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# taz.de -- Hamburger Performance übers Spielen: Eine düstere Zusammenkunft
> Kleine Szenen und absurde Bilder: In „Funny Games“ setzt sich in Hamburg
> ein Ensemble mit den dunkleren Seiten gemeinsamen Spielens auseinander.
Bild: Anarchischer Bastel-Charme: zwei der Kostüme
Noch mal! Noch mal! Wer Kinder kennt, kennt die Forderung, das letzte Spiel
immer wieder zu wiederholen. Dass irgendwann Schluss sein muss, muss man ja
erst mal lernen. Auf der Kampnagel-Bühne in Hamburg ist es noch dazu ein
Spiel mit einer Schusswaffe. Die knappen Regeln hat eines der Kinder vom
[1][altersgemischten Ensemble Skart & Masters of the Universe] (MOTU)
vorher laut in die Halle gerufen: 1. Es wird getan, was ich sage! 2. Es
wird dieses Ding hier benutzt. 3. Du schießt damit einen Pfeil durch den
Apfel auf seinem Kopf. Und Schuss!
Zwischen Bogen und Apfel ist ein durchsichtiges Band gespannt, verfehlen
kann der Pfeil sein Ziel also gar nicht. Aber er prallt am Apfel ab und
bleibt vor der Stirn in der Luft hängen. Noch mal! Und Schuss! Beim zweiten
Mal bleibt er auf halber Strecke stecken. Noch mal! Und Schuss! Schließlich
senkt sich ein großes rosafarbenes Tuch mit zwei Augen darauf über die
Szene. Es wird dunkel, Licht flackert, aus den Boxen dröhnt ein Sound, als
ob ein Hubschrauber über der Halle hin und her fliegt.
Es ist das letzte Spiel der rund einstündigen [2][Performance „Funny
Games“], in der sich Skart & MOTU gemeinsam mit dem [3][inklusiven
Kollektiv Meine Damen und Herren] zum zweiten Mal mit dem gemeinsamen
Spielen beschäftigen. Mit dem gleichnamigen Filmexperiment von Michael
Haneke über ein brutales Spiel um Leben und Tod, hat das Stück dabei
tatsächlich eines gemeinsam: Während es im Vorgänger „Spielen #1“ um die
Freiheit ging, nicht alles zu tun, was man muss – und es auch nicht
unbedingt können zu müssen -, sind es diesmal die unangenehmen Seiten des
Spielens: wenn zu viel gespielt wird, zu lang oder zu rücksichtlos. Wenn es
an die Gewalt rührt.
Auch diesmal gibt es keine Geschichte und keinerlei ausdrückliche Moral. Es
sind kleine Szenen und absurde Bilder von Spielritualen, die die
Performer:innen in bunt-trashigen Kostümen aus Textilien, Schaumstoff
oder Luftballons ausprobieren.
## Hin und her
Eine riesige Schaukel steht dafür im Hintergrund der Bühne.
Durchgeschnittene Stühle und Absperrgitter liegen am Boden, als steckten
sie in ihm. Daneben ragen antike Säulen schief aus dem Boden, dahinter so
etwas wie ein Höhleneingang, ebenfalls aus Stühlen. Am rechten Rand stehen
Mikrowellen. Beim Vorgänger sah die Bühne aus wie ein aus den Fugen
geratener Spielplatz. Diesmal ist es eher eine Ruine.
Aus am Boden verteilten Paketen schälen sich am Anfang des Stückes die
Performer:innen und beginnen, mit ihren merkwürdigen Kostümen ungelenk
erst mal zu lernen, wie sie sich fortbewegen können. Einer von ihnen in
einem glänzenden schwarzen Anzug mit schwarzem Motorradhelm klettert auf
die linke Seite der Schaukel, die anderen versammeln sich am anderen Ende.
Als auch dort ein Mädchen in einem voluminösen weißen Kleid auf der
Schaukel sitzt, bringt der Rest mit Seilen die Schaukel in Betrieb. Hoch
und runter geht es -- bis die Bühne dunkel wird und auch hier das brummende
Flackern beginnt.
In einer anderen Szene liegt eine Person unbekleidet auf einer Bahre.
Reihum sprechen die Performer:innen ein paar Sätze und waschen, bemalen
oder bestreuen den Körper. Station um Station wird er dabei näher an den
Stuhl-Eingang gezogen, der sich nun als Krematorium entpuppt. Unter lautem
Knistern und flackernden Licht verschwindet er schließlich darin.
Eine weitere Szene wirkt wie ein Spiel an den Grenzen zur Gewalt: Ein
Karton, der von der Decke fällt, wird erst mit Gesängen im Kreis umtanzt,
schließlich mit Stöcken gepiekst und wie eine Pinata auf einem aus den
Fugen geratenen Kindergeburtstag zerprügelt. Die Reste werden zerrissen.
## Unfertig fertig
Was das alles zu bedeuten hat? Wer weiß es schon genau? Viel wichtiger als
das Produkt, das merkt man dem Abend immer wieder an, war das gemeinsame
Produzieren. Trotz aller Altersunterschiede und Machtgefälle sollen alle
gleichberechtigt und dabei professionell zusammenarbeiten, so der
ausdrücklich antipädagogische Anspruch: ein emanzipiertes, gemeinsames
Lernen. Und die Theaterformen, die dabei entstehen, sollen ebenfalls ganz
ausdrücklich unfertig und allen zugänglich sein.
Weil all die wunderbar unterschiedlichen Performer:innen sichtlich mit
großer Hingabe, Präzision und Ernsthaftigkeit dabei sind und die Bilder,
die dabei herauskommen, faszinierend anzusehen sind, funktioniert dieser
düstere Spielereigen ganz wunderbar.
Nicht zuletzt, weil man für so ein Spiel mit unfertigen Formen auch im
Publikum gar nichts darüber wissen muss, wie das sonst so sein soll und
muss im Theater, angeblich. Denn am Ende ist es wie am Anfang, auf der
dunklen Bühne liegen alle Performer:innen wieder wie Pakete. Auf dass
sie sich immer wieder auf ein Neues auspacken können und das Theater wieder
auf eines Neues beginnt, ganz am Anfang.
2 May 2024
## LINKS
[1] /Performance-in-Hamburg/!5921429
[2] https://kampnagel.de/produktionen/skart-masters-of-the-universe-funny-games
[3] //!5567124,
## AUTOREN
Robert Matthies
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