Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Radikalisierung von Jugendlichen: „Der Islam ist nur ein Steinbru…
> Wie bringen Salafisten junge Mädchen wie Linda W. dazu, in den Krieg zu
> ziehen? Thomas Mücke kämpft gegen Radikalisierung und kennt die Methoden.
Bild: Für einige ein attraktives Reiseziel: die irakische Stadt Mossul
taz: Herr Mücke, Sie kämpfen mit Ihrer Organisation gegen die
Radikalisierung von Jugendlichen, auch von Mädchen wie [1][Linda W]. Wie
bringt der Islam junge Frauen dazu, in den Krieg zu ziehen?
Thomas Mücke: Die Betroffenen hatten vorher oft gar keinen Bezug zur
Religion. Sehr viele unserer Fälle waren vorher katholisch oder gar nicht
gläubig und haben sich erst plötzlich für den Islam interessiert. Der Islam
ist hier nur ein Steinbruch, um extremistische Ideologien
zusammenzubasteln. Es geht erst mal nur um das Wir-Gefühl, diese
Geborgenheit. Dann wird die Ideologie obendrauf gesetzt.
Wie kann die IS-Ideologie denn dazu benutzt werden, Mädchen Geborgenheit zu
vermitteln?
Viele der Mädchen wollen zuerst nur aus ihrer Realität flüchten, weil sie
unglücklich sind oder etwas Schlimmes erlebt haben. Es geht nicht darum,
wohin, sie flüchten einfach. Dann bekommen sie ein Angebot, das ihnen ein
besseres Leben verspricht. Die Hassprediger wissen genau, wie man jungen
Leuten ein Gefühl von Anerkennung gibt, das ihnen vorher gefehlt hat.
Gerade im Alter von 13 bis 15 Jahren sind viele dafür extrem anfällig.
Welche Vorgeschichten haben die Mädchen denn, um anfällig für
Radikalisierung zu werden?
Wir haben einen Fall, bei dem der Vater sehr islamfeindlich war und sich
die Tochter aus Protest dem Islam zugewandt hat, eine Art jugendlicher
Rebellion. In ihrer Moschee ist sie dann an die falschen Leute geraten.
Andere Mädchen haben Missbrauch erlebt und suchen nach einer Welt, in der
Körperlichkeit scheinbar keine Rolle mehr spielt. Das wird ihnen mit der
Burka versprochen. Ein Mädchen hat seinen Vater verloren. Dann spricht sie
jemand in der Schule an, ob sie nicht mal in den Gesprächskreis mitkommen
möchte, um über das Jenseits zu reden. Sie war auf der Suche nach
Trauerbewältigung und war plötzlich in der salafistischen Szene, innerhalb
von drei Monaten wäre sie fast nach Syrien gereist.
Zwischen einem Gesprächskreis und der Ausreise nach Syrien liegt noch viel.
Wie schaffen es diese Gruppen, die Mädchen zu diesem extremen Schritt zu
bringen?
Sie versuchen, die Jugendlichen von ihrem Umfeld und ihrer Heimat zu
entfremden. Der erste Schritt ist meistens, ihnen zu zeigen, dass sie mit
ihrem Glauben nicht mehr nach Deutschland passen. Ihnen wird gesagt, es
gebe keine Zukunft hier, sie bekämen als junge Musliminnen keinen Job und
keine Wohnung. Das lässt sich ja durchaus mit Zahlen belegen. Außerdem
sollen die Mädchen alle Menschen um sie herum für den Islam rekrutieren.
Wenn Angehörige das ablehnen, gehören sie zu den Ungläubigen und die
Jugendlichen müssen den Kontakt abbrechen. Jetzt ist der Kokon geschlossen:
Sie haben nur noch Kontakte in der salafistischen Szene.
Wieso hinterfragen die Jugendlichen diese extreme Veränderung in ihrem
Leben nicht?
Das eigenständige Denken wird ihnen bewusst abtrainiert. Viele empfinden
das am Anfang als Entlastung. Wer selbst keine Entscheidungen trifft, kann
auch keine falschen treffen. Die Regeln sind streng und willkürlich: Die
Kinder sollen zum Beispiel keine Cola mehr trinken, denn die ist
amerikanisch und jüdisch. Sogar nur daran zu denken, ist verboten. Das ist
im Westen schwierig, überall sind Reize. Nur nichts Falsches denken, bis
das eigenständige Denken ganz verloren geht. Bei Rückkehrern sieht man das
sehr deutlich – sie sitzen zwischen ihren Eltern und wissen nicht mehr,
warum sie ausgereist sind, denn es war nicht ihre Entscheidung.
