| # taz.de -- Flucht verarbeitet: Unverdauliche Kunst | |
| > In Hamburg zeigt die Ukrainerin Maria Kulikovska ihre Installation „Table | |
| > 2“. Sie gibt tiefe Einblicke in ihre Fluchterfahrung. | |
| Bild: Maria Kulikovska, „Table 2“: Angerichtet sind Krieg, Flucht und Vertr… | |
| Hamburg taz | Strahlend weißes Keramik-Service, Silberbesteck, Rotwein und | |
| Rosen: das, was man einen gut gedeckten Tisch nennt. Doch die Atmosphäre | |
| des einladenden Dinner-Ensembles täuscht. Bei genauerem Hinsehen erkennt | |
| man auf den Tellern eingebrannt, amtliche Briefe und bürokratische | |
| Formulare, die mit Aquarell-Malereien verziert sind. | |
| Die bunten Farben überdecken jedoch nicht den düsteren Inhalt der | |
| Dokumente: „Ausweis für Vertriebene“ ist dort unter anderem zu lesen. | |
| Schnell wird klar, es handelt sich dabei um die Zeugnisse einer Flucht: die | |
| der Künstlerin selbst. | |
| Zusammen mit ihrer kleinen Tochter ist die ukrainische Architektin und | |
| Künstlerin Maria Kulikovska im Februar 2022 von Kyiv nach Linz gekommen. | |
| Bekannt ist sie unter anderem durch die Friedens-Performance „254“, für die | |
| sie 2014 in St. Petersburg zeitweilig in Haft war. | |
| In ihrer sehr persönlichen Arbeit „Table 2“, die nun in der Freien Akademie | |
| der Künste in Hamburg zu sehen ist, hat sie ihren Weg nach Deutschland | |
| künstlerisch verarbeitet. Thematisch spiegelt sich darin der Krieg, ihre | |
| [1][Fluchterfahrungen und Ängste] sowie Gedanken zu ihrer Rolle als Mutter | |
| wider. | |
| ## Das Unsagbare erzählen | |
| Wie emotional aufgeladen die Werke für Kulikovska sind, merkt man ihr an. | |
| Es fällt ihr schwer, über all das zu sprechen: „Ich habe noch nicht einmal | |
| in meiner eigenen Sprache die richtigen Worte dafür“, sagt sie. Die Kunst | |
| sei der Versuch, das Unsagbare zu erzählen und gleichzeitig eine Form der | |
| Therapie. | |
| Kernstück der Arbeit sind unterschiedliche amtliche Dokumente, die sie | |
| während ihrer Flucht gesammelt und mit Aquarell-Farben bemalt hat. Darunter | |
| sind [2][Asyl- und Wohnungsanträge] und Briefe von Hilfsorganisationen. Die | |
| so entstandenen Werke sind anschließend auf zwölf Ess- und Vorspeiseteller | |
| sowie zwei Serviceplatten gebrannt worden. | |
| Geboren wurde die Künstlerin [3][in der ukrainisch-autonomen Republik Krim. | |
| Aufgrund der russischen Annexion] sah sich 2014 erstmals gezwungen, ihr | |
| Zuhause zu verlassen. Auf ihrer Flucht sei sie, damals wie heute, immer | |
| wieder auf bürokratische Hürden gestoßen. Gerade an den Grenzen werde | |
| versucht, Menschen in Kategorien einzuteilen: „Als weibliche Künstlerin | |
| fällt man für die Migrationsmaschine aus dem Raster.“ | |
| Die verwendeten Dokumente stehen somit unter anderem für den Kampf mit den | |
| Behörden um Akzeptanz und eine Antwort auf das Bewusstsein „als geflüchtete | |
| Person als Mensch zweiter Klasse zu gelten“. Dieses Gefühl bleibe, sagt sie | |
| und damit auch die Ungewissheit, wo sie in den nächsten Monaten zu Hause | |
| ist und mit welcher Sprache ihre Tochter aufwächst. | |
| Die Aquarellmotive bedecken die schwarz-weißen Dokumente und verschlucken | |
| durch ihre intensiven Farben teilweise deren Inhalt. Blumen, Frauenkörper, | |
| aber auch Schriftzüge hat sie darüber gemalt. So steht auf einem Brief, der | |
| ihre Wohnsituation betrifft, in roten Buchstaben: „In which country I will | |
| be a human being not a refugee?“. Auch ihre Rolle als Mutter spielt eine | |
| entscheidende Rolle. So bittet sie ihre Tochter um Entschuldigung, in eine | |
| Familie von politischen Flüchtlingen geboren zu sein. | |
| Nicht nur in den Werken selbst steckt Symbolik, das Ensemble ist in seiner | |
| Gänze als Kuration zu verstehen. Die auf dem Tisch drapierten Rosen seien | |
| ganz nach Joseph Beuys Werk „Rose für direkte Demokratie“, ein Zeichen für | |
| die freie Gesellschaft, so auch die Aquarell-Blumen: Ein Stück fragile | |
| Natur, die ohne Zutun stirbt, so erklärt sie es. | |
| Zusammen mit den überwiegend roten Aquarellmalereien bildet der Rotwein | |
| einen starken Kontrast zur weißen Tischdecke und dem Service. Es ist jedoch | |
| nicht nur ein farblicher Gegensatz, viel mehr trifft eine vermeintlich | |
| entspannte und willkommen-heißende Atmosphäre auf etwas Bedrohliches. So | |
| löst die rote Farbe des Rotweins und der Malereien im Kontext der Arbeit | |
| eine blutige Assoziation aus, die den dargestellten Frauenkörpern jegliche | |
| Erotik nimmt und sie fragil und verletzlich erscheinen lässt. | |
| Die Darstellung von Weiblichkeit sei dabei auch als ein Protest am | |
| [4][Patriarchalen-System in Russland] zu verstehen, erzählt sie. Die | |
| Vorstellung, sich zu setzen und genüsslich am Rotwein zu nippen, bekommt | |
| einen bitteren Beigeschmack. | |
| „Ich kann nicht wirklich froh sein und mein Leben genießen, während [5][in | |
| der Ukraine Menschen sterben]“, sagt Kulikovska. Auf einem der Teller steht | |
| dazu der eindrückliche Satz: „We are safe, but frustrated, we are ok, but | |
| in pain, we feel ashamed to be alive.“ | |
| Die Themen dieser Arbeit sind schwer verdaulich, darüber täuscht auch der | |
| schön gedeckte Tisch nicht hinweg. Durch die bestehenden Gegensätze | |
| entsteht ein emotionales Zusammenspiel, das nicht nur die persönliche | |
| Geschichte einer Flucht erzählt, sondern auch zeigt, dass der Krieg nicht | |
| bei einem netten Abendessen vergessen werden kann: Eine Arbeit, die durch | |
| ihre Eindringlichkeit in Erinnerung bleibt. | |
| 18 Mar 2023 | |
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| [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Russisch-Ukrainischer_Krieg | |
| ## AUTOREN | |
| Paul Weinheimer | |
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