Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Performance in Hamburg: Spiel doch mit den Schmuddelkindern
> Eine andere Ästhetik und ansteckender Spaß: In Hamburg erprobt ein
> altersübergreifendes Kollektiv, was im Theater entsteht, wenn alle
> mitspielen.
Bild: Bunte Trash-Ästhetik: Bühne, Kostüme und Requisiten haben einen anarch…
Meine Güte, wie sieht’s denn hier schon wieder aus!?! Wie ein großes
Kinderzimmer, wenn die Aufsichtspersonen mal länger nicht da waren, um das
Spielen in seine Grenzen zu verweisen! So wirkt die viereckige Bühne auf
Kampnagel, um die herum das Publikum am Mittwochabend Platz nimmt. Schlicht
[1][„Spielen #1“] heißt die Performance, die die [2][Gruppe Skart]
gemeinsam mit dem altersübergreifenden Kollektiv „Masters of the Universe“
(mit Mitgliedern zwischen acht und 40) und dem inklusiven Hamburger
[3][Ensemble „Meine Damen und Herren“] entwickelt hat.
Was war hier bloß los? Überall Farbkleckse auf dem Boden und Gekritzel und
herumliegende Spielsachen. Riesige, umgekippte Vasen mit Teletubbies
darauf, die jetzt aussehen wie ausgekippte Füllhörner. Am Rand steht eine
große Mülltonne, auf die jemand „ICH BIN KRASS“ gekritzelt hat, das „A�…
ein Anarchiezeichen. Daneben stehen eine kleine Küche mit einem „happy
kitchen“-Schild darüber und eine Empore mit zwei großen Kirschen darauf.
Auf einem verspiegelten Podest gegenüber liegen Zuckerpackungen und
verstreute Zuckerkristalle. Hier wurde offenbar lange und ausgiebig und
sehr frei gespielt und gebastelt – und keiner denkt ans Aufräumen.
Die Performer:innen des Abends sind Kinder und [4][Mitglieder von Meine
Damen und Herren]. In bunt-verspielten Trash-Bastel-Kostümen sitzen sie zu
Beginn auf der Bühne: als Biene mit einem aufgeklappten Laptop als Flügel
auf dem Rücken zum Beispiel oder als zotteliger Hase mit vier Ohren und
pinken Bärchen-Hausschuhen. Ein kleines Mädchen hat eine Weste mit dem
Symbol der Hausbesetzerszene an. Die meisten spielen zu klackernden
Elektronikklängen müde mit Hühnereiern. Ein Mädchen zündet Kerzen an und
klebt sie im Gittermuster auf den Boden.
Dann ein Techno-Beat, ein Mädchen fährt in einem blinkenden
Elektro-Spielzeugauto auf die Bühne, die anderen beginnen mit merkwürdigen
Schritten hinter ihm herzulaufen. Spielen eben. Plötzlich wird es dunkel.
„Ich habe Angst“, ruft jemand. Ein Spot geht an und ein Wesen hält mit
lauter Stimme von der Empore eine abstruse Anklage: „Bekennt euch schuldig,
nicht schuldig zu sein!“ Die Strafe: 18 Jahre Kippendrehen, aber es seien
eigentlich 36 Jahre, weil man nicht schlafen dürfe, um die Strafe voll und
ganz auszukosten. Stubenarrest.
## Anarchisch antipädagogisch
Eine Stunde lang probieren die Performer:innen in verschiedenen Szenen
solche Spielrituale aus: eine Kissenschlacht mit dem vierohrigen Hasen, der
sich als Osterhase entpuppt, zum Beispiel – bis das kleinste Mädchen ans
Mikro tritt und mit düsterer Stimme sagt: „Hört auf, den Osterhasen zu
ärgern! Lasst uns lieber Satanismus spielen!“ Ein Spielfeld wird
ausgerollt, ein Junge schreibt mit roter Farbe wie mit Blut „Ja“ und „No�…
in vier Felder, alle beginnen in schwarzen Kutten und stockenden Schritten
eine Prozession um das Feld. Wer geopfert wird, das wird wie im Kinderspiel
mit Schere, Stein, Papier entschieden. Aber es gibt auch Seilspringen mit
verbundenen Augen, Herumspringen vor der Windmaschine. So was.
