| # taz.de -- Ausstellung „Re: Feb. 24/UKR“ in Hamburg: Vom Leben mit dem Kri… | |
| > Zum Jahrestag des russischen Angriffs zeigt das Hamburger Westwerk die | |
| > Kunst von Deutschen, Russ*innen und Ukrainer*innen nebeneinander. | |
| Bild: Viele verschiedene Perspektiven: Blick in die (fast fertig aufgebaute) Au… | |
| Es ist Mittwoch, anderthalb Tage vor der Eröffnung. Viele | |
| Ausstellungsstücke stehen noch auf dem Boden, angelehnt an die Wände des | |
| Hamburger Westwerks. Leitern werden hin- und hergetragen, Arbeiten | |
| probeweise an ihren zukünftigen Platz gehalten. Die Kunst ist divers: | |
| Fotografien neben Zeichnungen, Rauminstallationen neben Videomontagen. | |
| Die Kunstwerke sind Teil von „Re: Feb. 24/UKR“, einer Ausstellung zum | |
| [1][Krieg in der Ukraine] anlässlich des Jahrestages des russischen | |
| Überfalls. Initiiert von Peter Boué und Wolfgang Oelze, in Hamburg lebenden | |
| und arbeitenden Künstlern, sind an der Ausstellung sowohl ukrainische als | |
| auch russische und deutsche Künstler*innen beteiligt; das Projekt führt | |
| fort, was Mai mit „With Ukraine“ begonnen wurde. | |
| „With Ukraine“, zu sehen damals im kleinen Kunstraum im „[2][Hinterconti]… | |
| sei impulsiver und lauter gewesen, findet Nadiia Mykhailiuk, eine wieder | |
| mitwirkende Ukrainerin. Die jetzige Ausstellung habe eine längere | |
| Planungsphase gehabt, auch die Arbeiten seien mit mehr Vorlauf entstanden. | |
| „Der Krieg herrscht nun seit einem Jahr. Wir hatten Zeit, unsere Gefühle | |
| einzuordnen, verschiedene Blickwinkel einzunehmen“, sagt sie. „Diese | |
| Ausstellung geht tiefer und zeigt unsere innere Auseinandersetzung mit dem | |
| Geschehen.“ | |
| Ebenfalls seit einem Jahr ist Mykhailiuk Gaststudentin an der Hamburger | |
| Hochschule für bildende Künste (HFBK); im laufenden Semester bewirbt sie | |
| sich auf einen festen Studienplatz. Ähnlich wie die anderen | |
| Aussteller*innen hat sie online in der Ukraine weiterstudiert. Die HFBK | |
| hatte zusätzlich eine Klasse für geflüchtete Künstler*innen gegründet, | |
| das schuf Raum auch zum Arbeiten. Während sie in der Ukraine vor allem | |
| Grafikdesign studiert, konzentriert Mykhailiuk sich in Deutschland mehr auf | |
| Malerei. „Ich bin selbstbewusster in meiner Arbeit geworden“, sagt sie. | |
| „Durch Kunst kann ich meine Gefühle ausdrücken und die Geschehnisse | |
| versuchen zu verarbeiten.“ | |
| Für Varvara Perehinets ist die Ausstellung eine Art Wachrütteln ihres | |
| Umfeldes. Sie ist ebenfalls Gaststudentin an der HFBK, beendet parallel ihr | |
| Studium in Kiew. Sie habe vor allem ihre deutschen Freund*innen | |
| eingeladen, nun ins Westwerk zu kommen: Durch ihre Kunst möchte sie daran | |
| erinnern, dass der Krieg immer noch da ist, dass sie mit ihm umgehen muss, | |
| Tag für Tag. Denn: Die Aufmerksamkeit ebbe langsam ab, habe sie das Gefühl. | |
| „Viele distanzieren sich von den schrecklichen Bildern in den Nachrichten, | |
| als eine Art Selbstschutz“, sagt sie. „Durch meine Kunst habe ich einen | |
| neuen Weg gefunden, über die Situation in der Ukraine aufzuklären.“ | |
| Perehinets’ Zeichnungen beschäftigen sich mit Propaganda als politisches | |
| Instrument – und damit, wie wir uns als Gesellschaft dagegen wehren können | |
| und sollen. | |
| Yana Kyrychenko lebt schon seit einigen Jahren in Deutschland, hat an der | |
| HFBK Kommunikationsdesign studiert. Von dem Ausstellungsprojekt erfuhr sie | |
| über eine ehemalige Dozentin. In ihren Fotografien thematisiert Kyrychenko | |
