# taz.de -- Mini-Serie „Box 21“: Lisbeth Salander light | |
> Die Serie „Box 21“ erzählt von Zwangsprostitution. Gelungen sind die | |
> wehrhaften Frauen, weniger gelungen ist die Glaubwürdigkeit. | |
Bild: Hauptfigur Lidia (Ioana Ilinca Neascu) | |
Vor über 20 Jahren hat Schweden als erstes Land der Welt ein Gesetz | |
erlassen, das den Kauf von sexuellen Dienstleistungen unter Strafe stellt, | |
nicht aber den Verkauf. Das „Sexkaufverbot“ zieht also Freier, nicht aber | |
die Prostituierten zur Verantwortung. Mit verschiedenen Abwandlungen hat | |
sich [1][dieses „Nordische Modell“] unter anderem in Norwegen, Kanada und | |
Frankreich durchgesetzt, bleibt aber umstritten. | |
Kritiker*innen monieren, dass Sexarbeit nur weiter in den Schatten | |
gedrängt und nicht nur die Tätigkeit selbst, sondern auch ihre | |
Anbieter*innen stigmatisiert würden. Befürworter*innen wiederum | |
[2][betrachten den Kauf sexueller Dienstleistungen generell als Gewalt] | |
gegen Frauen, als etwas, das patriarchalen Denkmustern entspringt und sie | |
gleichsam verfestigt. Studien zu den Auswirkungen des Modells kommen | |
regelmäßig zu widersprüchlichen Ergebnissen – was umso mehr Raum für | |
emotional aufgeladene Debatten lässt. Hierzulande kochten sie kurz vor der | |
Bundestagswahl hoch, als sich unter anderem die Frauen-Union für ein | |
Prostitutionsverbot aussprach. | |
## Handlungsort irrelevant, Entstehungsort nicht | |
Dass „Box 21“, die Serienadaption des Krimis „Blasse Engel“ des | |
Autoren-Duos Roslund und Hellström, von Zwangsprostitution erzählt und | |
ausgerechnet in Schweden spielt, hätte also eine spannende Möglichkeit | |
geboten, sich zur besonderen Gesetzgebung des Landes zu positionieren. | |
Darauf verzichten die sechs Folgen leider konsequent und wagen sich nicht | |
über die gänzlich unumstrittene Tatsache hinaus, dass unter direktem Zwang | |
erbrachte sexuelle Dienste und Menschenhandel unbedingt bekämpft werden | |
müssen. Dass der Handlungsort Schweden ist, ist damit irrelevant. | |
Im Fokus steht zunächst Lidia (Ioana Ilinca Neascu), die in Bukarest als | |
Kellnerin arbeitet und dort von einem vermeintlich einfachen Gast dazu | |
überredet wird, ihm nach Stockholm zu folgen. Kurz darauf entpuppt sich | |
Lucian (Christian Bota) als Zuhälter eines Frauenhändlerrings, bereits auf | |
der Fähre wird sie zum ersten Mal von einem Mittäter vergewaltigt. | |
## Wehrhaft gegenüber Peinigern | |
Während es für die Geschichte keinen Unterschied macht, dass sie in | |
Schweden spielt, macht es sehr wohl einen, dass sie von dort kommt: Als | |
Skandinavienkrimi blickt „Box 21“ nicht nur hinter die Fassade des | |
scheinbar so harmonischen Zusammenlebens im Norden Europas – sondern | |
zeichnet Frauenfiguren, die in der Tradition der Protagonistin einer der | |
bekanntesten Reihen des Genres, der „Millenium“-Trilogie von Stieg Larsson, | |
stehen. | |
Ebenso wie Freundin und Kollegin Alina (Anda Sârbei), die auch zur | |
Prostitution gezwungen wird, zeigt sich Lidia wehrhaft gegenüber ihren | |
männlichen Peinigern: Gleich bei ihrer Ankunft provoziert sie, indem sie | |
sich kurzerhand einen Buzz Cut verpasst, nachdem Lucian sie darauf | |
hinweist, dass „schwedische Männer auf rasierte Frauen stehen.“ Sie | |
arbeitet auf ihre Flucht hin, indem sie Freier bestiehlt und die Beute in | |
einem Schließfach, der titelgebenden „Box 21“, aufbewahrt. | |
## Wendungen störend überzeichnet | |
Als ihre Situation ausweglos erscheint, beschließt sie, mit einer | |
Geiselnahme Rache zu üben. Spätestens dann wird Lidia zu einer Lightversion | |
der nicht minder radikal auftretenden Lisbeth Salander. Um ihre Storyline | |
herum entspinnen sich zwei weitere, die illustrieren, wie sehr der | |
Menschenhandel selbst Leben von lediglich indirekt Betroffenen aus den | |
Bahnen wirft: So geht es einerseits um die persönlichen Tragödien, die sich | |
durch die Arbeit im Privatleben von Ermittler Ewert Grens (Leonard Terfelt) | |
abspielen, andererseits wird durch den Handlanger Jochum (Joakim Sällquist) | |
ein vergeblicher Versuch eines Täters beleuchtet, auszusteigen. | |
Gerade hier wirken einige Wendungen störend überzeichnet, und auch die | |
Hochglanzoptik, in der der Horror schwersten sexuellen Missbrauchs | |
dargestellt wird, kratzt bisweilen an der Glaubwürdigkeit von „Box 21“. | |
Solide ist die Serie dennoch – sehenswert ist sie, mehr noch als aufgrund | |
ihrer nüchternen gesellschaftskritischen Anklänge, aber wegen ihrer | |
exzeptionellen Frauenfiguren. | |
12 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Nordisches-Modell/!5629886 | |
[2] /Schwedens-Prostitutionsbeauftragter/!5222543 | |
## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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