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# taz.de -- Diskriminierung in Deutschland: Verlernen wir Rassismus!
> Als Schwarze Frau und weißer Mann sind wir von Rassismus in Deutschland
> unterschiedlich betroffen. Doch es geht uns alle an.
Bild: Den Kampf um Gleichbehandlung von Schwarzen Menschen können wir nur geme…
Die Bilder aus den USA lassen uns nicht los: ein Knie im Nacken des
Schwarzen [1][George Floyd], „I can’t breathe“. Demonstranten, die knien,
Polizisten, die knien, aus [2][Solidarität] mit dem Opfer. Polizisten in
voller Montur, brennende Häuser, ein US-Präsident, der die aufgepeitschte
Stimmung anheizt und Militärpolizei gegen friedlich Demonstrierende
einsetzt. Es ist ein schmerzhafter Teufelskreis, in dem die USA gefangen zu
sein scheinen, in einer 400-jährigen Geschichte von Rassismus und
Ungleichheit.
Aber es wäre falsch, diese dramatischen Entwicklungen als ein reines
US-Phänomen zu betrachten. So spezifisch sie in ihrer Ausprägung sind,
werfen sie doch ein Licht auf ein Grundproblem unserer Gesellschaft:
Rassismus. Er ist weltweit in seinen Dimensionen sehr unterschiedlich, und
wir können von Glück reden, dass wir solche Auswüchse von Polizeigewalt in
Deutschland nicht haben. Aber Rassismus ist eben auch ein deutsches
Problem.
Wir schreiben diesen Text gemeinsam: [3][eine Schwarze,] die hier in
Deutschland aufgewachsen ist und zeit ihres Lebens Rassismus erfahren hat.
Und ein Weißer, der hier in Deutschland aufgewachsen ist und nicht die
Diffamierung, die Angriffe ertragen muss. Den es aber genauso und ganz
anders angeht. Rassismus ist ein strukturelles Problem einer
Mehrheitsgesellschaft, die lernen muss, sich zu hinterfragen. Rassismus ist
Unrecht und Wurzel für Unfrieden.
Als weißer Mann zögert man manchmal, weil man nicht weiß: Wie soll ich
[4][über Rassismus reden], ohne ungewollt anmaßend, verletzend,
verharmlosend, ausgrenzend oder vereinnahmend zu sein? Als Schwarze Frau
sagt man, frag nicht immer nach Diskriminierungserfahrungen, wann wo und
wer, sondern stell dir einmal das Beschämendste vor, was dir je passiert
ist: verschmäht, ausgegrenzt, verprügelt, entmenschlicht worden zu sein.
Das ist die Rassismuserfahrung. Vielleicht liegt da ein Anfang: im Fragen,
im Zugeben von Unsicherheit, im Zuhören, im Versuch, zu verstehen.
## Schweigen, laut sein oder trauern?
Menschen erfahren Rassismus in Deutschland jeden Tag, im Kleinen und im
Großen. Von verbalen bis hin zu physischen Attacken. Das ist schmerzvoll
und belastet das Vertrauen in eine Gesellschaft. Darf und soll man hier
sein? Ist man akzeptiert? Schwarze Menschen berichten davon, dass sie
verzweifeln. Dass sie nicht wissen, welchen Weg sie wählen sollen:
Schweigen, weil einem sowieso nicht geglaubt wird? Laut sein, aber in Kauf
nehmen, dass für jede Erfahrung ein Gegenargument formuliert wir? Trauern,
obwohl die Solidarisierung von einigen nicht verstanden wird? Und wenn man
als Schwarzer Mensch hört, „Seid doch froh, hier zu sein! In den USA werden
Schwarze erschossen, hier nicht“, dann steht man da und denkt: Ah, man soll
dankbar sein, dass man hier nicht erschossen wird? Man muss schon stark
sein, um da nicht zynisch zu werden.
