# taz.de -- Regionalverkehr als Performance: Pendeln mit und ohne Bahn | |
> In verschiedenen Verkehrsmitteln von Altona in Hamburg nach Burg in | |
> Dithmarschen: Bei der Kunstperformance „Von A nach B“ ist der Weg das | |
> Ziel. | |
Bild: Am Ende spielen alle an einer Modelllandschaft Verkehrswege durch: mit da… | |
HAMBURG taz | Die Grenze zwischen Kunst und Wirklichkeit verschwimmt | |
irgendwo zwischen Pinneberg und Itzehoe. Es ist Samstagabend, kurz nach 18 | |
Uhr. Seit gut eineinhalb Stunden reisen 18 Personen in unterschiedlichen | |
Verkehrsmitteln von A nach B, von Altona in Hamburg nach Burg in | |
Dithmarschen. | |
Die Gedanken kreisen um Bewegung, um Zeit und Raum, um Nähe und Ferne, um | |
Transportmittel, reale und erträumte. Es ist eine [1][Kunstperformance] im | |
öffentlichen Raum, bei der zufällig Mitreisende, das Wetter und die | |
Verkehrslage zu unwissenden Akteur*innen werden. | |
Und nun ist es die Bahn, die nicht oder vielleicht zu gut mitspielt. Der | |
Regionalzug 61 kam bereits zu spät in Pinneberg an, auf der Fahrt nach | |
Itzehoe verliert er weiter an Zeit. So ist der Anschluss nach Burg weg, und | |
die Gruppe sitzt auf dem Bahnhof fest. | |
„Das war die einzige Variante, die wir nicht durchgespielt haben“, gibt | |
Reiseleiterin Gesche Groth zu. Die gebürtige Dithmarscherin gehört zum Team | |
der Regisseurin Charlotte Pfeifer, die das Projekt „Von A nach B“, diese | |
Mischung aus „Abenteuer, Butterfahrt und Bildungsreise“, initiiert hat. | |
## Überall geht was schief | |
Die gebürtige Hamburgerin Pfeifer lebt heute selbst in Dithmarschen, mit | |
Verkehrsverbindungen muss sie sich täglich auseinandersetzen. „Das Thema | |
lässt hier niemanden kalt, das haben wir bei der Vorbereitung gemerkt“, | |
sagt sie. | |
Die Performance regt an, über Fortbewegung nachzudenken. Die Aktion wendet | |
sich an die Groß- und Kleinstädter*innen gleichermaßen: Während die | |
einen aus Hamburg anreisen, warten die anderen bereits am Zielpunkt, dem | |
Bahnhof in Burg. | |
Eigentlich sollten die Teilnehmenden [2][drei unterschiedliche | |
Verkehrsmittel] nutzen, um sich dem Ziel in Dithmarschen zu nähern. Neben | |
Bahn und Auto steht auch ein Platz in einem Kleinflugzeug zur Verfügung, | |
das die Strecke von Uetersen-Heist nach St. Michaelisdonn durch die Luft | |
bewältigt. Doch am Premierentag kann die Maschine wegen starken Windes | |
nicht starten. Für die weiteren Aufführungen am Wochenende 1. und 2. April | |
sollten Flüge möglich sein, hofft Pfeifer. | |
Per Los entscheidet sich, wer welches Transportmittel nutzt. Eine kleinere | |
Gruppe steigt in den „Sonnenwagen“ des Sonnengottes Helios – hinter der | |
Verkleidung aus weißer Tunika und Strahlenkranz steckt der Performer und | |
Musiker Pascal Fuhlbrügge. Die Mehrzahl nimmt die Bahn. | |
Wer zuerst ankommt und ob alles glatt läuft oder etwas schiefgeht, ist von | |
vielen Faktoren abhängig: Auf der Autobahn könnte ein Stau die Fahrt | |
verzögern, schließlich ist der Elbtunnel wegen Bauarbeiten gesperrt. An den | |
Bahnhöfen warnen die digitalen Anzeigen bereits vor Störungen durch den | |
bundesweiten Streik am Montag. Eigentlich funktioniert an diesem Samstag | |
also kein Weg von A nach B optimal. | |
Im Regionalzug von Altona nach Pinneberg überlegen die Reisenden, | |
[3][welche Transportmittel ihnen am liebsten wären:] Das Fahrrad natürlich, | |
das im Alltag die meisten der Teilnehmenden benutzen. Aber auf der | |
Wunschliste stehen bald auch Teleporter, Segelyacht oder Zeppelin. „Am | |
liebsten würde ich selbst, sprich aus eigener Kraft, fliegen können“, sagt | |
eine Mitreisende. | |
Vor dem Fenster zieht die Landschaft vorüber: Anfangs die dicht besiedelte | |
