# taz.de -- Vorstoß gegen Radikalisierung: Mehr Geheimdienst wagen | |
> SPD und Grüne in Bremen wollen, dass der Verfassungsschutz radikale | |
> Jugendliche betreut – und Rektoren verdächtige Schüler melden. | |
Bild: Hätte der Geheimdienst mal deradikalisiert: ehemaliger Bremer Schüler A… | |
BREMEN taz | Die Zielsetzung ist nachvollziehbar, das Problem akut: | |
„Radikalisierung früh erkennen und reagieren“, so heißt ein | |
Gesetzesvorhaben der Bürgerschaftsfraktionen von SPD und Grünen. | |
Tatsächlich hat die linksextreme Szene mit einem kostspieligen Anschlag auf | |
den Bundeswehrfuhrpark in Bremen Hemelingen 2016 belegt, dass sie zu | |
militanten Aktionen in der Lage ist. Auch die rechtsextremistische | |
Identitäre Bewegung war in und um Bremen aktiv. Und: Die Stadt gilt als | |
Salafistenhochburg. Groß ist die Zahl der Bremer, die sich aus Begeisterung | |
für diese manichäische Spielart des Islam nach Syrien gegangen sind, um | |
sich dem IS anzuschließen. | |
Besonders Jugendliche seien empfänglich für „einfache Antworten auf oft | |
komplizierte Fragen“, diagnostiziert der Gesetzentwurf. Wenn also „in | |
Schulen einzelne Schüler auffallen, weil sie beginnen, sich zu | |
radikalisieren“, seien einerseits „schnelle Präventionsmaßnahmen“ | |
erforderlich und andererseits, dass „die Sicherheitsbehörden darüber | |
informiert werden“. | |
## Verfassungsschutz „selbstverständlich bereit“ | |
Die Durchführung der Deradikalisierung aber bedarf laut Antrag „der klaren | |
Zuständigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz“ (LfV). Und damit da | |
keine Missverständnisse auftreten, soll die „Gewährleistung der | |
Durchführung“ sämtlicher „intervenierender Deradikalisierungsprogramme f�… | |
Jugendliche und junge Volljährige“ ans LfV übertragen werden. Dort ist man | |
laut Leiter Dierk Schittkowski „selbstverständlich gerne bereit, in der | |
fachlichen Beratung im Ausschuss unsere Sicht auf die Problematik | |
darzulegen“ – was so viel heißen dürfte wie: Richtig gefragt hat man uns | |
nicht. | |
An anderer Stelle stößt der Plan indes auf Widerstand: „Die Einbeziehung | |
des Verfassungsschutzes lehnen wir kategorisch ab“, sagt Christian Gloede, | |
Landesvorsitzender der LehrerInnengewerkschaft GEW. „Das finden wir völlig | |
falsch.“ Mit großer Skepsis bewertet er die Pläne, die Meldepflicht der | |
Schulleitungen zu erweitern. Bislang müssen RektorInnen zur Polizei gehen, | |
wenn sie erfahren, dass einer ihrer Schützlinge ein Verbrechen begangen hat | |
oder es versuchte. | |
Im neuen Gesetz wollen die Fraktionen SchulleiterInnen verpflichten, die | |
„Sicherheitsbehörden“ einzuschalten, sobald sie „Kenntnis über Umständ… | |
erhalten, die den bloßen „Verdacht begründen können, dass eine Schülerin | |
oder ein Schüler sich dahingehend radikalisiert, dass die Verwirklichung“ | |
eines Terroranschlags „nicht ausgeschlossen werden“ könne. „Das ist viel… | |
vage“, so Gloede, und habe denunziatorischen Charakter. „Schule darf kein | |
Ort der Bespitzelung sein“, so der Gewerkschaftsführer. | |
## Fokus auf „zornige junge Menschen“ | |
Allerdings muss Schule sich dem Phänomen stellen können. Denn „es sind die | |
jungen zornigen Menschen, die in der präventiven Praxis fokussiert werden | |
müssen“, wie der Osnabrücker Radikalisierungsforscher Jörg Hüttermann aus | |
den Untersuchungen der Whatsapp-Protokolle der Essener | |
Sikhtempel-Attentäter folgert. Diese finde man aber nicht in den Moscheen: | |
„Wir gehen davon aus, dass die Radikalisierungsprävention maßgeblich eine | |
Aufgabe der Regelakteure in Schule und Jugendhilfe darstellt.“ Nur könne | |
die erst wahrgenommen werden, wenn genügend Personal und ausreichend | |
Fachkenntnisse vorhanden wären, schreibt er in seiner empirischen Analyse | |
„Lasset uns in sha’a Allah ein Plan machen“(2017). | |
Auch Gloede fordert „die Stärkung der SchülerInnen und den Ausbau des | |
Demokratieunterrichts“. Eine gesonderte Meldepflicht per Gesetz sei aber | |
unnötig. „Wir sprechen hier von Einzelfällen“, sagt er. Dass der | |
Datenschutz deren Meldung bislang unmöglich machen würde, glaubt er nicht: | |
„Im Zweifel finden Schulleitungen einen Weg.“ | |
Zustimmungsfähig sei aus GEW-Sicht „höchstens die Fassung der | |
Linksfraktion“. Denn deren Vorsitzende Kristina Vogt hat einen | |
Änderungsantrag eingereicht: Der präzisiert, dass „tatsächliche | |
Anhaltspunkte“ für die Meldung von SchülerInnen vorliegen müssen. Und den | |
Verfassungsschutz nimmt sie komplett aus dem Spiel. Deradikalisierung sei | |
Aufgabe des Sozialressorts, und „mittlerweile ist die doch sogar mit | |
Personalmitteln hinterlegt“, sagt Vogt. | |
Das stimmt: Im Umfang einer halben Stelle. Und tatsächlich liegt [1][laut | |
Senatsauskunft von Herbst 2015 (Drs. 19/111)] die „Federführung zur | |
Umsetzung des Präventionskonzeptes“ gegen die Radikalisierung junger | |
Muslime bei der Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Dort ist auch die | |
„Arbeitsgruppe religiös begründete Radikalisierung“ angesiedelt. Und unter | |
ihrer „Federführung“ sollte „im Zuge der Umsetzung des | |
ressortübergreifenden Präventionskonzeptes die Einrichtung einer | |
Koordinierungsstelle ‚Prävention religiös begründeter Radikalisierung‘ im | |
Land Bremen vorangetrieben“ werden. | |
Im Sozialressort glaubt man trotzdem nicht, verantwortlich zu sein: „Da | |
wird uns nichts weggenommen“, sagt die Leiterin des Senatorinnen-Büros, | |
Dorothea Staiger zur Kompetenzerweiterung des LfV. Gemeint wären „nur die | |
Fälle, wo das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“. | |
Eine komplett andere Lesart hat das Bildungsressort entwickelt: Dort | |
verstehe man den Antrag „als ausdrückliche Ermunterung der Schulleitungen, | |
ihre Wahrnehmung bezüglich möglicher Radikalisierungen, die in | |
terroristischen Bedrohungen münden können, zu schärfen“, so die Sprecherin | |
der Senatorin Claudia Bogedan (SPD). | |
4 Sep 2017 | |
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## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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