# taz.de -- Mehr Diversity bei den Grünen: Grüne wollen sich vervielfältigen | |
> Noch ist die Partei nicht besonders divers. Um das zu ändern, will sie | |
> sich beim nächsten Parteitag ein „Statut für eine vielfältige Partei“ | |
> geben. | |
Bild: So sieht er aus: Der Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Weißen | |
BERLIN taz | Im Jahr 1986 beschlossen die Grünen ihr Frauenstatut – und | |
schrieben damit als Partei frauenpolitisch Geschichte. Nun, 34 Jahre | |
später, legen sie nach: Die Partei soll sich beim Parteitag im November ein | |
„Statut für eine vielfältige Partei“ geben. „Nach wie vor sind viele | |
gesellschaftliche Gruppen unterrepräsentiert und brauchen eine vernehmbare | |
Stimme, auch in der Politik. Diese Anforderung richtet sich auch an uns als | |
Partei“, erklärt dazu Robert Habeck, Co-Parteivorsitzender der Grünen. | |
„Die Vielfalt unserer Partei ist unsere Stärke“, heißt es in dem | |
Statutstext, der der taz vorliegt und den die Grünen-interne AG Vielfalt | |
vor wenigen Tagen beschlossen hat. Trotzdem seien „große gesellschaftliche | |
Gruppen unterrepräsentiert. Wir wollen, dass alle mit am Tisch sitzen.“ | |
Seit der Afroamerikaner George Floyd infolge eines brutalen | |
Polizeieinsatzes starb, wird auch in Deutschland über strukturellen | |
Rassismus diskutiert. Der Vorstoß der Grünen passt also in die Zeit, ist | |
aber lange vorbereitet. Vor fast einem Jahr war die entsprechende | |
Arbeitsgruppe gestartet, um bis zur Präsentation [1][des neuen | |
Grundsatzprogramms] Maßnahmen für mehr Diversität in der Partei zu | |
entwickeln. Das heißt unter anderem: mehr Nicht-Akademiker*innen, mehr | |
Queers, mehr Schwarze Menschen und People of Color, mehr Menschen mit | |
Behinderung. | |
Denn schon lange haftet den Grünen der [2][Ruf an, eine Partei vor allem | |
für weiße Akademiker*innen zu sein]. Ja, es gibt die Positivbeispiele: | |
den früheren [3][Parteivorsitzenden Cem Özdemir]. [4][Aminata Touré, heute | |
Vizepräsidentin im Schleswig-Holsteinischen Landtag]. [5][Katrin | |
Langensiepen, die einzige Frau im Europaparlament mit einer sichtbaren | |
Behinderung]. Aber die Breite der Partei sieht anders aus. Der Entwurf für | |
das neue Grundsatzprogramm lese sich „wie das Programm einer weißen Partei, | |
die Ausländer mag“, hatte im März 2019 die Autorin Ferda Ataman kritisiert. | |
„Dass wir in der Repräsentation bestimmter Gruppen Defizite haben, ist | |
offen ersichtlich“, sagt Gesine Agena, Leiterin der AG Vielfalt und bis | |
2019 Mitglied des Grünen-Bundesvorstands. Das Statut ist ein Vorschlag, wie | |
sich das ändern könnte. Auf dieser Grundlage wird der Bundesvorstand auf | |
dem Parteitag im November einen Antrag auf Satzungsänderung einbringen. Er | |
sei „dankbar für die Vorschläge der AG Vielfalt“, sagt Robert Habeck. „… | |
werden die bessere Repräsentanz als Partei mit Hochdruck vorantreiben und | |
im Herbst auf unserem Parteitag einen Beschluss dazu fassen. Wir, als | |
Gesellschaft, sollten Vielfalt als Stärke begreifen und mit ihr eine neue | |
Gemeinsamkeit definieren.“ | |
Es gehe darum, so das Statut, „dass niemand in Bezug auf das Geschlecht, | |
eine rassistische, antisemitische oder antiziganistische Zuschreibung, die | |
Religion und Weltanschauung, eine Behinderung oder Erkrankung, das | |
Lebensalter, die Sprache, die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche | |
Identität, den sozialen Status, die Herkunft oder jede andere Zuschreibung | |
diskriminiert wird“. Dazu müsse man „Barrieren, Hürden oder Vorurteile“… | |
den eigenen Parteistrukturen „finden und einreißen“. Ziel sei es, die | |