Das, worum es geht, ist eigentlich das Selbstverständlichste der Welt:
Schwarze Menschen wollen den gleichen Respekt und die gleiche Behandlung
erfahren wie weiße Menschen. Punkt. Aber die Wirklichkeit beweist täglich,
dass es alles andere als selbstverständlich ist. Rassismus ist strukturell,
und er wird definiert durch das Denken und Handeln der
Mehrheitsgesellschaft. Alle sind gefordert, sich damit auseinanderzusetzen,
was wir an Rassismus in uns tragen. Hierbei geht es nicht um einen Vorwurf,
sondern um kluge Prävention. Wir alle wachsen auf in einer Welt, in der wir
über Jahrhunderte Rassismus verinnerlicht haben. Es ist Zeit, dass wir
Rassismus verlernen. Allesamt.
Ein starkes Zeichen dafür wäre, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu
streichen. Er manifestiert eine Unterteilung von Menschen in Kategorien,
die dem Anspruch und Geist unseres Grundgesetzes, „Alle Menschen sind vor
dem Gesetz gleich“, widersprechen. Es gibt eben keine „Rassen“. Es gibt
Menschen.
Gerade staatliche Institutionen müssen für Rassismus sensibilisiert werden;
das beginnt schon in der Aus- und Fortbildung. Bei der Polizei sollte es
Schulungen geben, Beschwerdestellen sollten eingerichtet, die Stelle eines
unabhängigen Polizeibeauftragten sollte geschaffen werden. Es kommt darauf
an, alle Fälle von Polizeigewalt aufzuklären.
Dabei spielen die vielen Polizistinnen und Polizisten, die einen
großartigen Job machen, eine wichtige Rolle: Kommt es zu Übergriffen,
können sie sich vertrauensvoll an den oder die Polizeibeauftragte wenden.
Das würde die Polizei, die als Hüterin von Rechtsstaat und Demokratie
unentbehrlich ist, stärken. Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist
der Grundstoff für eine funktionierende Demokratie. In der
Zivilgesellschaft ist eine dauerhafte Stärkung und Förderung von
Organisationen und Initiativen, die sich gegen Rassismus einsetzen,
dringend nötig. Das sollte über ein Demokratiefördergesetz verankert
werden.
Rassismus entstand aus dem Glauben heraus, Menschen einteilen und sie dann
versklaven und malträtieren zu können. Eine jahrhundertelange Geschichte,
die im unmittelbaren Zusammenhang mit Deutschland steht. Wir müssen uns mit
unserer kolonialen Vergangenheit auseinandersetzen, deren antischwarze
Rassismen bis heute wirken. Wer nicht aufarbeitet, und zwar so, dass es zum
Allgemeinwissen gehört, der wird das Problem nicht im Keim ersticken
können.
Den Kampf um gleichen Respekt und Gleichbehandlung von Schwarzen Menschen
können wir nur gemeinsam führen. Es braucht in der Auseinandersetzung um
Rassismus die Mehrheitsgesellschaft. Wie sollen Minderheiten für ihre
Gleichbehandlung allein kämpfen, und vor allem: wieso? Schwarze Menschen
und Menschen mit Migrationsgeschichte sind seit Jahrhunderten Teil dieser
Gesellschaft. Sie haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass Deutschland
heute so ist, wie es ist. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dafür zu
sorgen, dass jeder Mensch in dieser Gesellschaft leben kann, ohne Rassismus
zu erfahren.
9 Jun 2020
## LINKS
[1] /Nach-dem-Tod-von-George-Floyd/!5690839
[2] /Unterstuetzung-fuer-US-Proteste/!5686328
[3] /Gruene-Aminata-Toure-ueber-junge-Politik/!5603371
[4] /Sprache-und-Rassismus/!5642743
## AUTOREN
Aminata Touré
Robert Habeck
## TAGS
Antirassismus
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland
Anti-Rassismus
Robert Habeck
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Diskriminierung
Schwerpunkt Rassismus
Fußball-Bundesliga
Schwerpunkt Fridays For Future
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