# taz.de -- Serap Güler über Vorstoß aus Berlin: „Eine Quote ist der falsc… | |
> Serap Güler wurde mit 37 Jahren Staatssekretärin für Integration in NRW. | |
> Wie die CDU-Frau Politik und Verwaltung diverser machen will. | |
Bild: Im öffentlichen Dienst arbeiten kaum Menschen mit Migrationsgeschichte �… | |
taz: Frau Güler, Sie haben in der Politik schnell Karriere gemacht. | |
Pressesprecherin für den damaligen Integrationsminister [1][Armin Laschet], | |
jüngste Abgeordnete bei der CDU Landtagsfraktion – mit 37 dann | |
Staatssekretärin für Integration. Wie ist Ihnen das gelungen? | |
Serap Güler: Ich war 32, als ich die jüngste Abgeordnete der CDU-Fraktion | |
in Nordrhein-Westfalen wurde. Heute ist unsere jüngste Abgeordnete 27. Da | |
hat sich in den letzten Jahren einiges getan – auch in der CDU. Deswegen | |
klingt Ihre Beschreibung positiver, als sie am Ende war. Und als ich | |
Staatssekretärin wurde, war ich in NRW „nur“ die drittjüngste. So viel zur | |
Einschätzung meiner Karriere. Aber machen wir uns nichts vor: Man muss | |
manchmal auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Das scheint bei mir | |
der Fall gewesen zu sein. 2009 bin ich der CDU beigetreten. 2012 löste sich | |
der Landtag auf und die CDU brauchte in einigen Wahlkreisen dringend | |
Kandidaten. Ich wurde gefragt und freue mich, dass es geklappt hat. | |
Die Politkarriere war Ihnen nicht gerade in die Wiege gelegt. Ihr Vater war | |
Bergmann, Ihre Mutter Hausfrau. Viele Studien belegen, dass die [2][soziale | |
Herkunft] die Bildungskarriere bestimmt. Wie lief es bei Ihnen? | |
Ohne Nachhilfe wäre es bei mir nicht gegangen. In der Grundschule konnte | |
das meine Mutter noch auffangen. Ich erinnere mich, wie sie mit mir Diktate | |
geübt hat. Sie hat mir vorgelesen, auch wenn ihre Aussprache nicht so | |
perfekt war. Aber dann hat sie Wort für Wort meines Diktates mit dem | |
Schulbuch verglichen. In der weiterführenden Schule war das dann nicht mehr | |
möglich und ich erhielt Nachhilfeunterricht. Ich hatte aber nie das Gefühl, | |
dass meine soziale Herkunft ein Hindernis war. | |
Haben Sie sich während der Schulzeit mal benachteiligt gefühlt? | |
Nein. Das lag aber sicher auch an meiner Erziehung daheim. Meine Eltern | |
haben mir eingetrichtert, dass ich meine eigenen Fehler nicht auf andere | |
abwälzen soll. Ich hatte eher das Gefühl, dass es ganz viele Menschen gibt, | |
die mich unterstützt haben. Auch später an der Universität. | |
Sie haben sich selbst als Kofferkind bezeichnet. Ihre Eltern sind als so | |
genannte Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und wollten irgendwann | |
zurück in die Türkei. Hat Sie das geprägt? | |
Als Kind habe ich das als völlig normal wahrgenommen. Wir sind jedes Jahr | |
in den Sommerferien in die Türkei gefahren. Bis in die 90er sogar noch mit | |
dem Auto. Und ja: Wir sind davon ausgegangen, dass wir in die Türkei | |
zurückgehen, wenn mein Vater in Rente geht. Es ist anders gekommen. So wie | |
mir ging es auch anderen Gastarbeiter-Kindern. Wir sind alle mit dieser | |
Legende groß geworden. Je älter ich wurde, desto blasser wurde diese | |
Legende. | |
Arbeitsminister Hubertus Heil hat sich vergangene Woche entschuldigt, dass | |
Deutschland vor 50 Jahren nur die Arbeitskräfte gesehen hat und nicht die | |
Menschen. Wo stehen wir heute bei der Wertschätzung von Migrant:innen? | |
Heute sind wir Lichtjahre weiter. Damals hatten die Betroffenen gar keine | |
Stimme und so gut wie keine Unterstützung in der Gesellschaft. Nur ein | |
persönliches Beispiel: Mein Vater erzählt gerne, dass er 40 Jahre lang | |
unter Tage gearbeitet hat, und zwar „ohne einen Tag krank“, wie er oft | |
betont. Aber natürlich war mein Vater auch mal krank. Einmal ist er beim | |
Arzt gewesen, um sich krankschreiben zu lassen. Und der Arzt hat ihn nur | |