„vielfältigen Perspektiven der gesamten Gesellschaft in unserer Partei | |
abzubilden“, diskriminierte Gruppen sollten auf allen Ebenen „mindestens | |
gemäß ihrem gesellschaftlichen Anteil“ repräsentiert sein. | |
## Quote nicht vorgesehen | |
Eine verbindliche Mindestquote, wie es sie im Frauenstatut gibt, ist | |
zunächst nicht vorgesehen. Dafür werden andere konkrete Maßnahmen | |
aufgeführt; so soll es künftig einen Diversitätsrat und im Bundesvorstand | |
neben einer frauenpolitischen Sprecherin auch eine*n | |
diversitätspolitische*n Sprecher*in geben. Alle zwei Jahre soll die | |
Zusammensetzung der Grünen-Funktionär*innen auf Bundes- und Landesebene, im | |
Europäischen Parlament und der Bundesgeschäftsstelle wissenschaftlich | |
untersucht werden. Aufgrund der Ergebnisse sollen Instrumente entwickelt | |
werden, zu denen Diversitytrainings, Empowermentmaßnahmen oder eben auch | |
Quoten zählen können. | |
Über eine feste Quote habe man lange diskutiert, sagt Agena. „Gerade bei | |
den Frauen haben wir gesehen, wie wirkmächtig dieses Instrument als | |
strukturelle Antwort ist.“ Bei Vielfalt gehe es aber um so viele | |
verschiedene Gruppen – soll es da für jede eine einzelne Quote geben? Eine | |
gesamte? Man habe keine praktikable Lösung gefunden. Mit der Evaluierung | |
gehe man nun einen ersten Schritt „Und dann werden wir über weitere | |
Instrumente wie zum Beispiel auch Quoten diskutieren.“ | |
Das Frauenstatut sei damals „ein Meilenstein“ für die Grünen gewesen und | |
präge sie bis heute, sagt Agena. „Es hat zur Institutionalisierung des | |
Feminismus in der ganzen Partei beigetragen. Mit dem Statut für eine | |
vielfältige Partei gehen wir jetzt einen großen nächsten Schritt in der | |
Parteientwicklung.“ Die ganze Breite der Gesellschaft auch in der Partei | |
abzubilden sei eine Grundsatzfrage: „Es ist ein großes Demokratiedefizit, | |
wenn in Parteien und Parlamenten die Amts- und Mandatsträger*innen | |
größtenteils weiß und akademisch sind und wichtige Perspektiven fehlen.“ | |
Regional hätten die Grünen da schon viel geschafft, etwa mit dem | |
Empowermentnetzwerk Bunt-Grün im Berliner Landesverband. „Jetzt wollen wir | |
das bundesweit hinkriegen“, so Agena. | |
Das Statut legt außerdem fest, dass Präsidien und Podien divers zu besetzen | |
und alle Veranstaltungen barrierefrei zu gestalten sind. In | |
Stellenausschreibungen sollen Angehörige diskriminierter Gruppen besonders | |
angesprochen werden. Da, wo sie unterrepräsentiert sind, sollen sie bei | |
gleicher Kompetenz bevorzugt eingestellt werden. | |
Natürlich sei der Weg hin zu mehr Diversität in den eigenen Reihen kein | |
einfacher Prozess. „Wir müssen aber anerkennen, dass Rassismus eine | |
Struktur ist, die unsere Gesellschaft, unser aller Denken durchzieht. Davon | |
können wir uns auch als Partei nicht einfach freimachen“, sagt Agena. „Wir | |
alle müssen Rassismus verlernen und dafür ist dieser Prozess ein wichtiger | |
Beitrag.“ Für die Partei sei es ein „entscheidender Schritt nach vorn, der | |
eben auch bedeutet, Geld, Macht und Ressourcen anders zu verteilen“, sagt | |
Agena. „Das war bei der Frauenquote auch so.“ | |
## Pionierrolle unter Parteien | |
Die Grünen nähmen mit diesem neuen Statut eine „absolute Pionierrolle“ | |
unter den Parteien ein, sagt [6][Tupoka Ogette.] Die Autorin und | |
Anti-Rassismus-Trainerin hat die AG Vielfalt im vergangenen Jahr begleitet | |
und beraten. „Das hat Vorbildcharakter und ich hoffe, es werden viele | |
weitere folgen“, sagt Ogette. Denn mit mangelnder Diversität sei die grüne | |
Partei wahrlich nicht allein. | |
Die eigentliche Arbeit gehe aber erst los, wenn das Statut erst mal | |