Was können Sie mit ihrer Arbeit gegen diese Gehirnwäsche ausrichten?
Wir betreuen momentan in Deutschland 350 Opfer von Radikalisierung. Das ist
ein sehr langer Prozess, sie müssen neu lernen, eigenständig zu denken. Wir
müssen ihnen zeigen, dass sie hier eine Zukunft haben. Am besten ist es
natürlich, wenn wir die Jugendlichen erreichen, bevor sie radikalisiert
werden. Dafür haben wir in Berlin zum Beispiel jedes Jahr über 200
Workshops an Schulen.
Wie können Angehörige einschreiten, wenn sie merken, dass jemand in ihrem
Umfeld in die salafistische Szene rutscht?
Sofort unsere bundesweite Nummer anrufen. Dort werden sie an die
Ansprechpartner vor Ort weitergeleitet. Zeit ist sehr entscheidend, wir
hatten Fälle, in denen wir nur ein paar Stunden zu spät waren, um die
Ausreise zu verhindern. Meistens sind es Eltern, die uns alarmieren, leider
noch kaum Gleichaltrige, die die Veränderung vielleicht sogar früher
bemerken. Auch das wollen wir mit unserer Aufklärungsarbeit an den Schulen
ändern.
Was machen Sie, wenn Sie von einer möglichen Radikalisierung erfahren?
Das Wichtigste ist, die Jugendlichen aus dieser Starre der Realitätsflucht
zu bringen, dann sind sie ansprechbar und wir können Vertrauen aufbauen.
Sie kommen aus sektenartigen Verhältnissen – da ist jemand wichtig, der sie
wieder zurück in den Alltag bringt. Es geht am Ende auf keinen Fall darum,
dass die Jugendlichen ihre Religion ablegen, sondern dass sie lernen, sich
aktiv mit ihr auseinanderzusetzen. Das hilft ihnen, ihre eigene Identität
wiederzufinden.
25 Jul 2017
## LINKS
[1] /Mutmassliche-IS-Anhaengerin-aus-Sachsen/!5427235
## AUTOREN
Tanya Falenczyk
## TAGS
Radikalisierung
Salafismus
Extremismus
Prävention
IS-Terror
„Islamischer Staat“ (IS)
Islam
IS-Miliz
„Islamischer Staat“ (IS)
Mossul
Islam
Schwerpunkt Überwachung
## ARTIKEL ZUM THEMA
IS-Prozess in Hamburg: Mutmaßliche Dschihadisten angeklagt
In Hamburg stehen sechs junge Männer vor Gericht, weil sie nach Syrien
gereist sein sollen, um sich vom sogenannten Islamischen Staat (IS)
ausbilden zu lassen
Prozess um mutmaßlichen IS-Anhänger: „Kein Terrorist, sondern ein Betrüger…
Der Mann, der im Internet bei einem IS-Kontaktmann um Geld für Autobomben
bat, bekommt zwei Jahre Haft wegen versuchten Betrugs am IS.
Kolumne Knapp überm Boulevard: Die Tabus überwinden
Kann Religion so verändert werden, dass sie die Liberalisierungen der
Moderne sogar befördert? Oder sind Religionen gar nicht reformierbar?
Eroberung von Mossul: Vier deutsche Frauen in Haft
Bei der Befreiung Mossuls von der IS-Terrormiliz wurden 20 ausländische
Dschihadistinnen festgenommen. Davon sind vier aus Deutschland.
IS-Anhängerin aus Sachsen: Teenagerin bereut Ausreise
Die im Irak festgenommene 16-Jährige bereut ihre Reise zum IS. Sie wolle
nur noch weg und sei bereit zu kooperieren, sagte das Mädchen aus Sachsen.
Mutmaßliche IS-Anhängerin aus Sachsen: Linda W. in Mossul gefasst
Vor einem Jahr verschwand in Pulsnitz bei Dresden die 15-jährige Linda W.
Nun wurde sie offenbar von der irakischen Armee in Mossul verhaftet.
Islamexperte über jugendliche Salafisten: „Dschihadisten ohne Koran“
Michael Kiefer hat die WhatsApp-Chats salafistischer Teenager ausgewertet:
Mit dem Islam hatten ihre Anschlagspläne wenig zu tun.
Radikalisierte Minderjährige: Verfassungsschutz im Kinderzimmer
Überwachung unter-14-Jähriger: Die CSU möchte radikalisierte Kinder
bundesweit beobachten lassen und steht damit allein da – fast.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.