kurz angeguckt und gesagt: Er solle sich nicht so anstellen, natürlich | |
könne er arbeiten. Die Lebensleistung der ersten Generation der | |
Gastarbeiter haben wir bis heute nicht wirklich anerkannt. Das wäre auch | |
ein wichtiges Signal an ihre Nachfahren. | |
Die Bundesregierung lobt gerne ihre Bemühungen bei der Integration. Es gibt | |
dennoch viele Baustellen. Eine davon ist, dass Menschen mit | |
Migrationsgeschichte in der Politik stark unterrepräsentiert sind. Im | |
Bundestag liegt der Anteil bei 8 Prozent. Bei Ihrer Partei sogar nur bei 3 | |
Prozent. | |
Das ist natürlich ein Problem, politische Parteien müssen die Vielfalt in | |
unserer Gesellschaft widerspiegeln. Acht Prozent sind viel zu wenig, wenn | |
25 Prozent der Menschen in Deutschland eine Einwanderungsgeschichte haben. | |
In NRW sind es sogar 30 Prozent. Diese Vielfalt spiegeln die Parlamente | |
nicht ausreichend wider. Auch die CDU nicht. Die Parteien müssen sich | |
stärker um Menschen mit Einwanderungsgeschichte bemühen und diese dann auch | |
für Ämter aufstellen. | |
[3][Diesen Appell] hört man schon viele Jahre, ohne dass sich viel bewegt | |
hätte. Was könnte helfen? Fixe Quoten sind ja eher heikel, wie die | |
gekippten Paritätsgesetze in Thüringen und Brandenburg zeigen. | |
Von den [4][Paritätsgesetzen] halte ich nichts, auch wenn ich an sich für | |
Frauenquoten bin. Wir können aber dem Wähler nicht vorschreiben, dass er | |
noch 2,3 Frauen mehr wählen muss, damit die Parität im Landtag stimmt. Dann | |
können wir nicht mehr von Basisdemokratie, nicht mehr von freien Wahlen | |
sprechen. Die Parteien an der Basis müssen Frauen für politische Ämter | |
motivieren. Das gleiche gilt meiner Meinung nach für Menschen mit | |
Einwanderungsgeschichte. Um sie werben: ja. Eine Quote per Gesetz | |
festschreiben: nein. | |
Auch im öffentlichen Dienst arbeiten kaum Menschen mit | |
Migrationsgeschichte. Könnte da [5][eine Quote helfen], wie sie die | |
Berliner Integrationssenatorin plant? | |
Wir sind uns absolut einig, dass es im öffentlichen Dienst mehr Menschen | |
mit Einwanderungsgeschichte geben muss. Ich kenne auch keine Partei – bis | |
auf eine – die nicht mehr Vielfalt in der Verwaltung möchte. Wir sind uns | |
aber über den Weg uneinig. Ich bin wirklich gespannt, vor welchem Gericht | |
so eine Quote Bestand hätte. Baden-Württemberg hat schon 2014 ein | |
entsprechendes Gutachten in Auftrag gegeben, 2015 die | |
Friedrich-Ebert-Stiftung. Beide kommen zu dem Schluss: Eine starre Quote | |
für Migranten wäre europa- und verfassungsrechtlich nicht haltbar. Selbst | |
wenn sie nur bei gleicher Eignung greift, wäre das in der Praxis sehr | |
schwierig umzusetzen. Eine Quote kann nicht der richtige Weg sein. | |
Was wäre denn der richtige Weg? | |
Wir sprechen in NRW gezielt Menschen an. Das ist unglaublich wichtig, weil | |
in den migrantischen Communities viele glauben, dass sie ohne deutsche | |
Staatsbürgerschaft keinen Job in der öffentlichen Verwaltung kriegen. Aber | |
das stimmt nicht. Das gilt nur, wenn sie sich verbeamten lassen wollen. | |
Neben der gezielten Ansprache an mögliche Bewerber möchten wir die | |
interkulturelle Kompetenz bei denjenigen stärken, die | |
Personalentscheidungen treffen. Und wir möchten mit diskriminierungsfreien | |
Bewerbungsverfahren arbeiten. Mit diesen drei Maßnahmen wollen wir den | |
Anteil der Menschen mit Einwanderungsgeschichte bei uns erhöhen. | |
Mit welchem Erfolg? | |
Wir liegen etwas über dem Bundesschnitt. Da sind es 12 Prozent, bei uns in | |
NRW sind es knapp 14 Prozent. | |
Also kein wirklicher Erfolg. Das Integrationsministerium in NRW gibt es | |
schließlich seit 2005… | |
Ich vermute, dass der Anteil mittlerweile etwas höher liegt. Die letzte | |
Erhebung ist von 2016. Manche Mitarbeiter möchten auch gar nicht über die | |
Herkunft ihrer Eltern definiert werden und machen bei so einer freiwilligen | |