verankert sei. „Dann werden wir sehen, wie die Dinge wirklich umgesetzt | |
werden – oder ob es nur Lippenbekenntnisse sind“, sagt Ogette. | |
Die Grünen hätten dafür aber den richtigen Weg eingeschlagen. „Ein Statut | |
hat großen institutionellen Charakter. Es steht für eine | |
Selbstverpflichtung und für ein Selbstverständnis: Wer wollen wir sein, wo | |
wollen wir hin“, sagt Ogette. Auch, dass die Initiative vom Bundesvorstand | |
komme, habe eine starke Signalwirkung. „Das gibt dem Ganzen Legitimation | |
und unterstützt alle Menschen, die diskriminiert werden.“ Es helfe Leuten | |
auch, mitzuziehen: „Niemand muss mehr alleine argumentieren und kämpfen, | |
sondern man kann sich auf die Satzung und den Bundesvorstand berufen.“ | |
Eine Grundvoraussetzung auf dem langen Weg zu mehr Diversität sei, | |
anzuerkennen, dass es rassistische Strukturen nicht nur bei Nazis gebe. | |
„Gerade da, wo ein eher linkes Selbstverständnis herrscht, fällt das oft | |
schwer“ sagt Ogette. „Man blickt auf sich selbst und sagt: Wir, die Grünen, | |
wir sind doch die Guten. Aber es gibt keine rassismusfreien Räume in | |
Deutschland.“ Das Gleiche gelte für andere Formen von Ausgrenzung – sei es | |
Homo- oder Behindertenfeindlichkeit. „Das ist strukturell und | |
institutionell so tief verankert – auch bei den Grünen.“ | |
29 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Gruene-und-ihr-Grundsatzprogramm/!5692766 | |
[2] /Die-Gruenen-wollen-diverser-werden/!5623795 | |
[3] /Gruenen-Absage-an-Cem-Oezdemir/!5629991 | |
[4] /Gruene-Aminata-Toure-ueber-junge-Politik/!5603371 | |
[5] /Politikerin-ueber-ihr-Leben-mit-Behinderung/!5529824 | |
[6] /30-Jahre-Friedliche-Revolution/!5639332 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
## TAGS | |
Robert Habeck | |
Diversity | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Doku | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Grüne Berlin | |
Bundestag | |
Nordrhein-Westfalen | |
Annalena Baerbock | |
Antirassismus | |
Grüne | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
ARD-Doku „Yes She Can“: Allein unter Männern | |
Die Doku begleitet vier junge Politikerinnen in Brüssel, Berlin, Kiel und | |
auf Usedom. Die inspirierenden Biografien sollen Frauen empowern. | |
Bundestagskandidat Tareq Alaows: Verbal und physisch bedroht | |
Der erste aus Syrien geflüchtete Bundestagskandidat erhielt mehrere | |
Drohungen. Nun zieht Tareq Alaows seine Kandidatur zurück. | |
Diversity-Umfrage der Berliner Grünen: Mehr Milieus möglich | |
Die Berliner Grünen stellen eine innerparteiliche Diversity-Umfrage vor. | |
Eine Migrantenquote für Ämter und Mandate lehnt die Parteispitze ab. | |
Grünen-Politiker will in den Bundestag: „Versteckt habe ich mich nicht“ | |
Özcan Mutlu (52) will für die Grünen im Wahlkreis Mitte zurück in den | |
Bundestag – und setzt dabei auf „Vielfalt“. | |
Die Grünen und Gewerkschaften in NRW: Der SPD den Rang ablaufen | |
Die Grünen umwerben im Bund und in NRW Gewerkschaften und Sozialverbände. | |
Konfliktpotenzial gibt es beim Klimaschutz. | |
Grüne und ihr Grundsatzprogramm: Raus aus der Nische | |
Die Grünen stellen ihr neues Grundsatzprogramm vor. Es klingt sehr mittig | |
und nicht mehr ganz so ökig. | |
Diskriminierung in Deutschland: Verlernen wir Rassismus! | |
Als Schwarze Frau und weißer Mann sind wir von Rassismus in Deutschland | |
unterschiedlich betroffen. Doch es geht uns alle an. | |
Die Grünen wollen diverser werden: Bündnis 90/Die Weißen? | |
Die Mehrheit der Grünen-Mitglieder ist weiß und privilegiert. Die Partei | |
will das ändern und erklärt Diversität zur Chef*innensache. |