| # taz.de -- Titanic-Chefredakteurin über Satire: „Humor hat viel mit Macht z… | |
| > Julia Mateus ist seit 100 Tagen Chefredakteurin des Satiremagazins | |
| > „Titanic“. Über ihre Doppelrolle als weibliche Führungskraft und | |
| > Satirikerin. | |
| Bild: Eine von Julia Mateus ersten Amtshandlungen: Ein Verbot der Pilzzucht in … | |
| taz: Frau Mateus, entgegen diverser Prophezeiungen haben Sie sich als | |
| Chefredakteurin behaupten können. Jetzt sind Sie bereits 100 Tage im Amt. | |
| Zeit, Bilanz zu ziehen. Wie lief ’s? | |
| Julia Mateus: Es läuft sehr gut, seit die [1][ProSieben-Sat-1-Gruppe] | |
| angekündigt hat, den Titanic-Verlag zu kaufen. Unser Portfolio wird | |
| demnächst geringfügig angepasst. [2][Titanic ] wird „Satire Gong“ heißen | |
| und einen bunten Mix aus Witzen und Fernsehprogramm bieten. Ich freu mich | |
| drauf! | |
| Haben Sie sich Ihren Humor bewahrt? | |
| Zum Teil. Ich bin in einer schwierigen Doppelrolle: [3][Weibliche | |
| Führungskräfte], die Witze machen, wirken weniger kompetent, das haben | |
| Studien gezeigt. Gleichzeitig bin ich Satirikerin. Ein Dilemma! | |
| Fühlen Sie sich wohl in Ihrer neuen Rolle? | |
| Ich habe jetzt ja viel mehr Befugnisse in der Redaktion und kann alles nach | |
| meinen Wünschen gestalten. Eine meiner ersten Amtshandlungen war, die | |
| Pilzzucht in den Redaktionsräumen zu verbieten. Seitdem fühle ich mich dort | |
| deutlich wohler. | |
| Ist der Job so, wie Sie ihn sich vorgestellt haben? | |
| Nicht ganz. Als ich angekündigt habe, Produktproben ins Heft zu holen, habe | |
| ich eigentlich damit gerechnet, dass man mir ein paar Samples zukommen | |
| lässt. Darauf warte ich leider immer noch. Und das Medieninteresse hat mich | |
| überrascht. | |
| Was machen Sie als Erstes, wenn Sie ins Büro kommen? | |
| Ich bereite mir eine schöne Tasse „Café satirico“ zu. Unseren fair | |
| gehandelten Hauskaffee gibt es übrigens auch im Titanic-Shop. | |
| Sie hatten eine „Schreckensherrschaft“ angekündigt. Was ist daraus | |
| geworden? | |
| Das wurde mir auf Dauer zu anstrengend. Ich setze lieber auf kalkulierte | |
| Wutausbrüche und relaxe zwischendurch in meinem Ohrensessel. Das ist | |
| insgesamt auch effektiver. | |
| Was hat Ihnen am meisten Spaß bereitet? | |
| Für das aktuelle Heft haben wir eine Telefonaktion zum Thema | |
| Fachkräftemangel gemacht. Und das Schreiben meiner Editorials. | |
| Was hat Sie am meisten geärgert? | |
| Mitarbeiter*innen, die sich über „Heftehaufen“ beschweren, die ich | |
| angeblich in der Redaktion hinterlasse. Ein bisschen mehr Respekt fände ich | |
| angemessen! | |
| Was haben Sie als Erstes abgeschafft? | |
| Um Druckkosten zu sparen, darf in Titanic-Texten kein Semikolon mehr | |
| gesetzt werden, sondern nur ein Komma oder ein Punkt. | |
| Was haben Sie als Erstes angeschafft? | |
| Freizeichenmusik! Wer in der Redaktion anruft, hört seit Neuestem anstelle | |
| des Tutens Musik von sympathischen politischen Liedermachern. | |
| Was war die größte Herausforderung während Ihrer Anfangszeit? | |
| In der Redaktion grassieren diverse, bisher unbekannte Mutationen | |
| psychischer Störungen, sie ist ein Hort seelischer Gebrechen. Das Personal | |
| (inkl. mich selbst) wieder in die Spur zu bringen, war eine Mammutaufgabe. | |
| Was hat Ihnen dabei geholfen, sich jeden Tag für die neuen Aufgaben zu | |
| motivieren? | |
| Es gibt immer einen Silberfisch am Horizont! Ich habe einen Kalender mit | |
| satirischen Motivationssprüchen und Zeichnungen, den ich mal als unverlangt | |
| eingesandtes Manuskript zugeschickt bekommen habe. | |
| Was hat Sie am meisten überrascht? | |
| Sämtliche Witze in der ersten Titanic-Ausgabe unter meiner Führung. Ich | |
| vergesse direkt nach dem Redaktionsschluss so gut wie alles, was im Heft | |
| steht. | |
| Was war Ihr wichtigstes Learning? | |
| Beim Lesen von Twitter-Kommentaren dachte ich neulich: Unser Heftname lädt | |
| zu Untergangsmetaphern ein. Das war zuvor noch niemandem aufgefallen! | |
| Bei Amtsantritt haben Sie allen möglichen Medien erzählt, Sie wollten den | |
| Niedergang der Titanic vorantreiben. Welche Schritte haben Sie | |
| diesbezüglich eingeleitet? | |
| Ich wollte vor allem den intellektuellen Niedergang von Titanic | |
| vorantreiben und dafür zum Beispiel die politische Kolumne von Stefan | |
| Gärtner nur noch in einfacher Sprache drucken. Neulich hat jemand unter | |
