# taz.de -- Politthriller über ostdeutschen IS-Kämpfer: Eine andere Realität | |
> „Jenseits“ ist ein bemerkenswerter Roman über einen jungen Ostdeutschen, | |
> den es zum IS zieht. Der Autor ist Investigativjournalist bei der „Zeit“. | |
Bild: Ein Bild von IS-Kämpfern aus dem Jahr 2014 | |
Wenn einem Buch ein Zitat des Altmeisters der Spionageromane John Le Carré | |
voransteht, dann lässt dies eigentlich nur zwei Urteile zu: Entweder ist | |
der Autor größenwahnsinnig oder er hat tatsächlich ein gutes Werk | |
abgeliefert. Für Yassin Musharbash gilt Letzteres. Der neue Roman des | |
Investigativjournalisten („Jenseits“) ist ein gelungener Politthriller. Die | |
Geschichte rund um einen deutschen Kämpfer des „Islamischen Staats“ (IS) | |
darf sich durchaus mit den Großen des Genres vergleichen. Musharbash, Sohn | |
einer deutsch-jordanischen Familie, bringt in seinem zweiten Roman seine | |
Kenntnisse über die arabische Welt, die zunehmende Radikalisierung vieler, | |
vor allem junger Muslime, und den Dschihad ein. | |
Der junge Ostdeutsche Gent Sassenthin bricht nach einem schweren | |
persönlichen Schlag sein Medizinstudium ab, konvertiert zum Islam und reist | |
nach Syrien, wo er sich dem IS anschließt. Er arbeitet als Sanitäter in | |
Rakka, der Hauptstadt des „Kalifats“, in einem Krankenhaus, heilt | |
Kriegsverletzte, vollstreckt aber auch Gerichtsurteile an gemeinen | |
Verbrechern, in dem er etwa Dieben die Hand amputiert. Bis er ins Zweifeln | |
kommt und mit seinen Eltern Kontakt aufnimmt. Diese suchen einen Weg, um | |
ihren Sohn zur Rückkehr zu bewegen, und wenden sich an den Berater für | |
Familien Radikalisierter, Titus Brandt. Die Behörden ermitteln derweil | |
ebenfalls. | |
Verfassungsschützer Sami Mukhtar im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum | |
in Berlin hofft darauf, dass der junge Mann überläuft und Geheimnisverrat | |
verübt. Journalistin Merle Schwalb wittert eine große Geschichte. Der IS | |
inszeniert seinen angeblichen Tod. Welche Pläne haben die Islamisten mit | |
dem jungen Deutschen? Will dieser wirklich aussteigen oder ist er Spielball | |
anderer Interessen? | |
„Jenseits“ beschreibt Sassenthins Werdegang vom frustrierten Jugendlichen, | |
der dem Alkohol und den Drogen zuspricht, hin zu einem gläubigen und | |
schließlich radikalen Muslim. Sassenthin radikalisiert sich in Deutschland | |
zwischen seinen beiden Lehrern, dem zwar orthodoxen Salafisten Abu Karim, | |
der dennoch die Gewalt ablehnt, und dem Dschihadisten Abu Muhanad. Gent | |
überzeugen schließlich die radikalen Ansichten des Zweiten. Musharbash | |
versucht zu erklären, was in den Köpfen derer passiert, die von Europa aus | |
in den Krieg für das „Kalifat“ zu ziehen. | |
Und er beschäftigt sich mit den überforderten Beamten in den Behörden und | |
Geheimdiensten. Bis auf Antiterrorspezialist Mukhtar begreifen sie nicht | |
wirklich, was geschieht. Musharbash lässt gekonnt seine Erfahrungen in das | |
Buch einfließen. Er weiß, wie sich das Leben in Deutschland, aber auch in | |
der arabischen Welt anfühlt. Er beschreibt die Orte der Handlung aus | |
eigener Anschauung: Berlin, Beirut, Aman, Städte in Syrien. | |
## Weder hier noch dort | |
Der Autor beschreibt in der Figur des Mukhtar die Gefühle eines in zwei | |
Kulturkreisen verankerten Menschen; dieses Empfinden, nie ganz | |
dazuzugehören, weder hier noch dort. „Ich wollte einerseits darüber | |
schreiben, wie eine Radikalisierung abläuft, und zwar so, dass es wirklich | |
plausibel ist, nicht nur für die Leser, auch für mich selbst. Das Zweite | |
war: Ich wollte die merkwürdige Erfahrung beschreiben, die ich immer wieder | |
gemacht habe, dass sich eine Geschichte wie die eines Terroristen, ganz | |
unterschiedlich anfühlen kann und abspielt, je nachdem, aus wessen Sicht | |
man sich nähert“, erklärt Musharbash. | |
Entsprechend wird Sannathins Geschichte aus der Perspektive der Eltern | |
des Verfassungsschützers Sami Mukhtar, des Sozialarbeiters und | |
Familienberaters Titus Brandt, der Journalistin Merle Schwalb und aus dem | |
eigenen Erleben Gents in Syrien geschildert. Die große Frage: Ist | |
Sassenthin nun tot, lebt er noch? Je nachdem, wer erzählt, ist die Antwort | |
eine andere. So stellt Musharbash auch die Frage nach den Quellen, auf die | |
er sich selbst bei seiner Pressearbeit oft stützen muss. Wie glaubwürdig | |
sind sie? „Die Geschichten, die wir Journalisten erzählen, sind oft so | |
lückenhaft, wir interpolieren so viel, und manchmal geht darüber verloren, | |
dass es eine andere Realität gibt“, sagt der Autor. | |
13 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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