Befragung nicht mit. Ich komme selber beispielsweise gar nicht in den 14 | |
Prozent vor, weil ich damals die Abgabe des Umfragebogens verbummelt habe. | |
Wir werden demnächst aber eine neue Umfrage starten, um zu sehen, wo wir | |
stehen. | |
Expert:innen mahnen regelmäßig, wie wichtig eine vielfältige Verwaltung | |
für den sozialen Zusammenhalt wäre. Wo sehen Sie noch dringenden | |
Handlungsbedarf? | |
Bei der Einbürgerung. Wir möchten beispielsweise alle, die die | |
Voraussetzungen erfüllen, dazu bewegen. Das betrifft vor allem die, die vor | |
2015 ins Land gekommen sind. Ich weiß, dass es einigen Gruppen schwerfällt, | |
den alten Pass abzugeben. Aber sie kriegen dafür ja so viel mehr und keiner | |
nimmt ihnen dadurch ihre kulturelle Identität weg. Da spreche ich auch aus | |
eigener Erfahrung. | |
Jetzt verteidigen Sie aber Politik, die Sie selbst nicht gutheißen. | |
Persönlich habe ich mich immer klar für die Mehrstaatlichkeit | |
ausgesprochen, das stimmt. Trotzdem: Nur weil es noch kein modernes | |
Mehrstaatlichkeitskonzept gibt, ist es ja nicht falsch, für die deutsche | |
Staatsbürgerschaft zu werben. Übrigens spreche ich mich für einen | |
Generationenschnitt aus. Also ja zur doppelten Staatsbürgerschaft, aber | |
begrenzt auf zwei oder drei Generationen. Welchen Sinn ergibt es, wenn man | |
irgendwann in der achten Generation in Deutschland lebt und immer noch die | |
Staatsangehörigkeit der Vorfahren innehat? Meiner Meinung nach keinen. | |
Eine langjährige Forderung ist, endlich auch Nicht-EU-Bürger:innen auf | |
kommunaler Ebene wählen zu lassen, wie es EU-Bürger:innen in Deutschland | |
längst dürfen. Unterstützen Sie das? | |
Wir in der CDU haben uns bewusst dagegen entschieden. Das EU-Recht beruht | |
auf Gegenseitigkeit. Ein Franzose darf bei Kommunalwahlen in Deutschland | |
teilnehmen und umgekehrt. Möchte man dieses Recht öffnen, müsste man mit | |
zig Staaten bilaterale Verträge aushandeln. Besser ist doch, den Menschen | |
das Recht zu geben, stattdessen an allen wichtigen Wahlen im Land | |
teilnehmen zu dürfen. Und das erhalten sie mit der Einbürgerung. | |
Wo wollen Sie politisch noch hin? In einer CDU ohne Angela Merkel? | |
Ich bin erst mal sehr gerne Staatssekretärin in NRW. Um das Thema | |
Integration möchte ich mich auch gerne weiter kümmern. Da mache ich mir in | |
meiner Partei auch erst mal keine Gedanken. Wir haben ja jetzt auch einen | |
Parteivorsitzenden, der der erste Integrationsminister in der Geschichte | |
der Bundesrepublik war und schon alleine deshalb nicht überzeugt werden | |
muss, wie wichtig das Thema ist. | |
Die wenigen Politiker:innen mit Migrationsgeschichte kümmern sich | |
häufig um die Themen Integration und Migration. Ist das gut, weil sie dafür | |
besonders qualifiziert sind? Oder schlecht, weil Parteien sie vielleicht | |
immer noch auf ihre Herkunft reduzieren? | |
Ich finde es ehrlich gesagt seltsam, dass das oft nur bei der | |
Integrationspolitik zum Thema gemacht wird. Wenn eine Lehrerin die | |
schulpolitische Sprecherin in der Fraktion ist, wird das ja auch nicht in | |
Frage gestellt. Oder wenn eine Bäuerin Agrarpolitik macht. Natürlich kann | |
die Person das am besten, weil sie einen Bezug dazu hat. In meinem Fall war | |
es sogar so, dass ich mich im Studium schon mit Integrationspolitik | |
beschäftigt habe. Also lange bevor ich ein Parteibuch hatte. Ich wollte | |
auch nur im Integrationsministerium arbeiten. Ein anderes Ministerium wäre | |
für mich gar nicht in Frage gekommen. Natürlich fände ich es schade, wenn | |
Menschen mit Einwanderungsgeschichte in 10, 15 Jahren immer noch | |
ausschließlich als Integrations- oder Migrationspolitiker wahrgenommen | |
würden. | |
28 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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