| einen Witz von uns geschrieben „Niveau ist für euch traurige Gestalten wohl | |
| ein Fremdwort“. Ja; ganz recht! Wir sind auf dem richtigen Weg. | |
| Ein anderes erklärtes Ziel lautete, mehr Frauen zum Heft zu bringen. | |
| Geschafft? | |
| Es gibt ein paar Frauen, die für Online und Heftrubriken schreiben und noch | |
| relativ neu sind. Unter den männlichen Chefs gab es immer einen gewissen | |
| Konkurrenzkampf, wer die meisten Frauen zum Heft bringt, das war für die | |
| Quote eigentlich auch gar nicht so schlecht. | |
| Was war der beste Witz, den Sie in Ihren ersten 100 Tagen gehört haben? | |
| Das weiß ich nicht so genau, aber der Fotoroman in der ersten Ausgabe, da | |
| ging es um Olaf Scholz’ Chinareise, hat mir sehr gut gefallen. | |
| Worüber haben Sie gelacht, was Ihnen im Nachhinein peinlich war? | |
| Diesen sozialen Filter haben wir in der Titanic-Redaktion schon lange nicht | |
| mehr. | |
| Über wen haben Sie am meisten gelacht? | |
| Schwer zu sagen. Gern und viel über Olaf Scholz, mehr als zum Beispiel über | |
| Söder. | |
| Fällt es Ihnen in Ihrer neuen Rolle schwerer, witzig zu sein? | |
| Nein, es wird leichter. Humor hat bekanntlich viel mit Macht zu tun. Wenn | |
| ich als Chefin einen Witz mache, müssen die Mitarbeiter*innen lachen. | |
| Wie oft mussten Sie Ihre Mitarbeiter*innen zwingen, Witze neu zu | |
| schreiben, weil sie Ihnen nicht gefallen haben? | |
| Die männlichen Autoren müssen sie nur dann neu schreiben, wenn sie mir | |
| gefallen haben. Weil ich sie dann aus ihren Texten rausredigiere und bei | |
| mir reinschreibe! | |
| Gab es Rücktrittsforderungen? | |
| Ja, schon so einige. Zum Beispiel an Liz Truss, Christine Lambrecht … | |
| An welcher Führungsfigur orientieren Sie sich? | |
| Ich wurde schon mit verschiedenen Führungsfiguren verglichen, mal mit | |
| Martin Sonneborn, mal mit Margaret Thatcher, zuletzt mit Donald Trump. Ich | |
| denke, ein Mix aus denen allen wäre sehr gut. | |
| Konnten Sie dem Problem Frau werden, dass Leute unter Titanic-Witzen | |
| schreiben: „Euer fucking Ernst?“ | |
| Solche Kommentare sind ja nicht wirklich ein Problem. Ich finde sie eher | |
| amüsant. Welche Antwort erwarten User*innen, die so was ein Satiremagazin | |
| fragen? | |
| Machen Sie freiwillig Kloputzdienst? | |
| Wenn der Redaktionsschluss naht, putze ich in der Redaktion alles | |
| blitzblank, auch die Toiletten. Letztens habe ich sogar das gammlige Essen | |
| aus meinem Kühlschrank entsorgt. | |
| Finden Sie es mittlerweile anstrengend, auf jede Frage lustig antworten zu | |
| müssen? | |
| Ja. | |
| Wie würde eine ernste Antwort auf diese Frage lauten? | |
| Nein. | |
| Welches Ihrer Ziele werden Sie am schnellsten erreichen? | |
| Jede Titanic-Führungskraft wird im Laufe ihrer Amtszeit verrückt. Mein Ziel | |
| ist, mich damit zu beeilen. Wenn man mich für unzurechnungsfähig hält, | |
| werde ich schneller ausgemustert und komme an die siebenstellige | |
| Verlagsabfindung. | |
| Haben Sie eine Exit-Strategie, wenn das hier schiefgeht? | |
| Ich möchte so eine Reggae-Hexe mit grauhaarigen Dreads und Gottkomplex | |
| werden, die auf Festivals selbstgebackenen Kuchen und Holzschmuck | |
| feilbietet. | |
| Vermissen Sie manchmal Ihren alten Job? | |
| Ich habe viel weniger Zeit zum Schreiben. Das finde ich tatsächlich | |
| schade. | |
| Was wird die größte Herausforderung in den nächsten 100 Tagen sein? | |
| Sämtliche männliche Autoren versuchen, mir ein Compliance-Verfahren | |
| anzuhängen, weil sie es, wie sie sagen, „ironisch“ fänden, wenn ich auf | |
| diesem Weg aus dem Amt befördert würde. Da muss ich immer auf der Hut sein! | |
| Verraten Sie uns, auf was sich die Leser*innen in der nächsten Ausgabe | |
| freuen können? | |
| Das Februarheft ist gerade erst erschienen. Darin präsentieren wir | |
| Ratzingers Testament, eine Reportage über Tiny-Data-Sammler in der | |
| bayrischen Provinz, Lauterbachs Krankenhausreform und berichten exklusiv | |
| über jugendliche Raucher-Rebellen in Neuseeland. Für das Märzheft werden | |
| wir eine Spielwarenmesse besuchen und uns mit Seltenen Erden beschäftigen. | |
| Mehr steht noch nicht fest. | |
| Transparenzhinweis: Sämtliche Fragen wurden vorab per Mail gestellt. | |
| 31 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
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