# taz.de -- Neuer Chef bei Prosieben und Sat1: Rübergezappt | |
> Bert Habets wird Chef des Medienkonzerns ProSiebenSat.1, also der Hälfte | |
> des deutschen Privatfernsehens. Habets kommt von der anderen Hälfte: RTL. | |
Bild: Bert Habets | |
Das deutsche Privatfernsehen steht wirtschaftlich vor Problemen. Sowohl bei | |
RTL in Köln als auch bei ProSiebenSat.1 in München krankt das Geschäft. | |
Durch Krieg und Energiekrise brechen die Werbeerlöse noch stärker ein als | |
ohnehin erwartet. ProSiebenSat.1 insbesondere hängt zudem schon seit Langem | |
strategisch in der Luft. Sat.1 ist längst ein Sorgenkind im Kanalportfolio. | |
Zusätzlich leidet Pro7 als klassischer Sender für Spielfilm- und Serienware | |
aus den USA unter dem Druck der internationalen Streaminganbieter. Das | |
eigene Streamingportal Joyn dümpelt unter den Erwartungen. | |
Nun bekommt ProSiebenSat.1 zum 1. November einen neuen Chef. Der heißt Bert | |
Habets und war bis 2019 Chef bei der RTL Group, zu der auch RTL Deutschland | |
gehört. Der Mann wechselt also von der einen Hälfte des deutschen | |
Privatfernsehens zur anderen. | |
Seitdem raunt es in der Branche. Rücken die Hälften näher zusammen? Steht | |
gar ein Zusammenschluss an? | |
Ein solcher Zusammenschluss wäre insofern interessant, als er die | |
Begehrlichkeiten einer gewissen Medienholding namens Media for Europe (MFE) | |
im Zaum halten könnte. MFE hieß bis vor Kurzem Mediaset und gehört dem | |
italenischen Mogul und Politiker Silvio Berlusconi. Bereits jetzt hält MFE | |
rund ein Viertel der Anteile bei ProSiebenSat.1. Seit Jahren befürchtet | |
man, die Hälfte des deutschen Privatfernsehens könnte somit auf längere | |
Sicht [1][in Berlusconis Medienreich aufgehen]. | |
## Unwahrscheinliche Fusionen | |
Das wäre nicht nur problematisch, weil Berlusconi den meisten unsympathisch | |
ist, sondern auch, weil er dem Vernehmen nach nichts weiter plant als einen | |
klassischen TV-Senderkonzern, ohne viel Digitales wie Streaming & Co. | |
Bei einem Zusammenschluss von ProSiebenSat.1 und RTL in Deutschland | |
hingegen wäre Berlusconi draußen. Der so geschaffene gesamtdeutsche | |
TV-Konzern wäre der „National Champion“, von dem zum Beispiel Thomas Rabe, | |
Chef des RTL-Mutterkonzerns Bertelsmann, immer träumt. Doch für so eine | |
Fusion spricht aktuell gar nichts. Das Kartellamt würde sie mit Sicherheit | |
kassieren. | |
Also gemach! Die Personalie Bert Habets ist nicht überzubewerten. Dass in | |
der Branche Privatfernsehen das Management hin- und hertauscht, ist nicht | |
neu. Guillaume de Posch ging vor rund zehn Jahren den umgekehrten Weg: Nach | |
einer längeren Zeit als Vorstandsvorsitzender bei ProSiebenSat.1 wurde er | |
2008 bis 2017 Chef bei RTL. Habets sitzt außerdem bereits seit Mai in | |
München im ProSiebenSat.1-Aufsichtsrat. | |
Wenn die Personalie Habets über eins Auskunft gibt, ist es das Folgende: | |
Vorläufig dürfte es bei ProSiebenSat.1 keinen Ausstieg aus dem | |
Streamingabenteuer geben. Schließlich hatte Habets als Chef von RTL in | |
den Niederlanden den dortigen Streamingableger Videoland aufgebaut. | |
Videoland ist heute Teil von RTL+, dem ebenfalls nicht so richtig aus dem | |
Knick kommenden „Wir bündeln alles, was wir haben“-Digitalangebot von | |
Bertelsmann. | |
Es gibt noch ein zweites Indiz, das für die Beibehaltung der | |
Digitalstrategie bei ProSiebenSat.1 spricht: Der Konzern hat eben erst | |
seinen bisherigen Partner Discovery herausgekauft und führt Joyn seit | |
diesem Monat allein. Beide Privatfernsehhälften, ProSiebenSat.1 wie RTL, | |
leiden allerdings unter ein und demselben Dilemma. Ihre Klientel nimmt sie | |
gewohnheitsgemäß als werbefinanziert wahr. Das heißt: umsonst. „Kund*innen, | |
die eine Affinität zu RTL haben, stellen sich Free-TV vor“, sagt ein | |
Branchenbeobachter. „Netflix dagegen hat schon immer extra gekostet.“ | |
[2][Angesichts der aktuellen Krisen sind die Medienbudgets bei vielen | |
Haushalten begrenzter als vor der Pandemie]. Die Münchner basteln bei Joyn | |
zudem an Zusatzprodukten wie FAST, dem Free Ad-Supported Streaming TV, die | |
den Markenkern nicht eben deutlicher machen. | |
Und was macht [3][Berlusconi], außer mal wieder in Italien mitregieren? | |
Branchenkenner gehen nicht davon aus, dass seine MFE dem ganzen Treiben | |
einfach nur zuschaut. ProSiebenSat.1-Aufsichtsratschef Andreas Wiele soll | |
sich laut Wirtschaftswoche in den letzten Monaten bereits mehrfach mit den | |
MFE-Finanzer*innen getroffen haben. Allerdings könnten weitere Zukäufe | |
durch MFE nach deutschem Medienkonzentrationsrecht schwierig werden. | |
10 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
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