# taz.de -- Als Leserbrief getarnter Hass: Lachen im Fickdeppenarschland | |
> Drei Journalisten, eine irritierende Performance und kübelweise | |
> Beschimpfungen ihrer Leser: eine kathartische Lesung von Hate Poetry in | |
> Berlin. | |
Bild: Mely Kiyaks Hammelkopf: Der grinst doch vor sich hin ... | |
Der Hammelkopf war nötig, das Fleischermesser, das Köpfen der Melone, das | |
schwarze Kopftuch, das blutverschmierte Playboy-Heft. Der Ekel. | |
Am Ende wickelte sich die Kolumnistin Mely Kiyak auf der Bühne das Kopftuch | |
um, kramte nach und nach, stets hinter sich und unter den Tisch greifend, | |
das Fleischermesser und die Wassermelone hervor, halbierte sie mit einem | |
gekonnten Schlag, puhlte einen blutigen, felllosen Hammelkopf aus weißen | |
Plastiktüten hervor und legte ihn neben das Herrenmagazin auf eine silberne | |
Plastikschale. Die irritierende Performance der Journalistin im Ballhaus | |
Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg brachte das Schaudern zurück. Es war im | |
vielen Lachen an diesem Abend lange Zeit untergegangen. | |
„Hate Poetry. Fanpost und andere deutsche Gebrauchsliteratur“ nannte sich | |
die Lesung, die am Sonntagabend rund 250, meist jüngere Leute der eher | |
linken Szene anlockte – der Saal war voll. „Schön, dass Sie zwischen zwei | |
Ehrenmorden noch Zeit finden, eine Kolumne zu schreiben“, war das Motto der | |
zweieinhalbstündigen Veranstaltung. Es war eine Art Exorzismus. | |
Denn zeitweise schien es, als trieben Mely Kiyak (Frankfurter Rundschau), | |
Buchautor und Journalist Yassin Musharbash sowie taz-Redakteur Deniz Yücel | |
durch Vorlesen der an sie gerichteten Zuschriften ganz für sich allein all | |
die Teufel aus, die sie seit Jahren verfolgten: Rassismus und | |
„Ausländer“-Hass vor allem, aber auch Sexismus und Antisemitismus. In | |
Buchstaben gequetschter, als Leserbrief getarnter Hass. | |
Kiyaks Ensemble aus Hammelkopf, Melone und Playboy war der Preis für das | |
Finale, bei dem die drei Protagonisten in der Kategorie „Kurz und | |
Schmutzig“ ihre Leserzuschriften im fröhlichen Wettbewerb gegeneinander | |
antreten ließen. Andere der insgesamt sechs Kategorien hießen „Große Oper�… | |
„Falsche Freunde“ oder schlicht „Abo“, und die vom Publikum per Applaus | |
vergebenen übrigen Preise waren ein entsetzlich kitschiges Mokkaservice, | |
ein Moscheewecker mit blechernem Muezzin-Ruf oder ein mit | |
schwarz-rot-goldenen Bändern verziertes Porträtbild des Bundespräsidenten | |
Joachim Gauck. | |
Sicher, viele der vorgelesenen Briefe dieses Abends waren völlig absurd, | |
etwa diese Zuschrift an Deniz Yücel: „Schade, dass ich kein taz-Abo habe. | |
Würde es so gerne abbestellen.“ Oder jene an Mely Kiyak: „Ich lese diese | |
Zeitung nicht mehr, aber trotzdem: Wenn sich diese anatolische Eselhirtin | |
hier unter uns unwohl fühlt, warum verfatz sie sich dann nicht in ihre mit | |
Ziegenkacke gepflasterte Heimat?“ | |
Dazu passt auch diese Zuschrift an die Kolumnistin: „Ich fühle mich Ihnen | |
sehr nahe, so etwas passiert mir selten. Sind Sie auch, genau wie ich, | |
immer mal wieder in psychatrischer Behandlung?“ Da wurde viel gelacht im | |
Publikum – und gegen Ende des Abends lachten die drei Journalisten auf dem | |
Podium selbst so viel, dass die ganze Veranstaltung minutenlang kaum | |
fortzusetzen war. | |
## „Übrigens: Ich bin politisch Mitte-Links!“ | |
Aber natürlich blieb allen auch immer wieder das Lachen im Halse stecken. | |
Etwa bei diesem Leserbrief an Yassin Musharbash: „Hiermit spreche ich eine | |
Fatwa gegen Dich aus. Und morgen wird Dir ein hübsches Paket zugestellt, Du | |
weißt schon, die bestellten Druckertoner aus Deiner Heimat | |
Fickdeppenarschland.“ Oder bei diesem Leserbrief an Deniz Yücel: „Oh man, | |
wie ich die Nazis hasse. NSU, NSU blabla.. und wo ist dann die NSU wenn man | |
sie braucht? Nette Dönerverkäufer abknallen aber Deniz Yücel stehen lassen? | |
Was soll das denn?“ | |
Das war übrigens das vielleicht Gruseligste an diesem Abend: Dass viele | |
Leserbriefe ganz offensichtlich nicht von dumpfen Neonazis geschrieben | |
worden sind – sondern von halbwegs intelligenten, bitteren und Hass | |
versprühenden Männern und Frauen, manchmal mit Doktortiteln, die sich | |
selbst als tolerant oder gar links begreifen. | |
Ein Beispiel ist dieser Leserbrief an Mely Kiyak: „Wenn man nachts durch | |
Berlin-Kreuzberg/Neukölln, Essen-Karnap usw. geht, kann man froh sein, dass | |
man das überlebt hat. Ich bin dafür, Intensivtäter ohne mit der Wimper zu | |
zucken, abzuschieben (gleichgültig, ob sie eine deutsche Staatsbürgerschaft | |
haben oder nicht). Übrigens: Ich bin politisch Mitte-Links!“ | |
Yassin Musharbash sagte zum Abschied für die drei Journalisten: Das | |
Vorlesen und das Lachen über die Leserbriefe helfe, mit der Wut und dem | |
Schmerz umzugehen, die diese Schreiben verursachten – Gefühle, mit denen | |
man zunächst allein sei und die einem manchmal den Schlaf raubten. Der | |
Abend hatte etwas von einer Katharsis. Der blutige Hammelkopf, den Mely | |
Kiyak aus den Plastiktüten zog, schien vor sich hin zu grinsen. | |
2 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
Philipp Gessler | |
## TAGS | |
Literatur | |
Messerattacke | |
Ausgehen und Rumstehen | |
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