# taz.de -- Parität in den Parlamenten: Angst vor der Identitätsdebatte | |
> Das Karlsruher Votum zu Paritätsgesetzen zeigt: Vorgaben für Parlamente | |
> mit gleich vielen männlichen wie weiblichen Abgeordneten bleiben ein | |
> Wunschtraum. | |
Bild: Ein Aktionsbündnis forderte Parlamente mit gleich vielen männlichen wie… | |
Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag aufgezeigt, wie groß seine | |
Bedenken gegen [1][Paritätsgesetze] sind. Dies war nicht das letzte Zucken | |
des Patriarchats. Vielmehr entschied der zuständige Zweite Senat mit fünf | |
Richterinnen und nur drei Richtern unter Vorsitz einer Frau (Doris König). | |
Viel weiblicher wird das Bundesverfassungsgericht wohl nicht mehr werden. | |
Es ging um die Frage, ob Wahlen nur dann zulässig sind, wenn ein | |
Paritätsgesetz sicherstellt, dass am Ende gleich viele Männer wie Frauen | |
zur Wahl stehen. Eine Münchener Initiative – das Aktionsbündnis Parité – | |
hatte 2016 zunächst in Bayern gegen die Untätigkeit des dortigen Landtags | |
geklagt. 2017 griff die Initiative dann die Bundestagswahlen an. Wie schon | |
das bayerische Verfassungsgericht konnte nun auch das | |
Bundesverfassungsgericht keine verfassungswidrige Untätigkeit des | |
Gesetzgebers erkennen. | |
Zu groß ist die Gestaltungsfreiheit der Parlamente. Die Unterlassungsklagen | |
galten auch unter Parité-BefürworterInnen von vornherein als chancenlos. | |
Dagegen gelang es in Thüringen und Brandenburg tatsächlich, Paritätsgesetze | |
einzuführen. Um so größer dann der Schock, als [2][beide Gesetze im Vorjahr | |
kurz hintereinander von den Landesverfassungsgerichten in Weimar und | |
Potsdam kassiert] wurden, unter anderem weil der Eingriff in die | |
Selbstbestimmung der Parteien bei der KandidatInnenaufstellung zu groß sei. | |
Obwohl beide Landesverfassungen ausdrückliche Aufträge zur Förderung der | |
Gleichberechtigung enthielten, genügte dies den RichterInnen nicht. So | |
bestürzend die [3][Urteile für Parité-BefürworterInnen] waren, hatten sie | |
doch auch Kompromiss-Charakter. Während die meist rechtsradikalen Kläger | |
Paritätsgesetze als absolut verbotenen Verstoß gegen das Demokratieprinzip | |
sehen, räumten die RichterInnen zumindest die Möglichkeit einer Änderung | |
der jeweiligen Landesverfassung ein. | |
## Zweidrittelmehrheit erforderlich | |
Das Ziel blieb also erreichbar, nur die Hürde wurde höher. Erforderlich ist | |
nun eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag – die angesichts der Ablehnung | |
von CDU, FDP und AfD bis auf weiteres jedoch unerreichbar scheint. Zuletzt | |
ruhten die Hoffnungen der Parité-BefürworterInnen deshalb auf dem | |
Bundesverfassungsgericht. Es wurde auf ein starkes Signal gehofft, neue | |
Anläufe in Bund und Ländern zu unternehmen. | |
Ein solches Signal war die am Dienstag veröffentlichte Karlsruher | |
Entscheidung nun aber sicher nicht. Im Gegenteil: Es wurden fast nur | |
Argumente gegen Paritätsvorgaben aufgezählt, verbunden mit dem Vorwurf an | |
die Klägerinnen, sie hätten sich damit nicht genug auseinandergesetzt. | |
Selbst wenn es nach der Bundestagswahl ein (derzeit unwahrscheinliches) | |
rot-rot-grünes Bündnis gäbe und dieses sich auf ein Paritätsgesetz für den | |
Bundestag einigen würde, müsste man zur Vorsicht raten. | |
Die Gefahr, dass ein derartiges Gesetz vom Bundesverfassungsgericht gekippt | |
würde, ist ziemlich hoch. Nach den Erfahrungen von Thüringen und | |
Brandenburg müsste man wohl dazu raten, zunächst das Paritätsziel im | |
Grundgesetz zu verankern. Doch auch auf Bundesebene ist die erforderliche | |
Zweidrittelmehrheit weit entfernt. Warum aber sind die | |
VerfassungsrichterInnen so zögerlich? | |
Parteiliche Quotenregelung | |
Vermutlich hat dies weniger mit der Frauenfrage zu tun als mit | |
grundsätzlichen Einwänden gegen identitätspolitische Vorgaben an die | |
Zusammensetzung von Parlamenten. Es besteht wohl die Befürchtung, ein | |
Parlament werde bald nur noch dann als legitim anerkannt, wenn es | |
spiegelbildlich zur Gesellschaft zusammengesetzt ist. Und natürlich könnten | |
nach den Frauen auch MuslimInnen, ArbeiterInnen oder Nicht-AkademikerInnen | |
verlangen, entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil im Parlament vertreten zu | |
sein. | |
Die Aushandlungsprozesse über die gruppenspezifische Zusammensetzung des | |
Parlaments würde zu einem neuen ständigen Unruheherd und | |
Legitimationsproblem. Es ist gut nachvollziehbar, dass man diese neue | |
Metaebene der Politik, bei der vor allem darüber diskutiert wird, wer etwas | |
beschließt, erst gar nicht eröffnen will. Und die Lage ist auch nicht so, | |
als ob Paritätsgesetze die einzige Möglichkeit wären, den Frauenanteil in | |
Parlamenten zu erhöhen. | |
Ausgehend von den Grünen treten immer mehr Parteien bei Wahlen mit | |
quotierten Listen an. Auch die Linke hat eine fünfzig-Prozent Quote, die | |
SPD sichert 40 Prozent der Listenplätze für Frauen. Sogar die CDU bewegt | |
sich und will bis 2025 eine Fünfzig-Prozent-Quote einführen. Frauen (und | |
Männer) haben also genügend Möglichkeiten, Parteien mit hoher | |
Frauenrepräsentation zu wählen. Am Ende bliebe vielleicht nur die AfD als | |
offen frauenignorante Partei. | |
Der Frauenanteil der AfD-Fraktion im Bundestag beträgt derzeit nur elf | |
Prozent. Hieran wird sich ohne ein Paritätsgesetz wohl so schnell nichts | |
ändern. Aber ist es so wichtig, den Frauenanteil in der AfD-Fraktion zu | |
erhöhen? Ist es eine der drängendsten Forderungen, mehr Alice Weidel und | |
mehr Beatrix von Storch im Bundestag zu haben? | |
3 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Zu-wenig-Frauen-in-den-Parlamenten/!5744965 | |
[2] /Paritaetsgesetz-in-Brandenburg-gekippt/!5719855 | |
[3] /Entscheidung-ueber-das-Paritaetsgesetz/!5696001 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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