Eine Geschichte erzählt der Abend dabei nicht. Denn erklärtes Ziel des von
Skart ist seit zehn Jahren ein Theater der ausdrücklich unfertigen Formen:
„Spielen ist die Freiheit, nicht das zu tun, was man muss. Und nicht
unbedingt zu können, was man tut. Man weiß nicht, wie es endet. Oder
welchem Zweck es dient“, steht dazu diesmal im Stückzettel. Kein
Erbauungstheater für Kulturerfahrene will das sein: Als Zuschauende:r
muss man nichts darüber wissen, wie Theater sonst so auszusehen hat.
Hier geht es weniger ums Produkt als um das gemeinsame Produzieren. Schon
in der Entstehung der Stücke sollen alle gleichberechtigt und zugleich
professionell zusammenarbeiten – trotz altersbedingter und anderer
Machtgefälle. So soll ein Theater der neuen Generation und eine neue
Generation von Theater zugleich erprobt werden: basisdemokratisch,
anarchisch postdramatisch und antipädagogisch. Alle an der Produktion
Beteiligten sind alles zugleich: Ideengeber:innen und Regisseur:innen,
Darsteller:innen und Autor:innen, Bühnen- und Kostümbildner:innen. Ein
emanzipiertes, gemeinsames Lernen voneinander soll das sein statt
machtbasierter, verdummender Pädagogik.
Bekannt sind Skart für opulente und multimediale Spektakel wie ihre
trashige [5][Trilogie über Materialismus und Überfluss]: „Lucky Strike“,
„Schlaraffenland“ und „Exodus“. Diesmal ist das Ergebnis etwas leiser,
kleine Szenen, die eine eigene Ästhetik entwickeln wie dieses beeindruckend
selbstbewusst-zärtliche, ausgiebige Zuckerbad von „Meine Damen und
Herren“-Performerin Paula Stolze.
Zu sehen und zu kritisieren gibt es hier am Ende also gar nichts, was den
Anspruch erhöbe, fertige Kunstform zu sein, deren Mängel man kennzeichnen
müsste – wie dieses dann schon arg plötzliche Ende! Denn eins hat man dann
ja doch gelernt: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, immer wieder geht das
Theater von vorn los. Dabei zuzuschauen ist auch ganz ohne Moral am Ende
faszinierend und ansteckend. Und zu Hause fängt man an, die alten
Bastelsachen wieder herauszuholen.
31 Mar 2023
## LINKS
[1] https://kampnagel.de/produktionen/skart-masters-of-the-universe-spielen-1
[2] http://www.skartskart.com/skart/
[3] https://www.meinedamenundherren.net/
[4] /!5567124
[5] /!5296886
## AUTOREN
Robert Matthies
## TAGS
Theater
Performance
Inklusion
Kampnagel
Kinder
Kinder- und Jugendtheater
Kinder- und Jugendtheater
Performance
Politische Kunst
Theater
Theater
Theater
## ARTIKEL ZUM THEMA
Performance „War Games“ in Hamburg: Krieg in der Spielwelt
„War Games“ fragt, wie Kinder Krieg und Gewalt erleben, und zeigt bildstark
mit überraschenden Perspektiven, wie tief Konflikte unser Handeln prägen.
Hamburger Performance übers Spielen: Eine düstere Zusammenkunft
Kleine Szenen und absurde Bilder: In „Funny Games“ setzt sich in Hamburg
ein Ensemble mit den dunkleren Seiten gemeinsamen Spielens auseinander.
Regionalverkehr als Performance: Pendeln mit und ohne Bahn
In verschiedenen Verkehrsmitteln von Altona in Hamburg nach Burg in
Dithmarschen: Bei der Kunstperformance „Von A nach B“ ist der Weg das Ziel.
Inklusives Performanceprojekt in Hamburg: Kollektiv statt konkurrierend
Humor hilft: Drei Tage lang beschäftigt sich das „Democratic Bootcamp“ in
Hamburg mit den Hierarchien und Ausschlussmechanismen im Kulturbetrieb.
Inklusives Theater „No Limits“ in Berlin: Warum dürfen Ärzte rauchen?
Inklusives Theater macht sehr oft Spaß. Zum zehnten Mal lädt das Festival
„No Limits“ für Disability & Performing Arts nach Berlin ein.
Inklusives Theaterfestival „Mittenmang“: Die Rettung der Scheißwelt
In Bremen hat das inklusive Theaterfestival „Mittenmang“ begonnen. Zum
Auftakt stiften Schelhas CoOperation einen feministischen Mythos.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.