# taz.de -- Neuer Thriller von Yassin Musharbash: Das Handwerk der Wahrheit | |
> „Russische Botschaften“ ist ein Thriller über Fake News und | |
> Investigativjournalismus. Journalist und Autor Yassin Musharbash zeigt | |
> viel Insiderwissen. | |
Bild: Die Spuren der Fake News führen nach Russland. Szene in der Moskauer Met… | |
Ein Roman als mögliches Lehrbuch an der Journalistenschule und zugleich als | |
spannende Lektüre? Yassin Musharbash ist das gelungen. Sein neues Buch | |
könnte durchaus als Pflichtlektüre für den Nachwuchs der schreibenden Zunft | |
dienen. Denn der Thriller „Russische Botschaften“ setzt sich mit dem | |
auseinander, mit dem der Autor im Hauptberuf seine Brötchen verdient, dem | |
Investigativjournalismus. | |
Im Mittelpunkt des Romans steht die bereits aus dem Vorgänger Werk | |
„Jenseits“ bekannte Journalistin Merle Schwalb vom Globus. Sie steigt in | |
das Investigativteam des Magazins auf. Ausgerechnet als ihr dies mitgeteilt | |
wird, klatscht ein junger Mann neben ihr auf den Boden und bleibt tot | |
liegen. | |
Was zuerst wie „Clan-Scheiß“ aus Neukölln aussieht, wird schnell zum | |
Spionagefall. Der Gestürzte war Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes | |
GRU. Als Doppelagent lieferte er auch dem deutschen Verfassungsschutz zu. | |
Sein letzter Verrat sollte eine Liste von Deutschen werden, die vom Kreml | |
bezahlt die deutsche Öffentlichkeit beeinflussen sollen. Doch der tödliche | |
Balkonsturz – Mord? Unfall? – kam ihm dazwischen. | |
Diese Liste gelangt schließlich über einen anderen GRU-Mitarbeiter und | |
Freund des Toten an einen alten Bekannten von Schwalb, an Timur Zossen – | |
auch er Investigativjournalist, allerdings bei der Konkurrenz von der | |
Norddeutschen Zeitung, der NZ. Das besonders Heikle: Auf der teilweise | |
verschlüsselten Liste steht auch der Wirtschaftschef der NZ und „das andere | |
Geschlecht“, wie die Globus-Belegschaft ihre Herausgeberin und | |
Eigentümerin, Adela von Steinwald, nennt. | |
Diese Situation führt zu einer Premiere. Die Investigativteams der beiden | |
Blätter schließen sich nach längeren Überlegungen zusammen. Statt einem | |
„Rattenrennen“ – wie es im Journalistenjargon heißt, wenn zwei Konkurren… | |
hinter der gleichen Nachricht her sind – kommt es zu einer gemeinsamen | |
Untersuchung der Liste und ihres Wahrheitsgehalts. Freilich hinter dem | |
Rücken der beiden Publikationen und deren Chefs. Eine nicht ganz | |
ungefährliche Recherche beginnt. | |
## Vorwurf der Lügenpresse | |
„Russische Botschaften“ handelt von Operationen des Kreml und seines | |
Umfeldes, um die Gesellschaften bestimmter Länder gezielt zu spalten. Es | |
ist ein Buch in Zeiten von Fake News und breiter Online-Operationen, die | |
mit ausländischer Unterstützung – siehe Trump – sogar wahlentscheidend se… | |
können. Und es ist ein Roman in Zeiten, in denen die Presse durch Skandale, | |
wie der um einen preisgekrönten [1][Reporter, der seine Geschichten | |
erfunden hat,] ihren guten Ruf immer mehr verliert. | |
Auch die Hauptfigur Merle Schwalb sieht sich dem Vorwurf der „Lügenpresse“ | |
ausgesetzt. Sie kämpft dagegen an, sieht sich der Wahrheitsfindung | |
verpflichtet. Die Tatsache, dass die Wahrheit sehr vielschichtig sein kann, | |
bestimmt den Fortgang der Handlung. Es geht letztendlich um die Frage, ob | |
[2][die Wahrheit wirklich stärker ist als die Lüge.] | |
Musharbash verteidigt mit „Russische Botschaften“ den guten Journalismus, | |
ohne dass dabei die Spannung, die einen Thriller schließlich zum Thriller | |
macht, zu kurz kommt. Der Autor, der, was das Thriller-Schreiben angeht, | |
wohl so manches [3][bei John Le Carré gelernt] haben dürfte, für den er | |
eine Zeitlang als Rechercheur tätig war, gibt einen Einblick in das | |
journalistische Handwerk, das guten Magazintexten zugrunde liegt; und er | |
erlaubt dem Leser, Mäuschen in den Redaktionen großer deutscher Medien zu | |
spielen. | |
## Anspielungen auf Medienwelt | |
Bewusste Anspielungen auf die Medienwelt und die Hauptstadtblase, in der | |
Berliner Journalisten leben, schließt Musharbash, der nach Stationen bei | |
taz und Spiegel Online inzwischen als Investigativer bei der Zeit arbeitet, | |
ausdrücklich zu Beginn des Buches nicht aus. Der Autor bedient sich gerne | |
eines feinfühligen Humors, besonders wenn es um Skandale, wie der um einen | |
vermeintlich rassistischen Gastronomiekritiker innerhalb der Redaktionen | |
oder um das Ambiente bei Verleihungen von Journalistenpreisen geht. | |
So manche/r von Musharbashs HauptstadtkollegInnen wird beim Lesen | |
manchmal nervös auflachen, oder es bleibt ihm/ihr das Lachen im Halse | |
stecken. Dem Rest der Sterblichen sei das Buch als unterhaltende und | |
aufschlussreiche Lektüre empfohlen. | |
19 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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