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# taz.de -- Comedy-Workshop in Berlin: Leiden für den Witz
> Eine kriegsmüde Ukrainerin, ein Israeli mit viel Haar und eine
> Amerikanerin, die sich vor Schwänen fürchtet, sitzen zusammen und lernen
> lustig zu sein.
Bild: hahaha
Das Leben ist ein einziger Witz. Und zwar ein ziemlich guter. Das ist eine
der wichtigsten Lektionen im Stand-up-Comedy-Kurs in Berlin. Zwölf Menschen
sind an einem grauen Januarnachmittag in einen kleinen Comedy-Club
gekommen, um zu lernen, möglichst viele Menschen zum Lachen zu bringen.
Die Gruppe ist so divers wie die Stadt: eine schwedische Mutter, die ihrem
stressigen Alltag mit zwei Kindern entkommen will, eine junge Ukrainerin,
die ihren Ehemann mit ihrer ersten Comedy-Performance überraschen will.
Menschen aus den USA, Israel, Marokko und Italien. Dazu ein paar Deutsche,
die durch ihren starken Akzent auffallen. Kurssprache ist Englisch, alle
nennen sich beim Vornamen.
Die Teilnehmer:innen setzen sich in einen Stuhlkreis. Auf der Bühne
vorne sollen sie in sechs Wochen performen. Davor sitzt die Schottin
Caroline. Fast jeder ihrer Sätze endet mit einer Pointe. Sie ist Comedian
und gibt den Crash-Kurs.
## Schmerz, Schmerz und nochmals Schmerz
Aber kann man überhaupt lernen, lustig zu sein? Anscheinend ja. Carolines
Witzphilosophie: Schmerz, Schmerz und nochmals Schmerz. „Die Leute wollen
euch leiden sehen“, sagt sie. Die Tragik des eigenen Lebens so nahbar und
glaubhaft wie möglich rüberzubringen, darin bestehe die Kunst. Die eigenen
Erfahrungen als Inspiration. Denn nichts kennt man besser als das.
Tragik – davon hat Kursteilnehmerin Christina genug. Die Ukrainerin lebt
seit neun Jahren in Berlin, der Rest der Familie ist in Lwiw, der Krieg ist
Teil ihres Alltags. Für sie ist Comedy ein Weg, diesen Gedanken zu
entfliehen. Zwei Stunden Distanz gewinnen von den Alltagssorgen. Durch das
Lachen einen Moment aufatmen.
Es ist der erste Termin von insgesamt sechs Treffen. Nach ein paar
unangenehmen Aufwärmübungen, in denen die Teilnehmer:innen ihren Namen
mit Körperbewegungen inszenieren sollen, geht es los. Was macht schlechten
[1][Humor] aus, werden die Teilnehmer:innen gefragt. Boomer-Jokes;
sexistische Witze; beleidigen, nur um zu beleidigen. Jokes von Expats über
das Leben in Berlin wirft einer ein, die anderen nicken.
Und was macht guten Humor aus? Ein guter Witz muss im richtigen Moment
kippen, die Zuhörer:innen überraschen. Je dunkler der Witz, desto
tiefer das Lachen, sagt Humor-Coach Caroline. „Ein guter Witz kommt aus
einer menschlichen Verbindung“, erklärt sie.
So weit die Theorie. Und nun die Praxis. Übung Nummer 1: Die
Teilnehmer:innen müssen sich gegenseitig ein Kompliment machen, es in
eine Beleidigung umformulieren und so einen Witz machen. „Dein Outfit sieht
aus, als wärst du eine Sekretärin im Bestattungsinstitut“, sagt einer zu
einer Teilnehmerin. Betretenes Lachen. Wie war das noch mal mit dem
Beleidigen, nur um zu beleidigen? Übung Nummer 2: Den Satz „Wenn ich das
sage, meine ich eigentlich“ mit einer persönlichen Story verknüpfen. Übung
Nummer 3: Jeder bekommt ein Wort und muss dazu etwas impulsiv erzählen.
Die Teilnehmer:innen sollen durch die Übungen ihre innere Zensur
loswerden, ihr intuitives Sprechen und Denken schulen. „Meistens sind die
Dinge, bei denen du denkst, sie sind nicht lustig, dann doch die
Lustigsten“, erklärt Caroline. Humor entsteht oft aus Dingen, die nicht
zusammenpassen. Von absurden, ungewöhnlichen Perspektiven. Diesen
gedanklichen Freiraum muss man erst mal erkunden.
