | |
Gabriel), man würde jede Wette eingehen, dass dieser Stoff [3][auf John le | |
Carré] zurückgehen müsste. Wie sich da nicht nur die Geheimdienste | |
verschiedener Länder belauern, sondern vor allem auch die verschiedenen | |
Abteilungen innerhalb der Dienste: „Prag ist unser Revier, nicht eures, | |
aber ich verstehe ja, ihr habt diesen Wahnsinns-Maulwurf in der StB, den | |
gebt ihr nicht aus der Hand.“„Den geben wir natürlich nicht aus der Hand. | |
Wir brauchen ihn, lebend! Ihre Abteilung ist kompromittiert.“ | |
Der das sagt (David Nykl), ist ein kleiner, äußerlich unauffälliger | |
mittelalter Mann mit Brille – und geht als solcher ohne Weiteres als | |
Wiedergänger George Smileys durch, le Carrés Protagonisten in etlichen | |
Romanen, Nebenfigur in einigen. Tatsächlich ist die nächstliegende | |
filmische Referenz die 1979er BBC2-Miniserien-Version von „Tinker Tailor | |
Soldier Spy“ mit Alec Guinness in der Rolle des George Smiley. Es gib noch | |
eine auch recht gelungene Spielfilm-Version von 2011 – aber da ist das | |
1970er-Jahre-Setting eben als Kulisse erkennbar, sieht etwa der | |
abhörsichere Besprechungsraum der Abteilungsleiter arg retro aus, als hätte | |
ein Ken Adam sich das ausgedacht. | |
Die Behördenzimmer der Serienvariante sehen hingegen grau, karg, eng und | |
bieder aus. In anderen Worten: echt. Und es ist schon erstaunlich, wie nun | |
diese neue – von HBO Europe produzierte (Regie: Ivan Zachariáš) – | |
tschechische Serie „Die Schläfer“ es schafft, die spezifische | |
bürokratisch-schäbige Ostblock-Atmosphäre der Jahre 1977 und 1989 zu | |
rekonstruieren, nicht nur, aber auch in Sachen Ausstattung. Nichts sieht | |
nach Kulisse aus, niemand verkleidet. | |
Vergleicht man die beiden Adaptionen von „Tinker Taylor Soldier Spy“, wird | |
auch augenfällig, wie sehr sich das filmische Erzähltempo über die Jahre | |
beschleunigt hat. Dabei liegt der Reiz des Stoffes eigentlich in der | |
Langsamkeit (der Serie): Man lauscht unzähligen Dialogen, versteht die | |
Worte unmittelbar, die Konstellationen und Motive aber erst nach und nach. | |
Und noch mehr als die authentische Ausstattung erstaunt, dass „Die | |
Schläfer“ sich genau 30 Jahre später auf diese nach heutigen Maßstäben | |
höchst ungewöhnliche Erzählweise zurück besinnt. | |
Auch die beiden Ermittler von der Staatssicherheit, die nach Viktor suchen, | |
scheinen im Dunkeln zu tappen: „Die republikflüchtige Tochter eines | |
Oppositionellen wird bewusstlos vor einem bekannten Dissidententreff | |
gefunden. Und ihr Typ, der auch in den Westen abgehauen ist, verschwindet. | |
Bisschen schräg, oder?“ | |
Sie werden sehr einfühlsam gezeichnet: der jüngere (Martin Hofmann) hat | |
eine geheime Affäre mit der Sekretärin, der ältere (Jan Vlasák) eine | |
sterbende Frau zu Hause. Sie sind eigentlich die beiden sympathischsten | |
Figuren im Cast der Serie. Die aber heißt nicht „Der …“, sondern „Die | |
Schläfer“. | |
19 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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