Speckgürtelregion mit ihren gleichförmigen Einfamilienhäusern. Dann blitzen | |
die ersten grünen Felder zwischen den Häusern auf. Ein Bauernhof liegt | |
direkt am Gleis, Kühe trotten auf dem Weg zum Melkstand vorbei, ohne auf | |
den vorbeifahrenden Zug zu achten. Entschleunigung. Abstand. | |
Wie es sich anfühlt, jeden Tag zu pendeln, vermittelt eine | |
Audio-Dokumentation, die den Mitgliedern der Reisegruppe über Kopfhörer | |
eingespielt wird. Pfeifer und ihre Mitstreiter*innen haben dafür | |
Menschen befragt, die Bahn, Auto oder Flugzeug nutzen. Klar ist: Täglich | |
fahren zu müssen, belastet. Die Befragten eint die Einsicht: „Ich hab’s mir | |
ja selbst ausgesucht.“ Dennoch klagen die, die regelmäßig Bahn fahren, über | |
häufige Verspätungen. | |
## Schnaps und Stadt-Land-Fluss | |
Wer im Auto sitzt, berichtet von Staus und den Reaktionen darauf: „Ich | |
schimpfe vor mich hin“, gesteht eine Frau. Und dass Fliegen mit schlechtem | |
Gewissen verbunden ist, weiß der Pilot, der die Freiheit über den Wolken | |
liebt, aber im Interview berichtet, er verzichte dafür auf Fleisch und | |
fahre ein E-Auto. | |
Während der Fahrt teilt Gesche Groth Tee, Schnaps und vorbereitete Bögen | |
für ein „Stadt-Land-Verkehrsfluss-Spiel“ mit eigenen Fragekategorien aus. | |
Am Bahnhof in Pinneberg probt die Gruppe das plattdeutsche Lied „Dat du | |
mien Leevsten büst“ – andere Wartenden stimmen teils mit ein, andere | |
klatschen für die Darbietung. | |
Doch in Itzehoe ist der Anschlusszug weg, der nächste fährt eine Stunde | |
später. Um die Performance noch zu erreichen, geht es spontan per Taxi | |
weiter. | |
In Burg am Bahnhof haben sich rund ein Dutzend Personen um eine | |
Modelllandschaft versammelt, an der sie Verkehrswege durchspielen. | |
Vielleicht durch ein „Rabbit Hole“, das Zeit und Raum mühelos überwindet? | |
Performerin Sibylle Peters zeigt im Kaninchenkostüm, wie das geht. | |
Am Ende stehen Wünsche: Falls Teleport und Flügel nicht möglich sind, wie | |
wäre es mit besseren Bus- und Zugverbindungen? Oder einer besseren | |
Infrastruktur auf dem Land, sodass weniger Fahrten nötig sind? Charlotte | |
Pfeifer wird die Ergebnisse der insgesamt vier Performances zusammentragen | |
und an das [4][Verkehrsministerium in Kiel] schicken. | |
„A->B. Ein Modell für eine bessere Verbindungen“: Sa, 1. 4. und So, 2. 4., | |
Treffpunkt A 16.30 Uhr, Altonaer Bahnhof, vor dem Reisezentrum; Treffpunkt | |
B 18 Uhr, vor dem Bahnhof Burg (Dithmarschen); Infos: | |
http://charlottepfeifer.net | |
1 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Performance-in-Hamburg/!5921429 | |
[2] /Klimaaktivist-uebers-Autofahren/!5921117 | |
[3] /Verkehrswende-ohne-Autos/!5906715 | |
[4] https://www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/ministerien-behoerden/… | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
## TAGS | |
Politische Kunst | |
Kunst | |
Performance | |
Verkehr | |
Öffentlicher Nahverkehr | |
Theater | |
Deutsches Schauspielhaus | |
Akademie der Künste Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Performance in Hamburg: Spiel doch mit den Schmuddelkindern | |
Eine andere Ästhetik und ansteckender Spaß: In Hamburg erprobt ein | |
altersübergreifendes Kollektiv, was im Theater entsteht, wenn alle | |
mitspielen. | |
Stück „The Mushroom Queen“ in Hamburg: Im Reich der Pilze | |
Der Klimawandel zerstört die Idee, dass sich der Mensch die Erde Untertan | |
machen könnte. Was kommt stattdessen? Das Schauspielhaus gibt eine Antwort. | |
Flucht verarbeitet: Unverdauliche Kunst | |
In Hamburg zeigt die Ukrainerin Maria Kulikovska ihre Installation „Table | |
2“. Sie gibt tiefe Einblicke in ihre Fluchterfahrung. |