Humor ist also sehr persönlich, er spiegelt unsere Fantasie, unsere Ideale
und Werte wider. Gleichzeitig lebt der Witz davon, [2][Grenzen zu
überschreiten und Tabus zu brechen]. Diese Gratwanderung zwischen der
eigenen Bloßstellung und einer bewussten Provokation gilt es zu lernen.
Vier Wochen später wirkt die Aufwärmübung routinierter. Es ist Mitte
Februar, eine Woche vor der Performance. Die Gags müssen langsam sitzen.
Erste Freundschaften sind geschlossen worden, man tauscht sich über eine
Stand-up-Performance der letzten Woche aus.
Nacheinander treten die Teilnehmer:innen auf die Bühne. Was haben sie
gelernt? Als Erstes wagt sich Ariel vor das Publikum: „Meine Eltern haben
echt schlechte Arbeit geleistet, was meine Gene angeht: Ich habe eine
Glatze und trotzdem bin ich einer der haarigsten Typen, die ich kenne.“
Ariel erzählt in seinem Haarmonolog davon, wie er als creepy Onkel mit
seinem vollen Bart und Glatze einfacher in den KitKat-Club kommt und wie
ihn Kinder am Strand in Tel Aviv anpöbeln, wenn er sein Shirt auszieht:
„Warum trägst du immer noch dein T-Shirt?“ Der Monolog kommt an, die
anderen Teilnehmenden klatschen laut.
Als Ariel die Bühne verlassen hat, gibt es Feedback von der Gruppe und dem
Comedy-Coach. Carolines Fazit: Seine Performance war authentisch und
persönlich. Den creepy Onkel könnte man noch ausbauen. Auch sollte er
lieber bei einem Witz bleiben, als direkt zum nächsten zu springen. Und wie
wäre es mit einem Worst-Case-Waxing-Scenario, um das Ganze noch etwas
absurder zu machen?
An diesem vorletzten Workshop-Termin hat wie Ariel jeder fünf Minuten Zeit,
seine Performance zu präsentieren. Es geht um das Leiden des
Single-Daseins, aggressive Schwäne, die mit ihrer toxischen Maskulinität
unschuldige Spaziergänger:innen angreifen.
## Am besten sind die persönlichen Geschichten
Beobachtet man die Performances jetzt nach ein paar Wochen Crashkurs im
Witzigsein, fällt auf: Wie in jeder Kunst braucht es neben Wissen vor allem
Talent. Wann legt man eine Kunstpause ein? Wie setzt man Mimik und Gestik
so ein, dass es die eigenen Witze unterstreicht? Das könne manche
[3][intuitiv besser als andere].
Doch man merkt auch: Am meisten lacht man über die persönlichen
Geschichten, die teils aberwitzige Gedankengänge offenlegen. Etwa wenn der
Deutsche davon erzählt, wie sinnlos es ist, Gewichte im Fitnessstudio von
einem Ort zum anderen zu heben. Man könne doch wenigstens etwas Sinnvolles
tragen und beispielsweise eine Mauer bauen? „Dude, treib es nicht zu weit,
das dachten sich die Nazis auch“, entgegnet ihm sein imaginärer Freund.
Auch der zweite Deutsche im Raum fällt durch einen Nazivergleich auf. Nach
einem der Gags wirft der Israeli scherzhaft ein: „Vergiss nicht, es werden
auch jüdische Menschen im Publikum sitzen.“ Oder schwingt da doch ein wenig
Ernst mit?
„Am Anfang gehen die meisten bei schwarzem Humor nicht weit genug, das ist
so, als ob man an der Tür klopft und dann wegrennt“, sagt Caroline. Tabus
zu brechen ist eben auch eine Kunst.
Manchmal hilft aber auch der Zufall. Einer der Teilnehmer fällt durch
seinen starken deutschen Akzent im Englischen auf – und entdeckt ihn als
seinen strategischen Witzvorteil. Schließlich lachen hier die anderen über
ihn. Und das war doch die ganze Zeit das Ziel.
3 Mar 2023
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## AUTOREN
Sabina Zollner
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Humor
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