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# taz.de -- IS-Prozess in Hamburg: Mutmaßliche Dschihadisten angeklagt
> In Hamburg stehen sechs junge Männer vor Gericht, weil sie nach Syrien
> gereist sein sollen, um sich vom sogenannten Islamischen Staat (IS)
> ausbilden zu lassen
Bild: Reichlich Gelegenheit zum Heldentod: Das Schlachtfeld al-Rakka in Syrien
Hamburg taz | Der Vorwurf lautet „Vorbereitung einer schweren
staatsgefährdenden Gewalttat“: Sechs Deutsche im Alter von 17 bis 26 Jahren
hat die Hamburger Staatsanwaltschaft angeklagt, weil sie versucht haben
sollen, gemeinsam nach Syrien auszureisen. Dort hätten sie sich beim
sogenannten Islamischen Staat (IS) militärisch schulen und mit dem Wissen
Anschläge verüben wollen.
Der Islamische Staat erhält seit seiner Gründung 2013 Zulauf aus
Deutschland, wenn auch 2015 und 2016 nicht mehr so stark. Ende 2016 lagen
dem [1][Bundesamt für Verfassungsschutz] „Erkenntnisse zu mehr als 890
Personen vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist sind, um dort auf Seiten
des IS und anderer terroristischer Organisationen an Kampfhandlungen
teilzunehmen oder diese Gruppierungen in sonstiger Weise zu unterstützen“.
Selbiges planten nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft auch die sechs
jungen Männer aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen, die am 7.
April dieses Jahres gemeinsam vom Hamburger Hauptbahnhof aus Richtung
Türkei aufgebrochen sind. Der 17-Jährige wurde schon an der österreichisch-
ungarischen Grenze aufgehalten, weil er mit fremden Papieren unterwegs war,
die anderen an der bulgarisch-türkischen Grenze. Seit dem 20. April sitzen
sie in Untersuchungshaft.
Vier der Angeklagten müssen sich nach Auskunft des Gerichts außerdem dafür
rechtfertigen, dass sie im März 2017 gegen eine Ausweiskontrolle Widerstand
leisteten. Dabei sollen Einzelne Polizisten angegriffen und beleidigt und
den Versuch unternommen haben, Gefangene zu befreien.
Die Angeklagten hätten sich „ab Juli 2015 radikalisiert und sich der
salafistisch-dschihadistischen Szene angeschlossen“, behauptet die
Staatsanwaltschaft. Ab März 2016 hätten sie ihre Ausreise nach Syrien
geplant. Anhaltspunkte für die Vorwürfe gebe es in den sozialen Netzwerken,
sagte ein Gerichtssprecher. Auch existierten handschriftliche To-do-Listen.
Vor der Reise hätten die Angeklagten ihre Bärte abrasiert und ihre
salafistische Kleidung gegen westliches Outfit getauscht.
Der Dschihadismus sei ein Phänomen der Jugendkultur, bestätigt Andreas Zick
von der Universität Bielefeld. „Der IS bietet ihnen ein
Turboerwachsenwerden.“ 14-/15-Jährige können zum Löwen werden, wie sie das
nennen, zum ernst zu nehmenden Kämpfer, wobei der Mudschaheddin das
Rollenvorbild sei.
Zick hat zusammen mit KollegInnen von den Universitäten Bielefeld und
Osnabrück den vier Monate währenden Whatsapp-Chat einer Gruppe
[2][ausgewertet], die im April 2016 einen Sprengstoffanschlag in Essen
verübte. Bei dem Attentat auf eine Hochzeitsfeier in der Sikh-Gemeinde
wurden drei Menschen verletzt, einer davon schwer. Die drei später
verurteilten Haupttäter waren in Deutschland geborene Minderjährige.
Bei der Auswertung der Essener Whatsapp-Chats haben die Forscher einige
Spezifika herausgearbeitet, die auch für andere derartige Gruppen gelten
dürften: Es handelte sich um Teenager, die sich in typischer Weise von den
Erwachsenen in Elternhaus, Schule und Moschee nicht verstanden fühlten. „Es
gab überhaupt keine Kommunikation über das, was die Jugendlichen
beschäftigt, mit den Eltern“, berichtet Zick.
Die Jugendlichen hätten sich nicht so sehr über eigene
Diskriminierungserfahrungen ausgetauscht, sondern eher über die Wahrnehmung
ihrer Eltern als Opfer, als Menschen, die nichts zu sagen hätten.
Gleichwohl plage sie ein Gefühl der Minderwertigkeit, des zu den Verfolgten
Gehörens. „Natürlich kriegen die Jugendlichen mit, wie man über sie redet�…
sagt Zick.
Sobald solche Jugendlichen dann im Internet anfingen, etwa etwas zu Syrien
zu posten, würden sie von Islamisten angesprochen. „Das funktioniert
relativ schnell“, sagt Zick. „Der IS hat eine dramatisch gute Jugendarbeit
gemacht.“
Hätten die Jugendlichen einmal an so eine Gruppe angedockt, wachse der
Druck schnell, alle anderen Bindungen abzubrechen. Die Essener Gruppe habe
sich eine Parallelwelt mit eigener Kleidung, eigener Musik und eigenen
Predigten gebaut.
Besonders gefährlich an den oft autonom agierenden Gruppen sei, dass es in
ihnen weniger um Ideologie gehe, sondern darum, etwas zu tun. „Die
Radikalisierung beschleunigt sich, wenn man sich unter das Diktat der Tat
stellt“, sagt Zick. „Von solchen Gruppen haben wir in Europa sehr viele.“
15 Oct 2017
## LINKS
[1] https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/ve…
[2] https://www.springer.com/gp/book/9783658179496#aboutAuthors
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
IS-Terror
„Islamischer Staat“ (IS)
Radikalisierung
Syrischer Bürgerkrieg
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Schwerpunkt Syrien
Anis Amri
Polizei
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„Islamischer Staat“ (IS)
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Radikalisierung
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