# taz.de -- „Nine Perfect Strangers“ bei Amazon: Wellness mit Nicole Kidman | |
> Die neue Serie von David E. Kelley wirkt zunächst wie eine | |
> Esoterik-kritische Groteske. Womöglich war sie aber bloß als leichte | |
> Überzeichnung gedacht. | |
Bild: Die US-amerikanisch-australische Schauspielerin und Filmproduzentin Nicol… | |
Die beste Fernsehserie aller Zeiten, [1][„Mad Men“], endet damit, dass die | |
Hauptfigur, der Werbeprofi Don Draper, im Lotus-Sitz auf einem Hügel einer | |
kalifornischen Esoterik-Klitsche sitzt und meditiert. Okay, die genialen | |
Ideen und brillanten Pitches war er seinen Kollegen und den Zuschauern nun | |
schon eine ganze Weile schuldig geblieben. Aber wie hatte er nur so tief | |
sinken können? Dann ein Lächeln auf seinem Gesicht. Überblendung auf den | |
berühmten 1971er „Hilltop“-Werbespot von Coca-Cola. Die Muse hatte ihn doch | |
noch einmal geküsst. So jedenfalls wollten die Szene viele begreifen. | |
Man fragt sich ja manchmal, wie die Serienschöpfer so auf ihre Ideen | |
kommen. Bestimmt, ganz sicher, hat einer der erfolgreichsten unter ihnen, | |
David E. Kelley („L.A. Law“, „Picket Fences“, „Chicago Hope“, „Al… | |
…), die „Mad Men“-Szene gesehen. Möglicherweise hat er auch noch Edward … | |
Aubyns frühen Roman „On The Edge“ gelesen, der in der Eso-Klitsche | |
„Esalen-Institut“ spielt. Aber St Aubyn ist Engländer, sein ätzender Spott | |
über New Age, östliche Philosophie, Yogis und veganes Hundefutter | |
wahrscheinlich eine sehr europäische Angelegenheit. | |
So liegt man (als deutscher Europäer) wohl auch falsch, wenn man zu Beginn | |
der neuen (achtteiligen) David-E.-Kelley-Serie „Nine Perfect Stranges“ | |
räsoniert, ob das wohl eine Groteske sein soll. Ja, das Personal ist sowas | |
von over the top. Aber so kommt es einem bei amerikanischen Serien ja oft | |
vor. Wahrscheinlich sollen die Figuren nur leicht überzeichnet sein: die | |
Bestseller-Autorin (Melissa McCarthy) in ihrem dicken BMW, die | |
Bling-Bling-Influencerin mit ihrem Lambo-Freund, der langweilige | |
High-School-Lehrer (Michael Shannon) mit seinen spießigen Kurzarm-Hemden, | |
selbsredend fährt er Volvo, der distanzlose Proll (Bobby Cannavale) im | |
Ford-Mustang-Muscle-Car. | |
Sie alle sind auf dem Weg an einen wunderschön im Grünen gelegenen Ort | |
(gedreht wurde in Australien), es könnte auch der Image-Film einer | |
Maklerfirma für Luxusimmobilien sein: Sichtbeton, bodentiefe Fenster, | |
freistehende Badewannen. Der Proll hält nicht damit hinter dem Berg, wie er | |
auf den Ort gestoßen ist: Er hat einfach die Worte „wellness“ und „most | |
expensive“ gegoogelt. | |
## Ein bisschen Agatha Christie, ein bisschen „Big Little Lies“ | |
„Namaste. Welcome to Tranquillum House!“, werden sie von einer ätherisch | |
alterslosen, immer weiß gekleideten Nicole Kidman begrüßt. Sie hatte | |
bereits in David E. Kelleys jüngsten Erfolgsserien – „Big Little Lies“ u… | |
„The Undoing“ – Hauptrollen übernommen. Jetzt also hat sie sich einen | |
russischen Akzent draufgeschafft, mit dem sie den neun Neuankömmlingen das | |
Blaue vom Himmel, also das Übliche verspricht: dass sie in nur zehn Tagen | |
nicht mehr die Personen seien, die sie jetzt sind, sondern glücklicher, | |
gesünder, leichter, freier … | |
Das haben sie auch nötig – wie nötig, erfährt man erst nach und nach, über | |
mehrere Folgen hinweg. Der Proll hat zum Beispiel in einer | |
Kneipenschlägerei einen Mann getötet. Der Highschool-Lehrer, der mit Frau | |
und Tochter angereist ist, hat drei Jahre vorher seinen Sohn durch | |
Selbstmord verloren. Er findet für „Tranquillum House“ einen schönen | |
Altnerativ-Namen: „Betty Ford Clinic in reverse“. Da haben er und die | |
anderen gerade begriffen, dass ihnen (über viele bunte Smoothies) illegale | |
Drogen verabreicht werden. Die ätherische Nicole Kidman erklärt ihnen, dass | |
es doch nur zu Ihrem Besten sei: „This protocol cures addiction. It can | |
treat mental illness. It can treat PTSD, schizophrenia, dementia. It can | |
make you eat better, sleep better, fuck better and it has the capacity to | |
change the world.“ | |
… die Fähigkeit, die Welt zu ändern! Nicht schlecht. Es liegt nicht allein | |
an Nicole Kidmans gebotoxtem Antlitz, dass man sich nicht wundern würde, | |
wenn aus ihrer Guru-Körperhülle am Ende noch ein Alien wie im gleichnamigen | |
Film schlüpfen würde. Eine Groteske ist die (wie schon „Big Little Lies“ | |
auf einer Romanvorlage von Liane Moriarty basierende) Serie „Nine Perfect | |
Strangers“ also nicht – aber viel mehr ist in Sachen Genre auch nach sechs | |
Folgen (die Journalisten vorab sehen durften) noch nicht klar geworden. | |
Vielleicht steckt der entscheidende Hinweis in den bedrohlichen Botschaften | |
an Kidman, etwa per Textnachricht auf ihr Handy: „Congratulations! It’s | |
your LAST WEEK ON EARTH.“ Nur einer der neun Gäste oder drei Angestellten | |
kommt als Urheber in Betracht. David E. Kelley ist schon seit mehr als drei | |
Jahrzehnten im Geschäft. Aber damit – ein erlesenes Starensemble in einem | |
Whodunit in luxuriöser Kulisse – begibt er sich ins Fahrwasser der um das | |
Jahr 1980 entstandenen Agatha-Christie-Verfilmungen mit Peter Ustinov („Tod | |
auf dem Nil“, „Das Böse unter der Sonne“). | |
Man fragt sich ja manchmal, wie die Serienschöpfer so auf ihre Ideen | |
kommen. Bei manchen Serien fragt man sich allerdings, ob sie da nun | |
entweder zu viele Ideen auf einmal hatten – oder überhaupt keine. | |
20 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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