| das Problem der verdeckten Wohnungslosigkeit bei Frauen: Bis vor anderthalb | |
| Jahren selbst betroffen, befürchtet sie viele weitere Fälle verdeckter | |
| [3][Wohnungslosigkeit als Folge der aktuellen Fluchtbewegung] aus der | |
| Ukraine. „Wir sind alle oft gefangen in unserem Alltag, leben manchmal in | |
| einer Blase“, sagt sie. „Diese Ausstellung bietet Raum für Aufklärung üb… | |
| den Krieg und Raum für die Opfer.“ Normalerweise stelle sie nicht in | |
| Galerien aus, sondern in der Öffentlichkeit: „Ich möchte, dass auch | |
| Menschen, die nichts mit Kunst zu tun haben, auf meine Bilder stoßen und | |
| sich Fragen stellen.“ | |
| Kunstausstellungen seien ein Luxus, das sagt auch Wolfgang Oelze: „Einen | |
| Luxus, den man sich in anderen Ländern nicht leisten kann, sei es als | |
| Meinungsäußerung in einem totalitären Staat oder in einem Land, in dem | |
| Krieg herrscht.“ | |
| Mit „Re: Feb. 24/UKR“ solle eine Möglichkeit geschaffen werden, die ganz | |
| persönlichen Lebensräume der Künstler*innen in einen fiktiven Rahmen zu | |
| setzen, sagt Peter Boué, der zweite Initiator. „Die Werke befassen sich | |
| alle mit dem Krieg, ohne ihn unbedingt direkt abzubilden.“ Oelze und Boué | |
| luden bewusst nicht nur ukrainische Künstler*innen ein, auch Deutsche | |
| und Russ*innen stellen aus. | |
| So wie Leonid Kharlamov. Er kam 1995 nach Deutschland und sieht keine | |
| Möglichkeit, nach Russland zurückzukehren, sagt er: wegen der möglichen | |
| Zensur seiner Kunst, aber auch wegen seiner politischen Aussagen. | |
| Es sei ein Privileg, nun in Deutschland ausstellen zu können. Ihn | |
| beschäftigt vor allem die Flut an Informationen, die uns alle täglich über | |
| den Krieg erreiche: „Jede Person erhält andere Fakten über den Krieg, das | |
| irritiert und spaltet. Aber ein unbestrittener Fakt ist die Tatsache, dass | |
| Menschen sterben. Sie sterben für politische Ambitionen.“ | |
| Dieses Sterben könnte verhindert werden, so Kharlamov, aber es werde zu | |
| wenig getan. Seine Bilder beschäftigen sich mit ebendieser Wirklichkeit, | |
| der sich Soldat*innen jeden Tag aussetzen. „Für mich ist das das Gesicht | |
| des Krieges. Dass die Hoffnung mit den Personen stirbt und es kein Zurück | |
| mehr gibt.“ | |
| Dass auch Russ*innen dabei sein würden, haben die Initiatoren vorab offen | |
| kommuniziert. Es hätten ukrainische Künstler*innen deswegen nicht | |
| teilnehmen wollen, erzählt Boué. Auch Nadiia Mykhailiuk spricht von einer | |
| harten Entscheidung: „Ich musste schon kurz mit meinen eigenen moralischen | |
| Prinzipien in den Dialog treten.“ Am Ende sei aber die Person hinter der | |
| Kunst wichtiger als ihre Herkunft. Sie habe sich viel mit den individuellen | |
| Arbeiten der russischen Künstler*innen auseinandergesetzt und | |
| schließlich zugesagt. | |
| Trotz der nicht unproblematischen Beteiligung auch von Russ*innen: Seit | |
| Bekanntmachung des Projekts seien etliche Initiativbewerbungen von | |
| ukrainischen Künstler*innen eingegangen, erzählt Simone Lietzkow vom | |
| Westwerk, die nun auch selbst ausstellt. „Das zeigt, dass wir einen Raum | |
| schaffen können, der sich über die einzelne Herkunft hinwegsetzt und die | |
| persönlichen Gedanken der Beteiligten in Form gießt“, sagt Lietzkow. Am | |
| Ende zähle die Haltung zum Krieg – und die sei bei allen Beteiligten die | |
| gleiche. | |
| 24 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nele Aulbert | |
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