# taz.de -- Roman „Der Boulevard des Schreckens“: Träume eines Volontärs | |
> Ausgedachte Interviews, koksende Chefredakteure – gibt's das? Satiriker | |
> Moritz Hürtgen schreibt über die finstere Welt des Journalismus. | |
Bild: Wahrheit und Fiktion in der Medienszene liegen bei Moritz Hürtgen nicht … | |
BERLIN taz | Der Chefredakteur kokst mitten im Newsroom, und jeder kann es | |
sehen. Egal. Die anderen koksen auch. Die meisten jedenfalls. So geht es zu | |
in einem großen Medienhaus in Berlin, das neben einer sogenannten seriösen | |
Zeitung auch noch ein Boulevardblatt herausgibt. Oder ist es umgekehrt? | |
Nein, so schlimm kann es gar nicht sein. | |
Der das geschrieben hat, ist als Satiriker bekannt geworden. Der | |
übertreibt. Etwas anderes wird sich kaum jemand erwartet haben von Moritz | |
Hürtgens erstem Roman „Der Boulevard des Schreckens“. Der Autor war bis vor | |
Kurzem Chefredakteur des Satiremagazins Titanic. Der weiß nun wirklich, wie | |
man auf die Kacke haut. | |
Oder gibt es das wirklich? Dass jemand im Journalismus Karriere macht, der | |
auch deswegen zu Ruhm gekommen ist, weil dann doch herausgekommen ist, dass | |
unter seiner Führung ausgedachte Interviews mit Superpromis in einem | |
seriösen Magazin erschienen sind? Ein Interview mit Osama bin Laden, nein, | |
das hat sich keiner für ein deutsches Medium ausgedacht. Das wäre doch zu | |
viel des Guten. So etwas gibt es wirklich nur im Roman. | |
Und wie sieht es mit diesem journalistischen Jungvolk aus? Gibt’s das? Kann | |
es sein, dass halb begabte Ehrgeizlinge, die vom großen Coup träumen, jeden | |
Anstand über Bord werfen, nur um zu bedienen, was der Chef gerade hören | |
möchte? | |
## Irrsinn im Münchner Speckgürtel | |
Dass einem Chefredakteur aus seiner zugekoksten Nase der Hass nur so | |
heraustropft, wenn er an einen Performance-Künstler denkt, die „nervige | |
Lyrik-Schwuchtel“, der schon deswegen nichts taugen kann, weil diese ewig | |
linksliberalen Schreiberlinge auf der ganzen Welt, auch die von der New | |
York Times, nur das Beste über ihn zu sagen haben? Es sind solche Fragen, | |
die sich gleich zu Beginn des Romans aufdrängen, bevor der Irrsinn beginnt, | |
den Hürtgen in einem Örtchen im Münchner Speckgürtel mit S-Bahn-Anschluss | |
aufführen lässt. | |
Aus jenem Kirching stammt der Künstler, der es zu Weltruhm gebracht hat. | |
Der hat Großes vor in München, und der Volontär Michael Kreutzer darf auf | |
Redaktionskosten dorthin reisen, um jenen Moretti, den er vom Studium gut | |
kenne, wie er dem Chef versichert hat, zu interviewen. Der aber lässt ihn | |
abblitzen, ist dann gar nicht mehr erreichbar, wird tot am Bahndamm in | |
Kirching aufgefunden, wohin der Volontär umgehend entsandt wird. | |
Das Interview mit Moretti, das er sich in der Not mal eben ausgedacht und | |
der Redaktion geschickt hat, gewinnt mit jedem Ereignis in Kirching an | |
Bedeutung. Und derer gibt es etliche. Der Volontär wird so zum Star. | |
## Terror im Kaff | |
Ist wirklich der Terror über dieses Kaff hereingebrochen? Es fließt viel | |
Blut in dem Vorort mit den üppig gewässerten Vorgärten. Leichen in der | |
Fischzucht. Ein ferngesteuertes Feuerwehrfahrzeug, das bei der | |
traditionellen Sonnwendfeier in die Menschenmenge rast. Fliegende Fische, | |
die in der Luft explodieren. Eine Bürgerwehr, die von einem ehemaligen | |
Lokalreporter gegründet wird, der ein systemkritisches Blog betreibt, | |
patrouilliert. | |
Islamistischer Terror soll von der anderen Seite des S-Bahn-Damms ausgehen, | |
heißt es. Von Neukirching aus, wo Leute leben, die sich kein Haus mit | |
Vorgarten leisten können. Ein Grenzzaun wird hochgezogen. | |
Polizeihubschrauber kreisen. Was kann es Schöneres geben für den Boulevard! | |
Ein Traum. | |
Nur ein Traum? Der Volontär, er hat Erscheinungen. Ein Fluch scheint auf | |
ihm zu lasten. Würde das auch passieren, wenn es ihn nicht gäbe? Was | |
Hürtgen schreibt, ist ein Fantasy-Roman aus der finsteren Welt des | |
Journalismus. In dieser herrscht der pure Schrecken. Weil das bisweilen | |
nicht nur im Roman so ist, kann man das Buch durchaus als Mahnung lesen. | |
Oder zum Vergnügen. | |
Da war schließlich ein gelernter Satiriker am Werk. | |
17 Nov 2022 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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