| # taz.de -- Grüne Aminata Touré über junge Politik: „Was wollt ihr, old pe… | |
| > Aminata Touré wird schon bald Landtagsvizepräsidentin in | |
| > Schleswig-Holstein – und hat keineswegs vor, einfach die Quotendiverse zu | |
| > sein. Ein Gespräch über Inhalte. | |
| Bild: 2012 wurde sie Mitglied der Grünen Jugend in Kiel: die 26-Jährige Amina… | |
| Am Tag des Interviews kommt Aminata Touré zur Blattkritik in die taz, es | |
| ist ein Freitag im Juni. Sie spricht selbstbewusst, freundlich und präzise | |
| – beim Kritisieren der Zeitung und beim Beantworten der Fragen aus der | |
| Redaktion. Etwa eine Stunde bleibt im Anschluss für Fotos und Interview in | |
| der taz-Kantine. Touré stellt einen Alarm auf dem Smartphone. | |
| taz am wochenende: Frau Touré, Sie werden bald zur Landtagsvizepräsidentin | |
| in Schleswig-Holstein gewählt. Sie wären die erste Schwarze Frau in diesem | |
| Amt – und die jüngste in ganz Deutschland. Das sind viele Labels. Sehen Sie | |
| sich als Vorbild? | |
| Aminata Touré: Ich finde es immer ein bisschen merkwürdig, sich selbst als | |
| Vorbild zu beschreiben. | |
| Sind Sie etwa keins? | |
| Was ich wirklich hoffe, ist, dass andere sich davon angesteckt fühlen. Es | |
| ergibt überhaupt keinen Sinn, wenn ich die Einzige bleibe und durch die | |
| Lande schreiten und sagen kann: Ey, ich bin die erste Schwarze Abgeordnete | |
| in Schleswig-Holstein. Viele andere müssen folgen. | |
| Ihre Eltern sind aus Mali geflohen. Es hat viele Jahre gedauert, bis | |
| Deutschland ihnen die Staatsbürgerschaft zugesprochen hat. Was macht | |
| permanente Unsicherheit mit einer Familie? | |
| Man geht halt zur Schule und denkt, morgen wird der Aufenthalt verlängert | |
| oder auch nicht. Das deutsche Asylrecht ist voll krasser Widersprüche, | |
| diese Kettenduldungen sind fürchterlich. Vielleicht muss man nächste Woche | |
| zurück in ein Land, das man nie gesehen hat. Vielleicht ist bald nicht mehr | |
| dein Zuhause, was du als Zuhause kennst. Wir hatten permanent Angst. Das | |
| prägt. | |
| Wie haben Sie die Behörden erlebt? Feindlich gesinnt? | |
| Für meine Eltern war diese Zeit in den 90ern, als sie um das | |
| Aufenthaltsrecht kämpften und zeitgleich krasse Asylrechtsverschärfungen | |
| stattfanden, sehr schwierig. Sie haben uns oft erzählt, dass sie nicht | |
| respektvoll behandelt wurden. Und sie mussten sich einiges anhören, weil | |
| sie anders aussahen und nicht fließend Deutsch sprachen. So etwas hat ihren | |
| Alltag bestimmt. | |
| Der ehemalige US-Präsident Barack Obama hat Sie dazu motiviert, | |
| professionell in die Politik einzusteigen, richtig? | |
| Ja. Ich bin 2017 in den schleswig-holsteinischen Landtag gekommen. Als | |
| vorher die Listenaufstellung bei uns in der Partei war, war ich | |
| supernervös. Da hab ich mich schon gefragt: Was zur Hölle machst du da | |
| eigentlich? Du bist 24 Jahre alt, warum behältst du nicht einfach deinen | |
| jetzigen Job? Dann habe ich darüber nachgedacht, dass Obama der erste | |
| Schwarze Präsident der USA war. Er muss sich auch viele Fragen in die | |
| Richtung gestellt haben. Ich kam zu dem Schluss: Wenn der das auf einem | |
| viel krasseren Level macht, kann ich hier nicht vor der Verantwortung | |
| zurückschrecken. | |
| Die politische Landschaft in Deutschland ist sehr weiß. Sehen Sie die | |
| Gefahr, zur Quotendiversen zu werden? | |
| Ich habe nicht das Gefühl, eine ausschließlich repräsentative Rolle zu | |
| übernehmen. Ich stehe für Themen und kämpfe für sie. Aber ich will auch | |
| People of Color repräsentieren – natürlich bin ich auch eine | |
| Projektionsfläche, ganz klar. Ich finde es nur schwierig, wenn es | |
| ausschließlich darum geht, dass ich jung und Schwarz bin. Ohne zu | |
| verstehen, was es heißt, in dieser Position Politik zu machen. | |
| Trotzdem nutzt es den Grünen, durch Sie Diversity auszustrahlen. | |
| People of Color geht es nicht nur darum, dass sie sich mit mir | |
| identifizieren können, sondern dass ich tatsächlich für Themen kämpfe. Und | |
| darauf werde ich festgenagelt. Ich darf eben nicht das Feigenblatt für | |
| Vielfalt sein. Cem Özdemir war Bundesvorsitzender mit türkischem | |
| Migrationshintergrund. Deswegen sind trotzdem nicht tausende Migrant*innen | |
| eingetreten, sondern weil er für viele sie betreffende Themen gekämpft hat. | |
| Kümmern sich die Grünen ausreichend um Diversität? | |
| Jein. Ich bin total froh, dass sowohl der Landes-, als auch der | |
| Bundesvorstand proaktiv auf mich zukommen. Die sagen: Ey, Amina, wir | |
| wissen, dass du es nicht alleine machen kannst, und das sollst du auch gar | |
| nicht. Welche Punkte sollten wir angehen? Da findet auch Selbstkritik | |
| statt. Ich bin halt in zwei Richtungen unterwegs. Einerseits sage ich | |
| meiner Partei immer wieder, wir müssen uns vielfältiger aufstellen. | |
| Gleichzeitig gehe ich zu Organisationen von People of Color und fordere sie | |
| auf: Ihr müsst selbst in die Politik gehen. Keiner wird euch anrufen und | |
| fragen. | |
| Grünen-Parteitage wirken trotzdem wie Veranstaltungen der weißen | |
| Mittelschicht. Wie sehen Sie das? | |
| Ähnlich. Alle Parteien und auch die Grünen sind zu weiß, genau wie die | |
| Medienlandschaft. Auf Parteitagen fallen zum Beispiel die Reihen der | |
| Journalist*innen nicht weiter auf. | |
| Wie wirkt das auf People of Color? | |
| Nicht sehr einladend. Von jungen Leuten höre ich oft: Auf euren | |
| „Whitey“-Laden habe ich keine Lust. Wir müssen uns als Partei öffnen und | |
| People of Color ansprechen, davon bin ich fest überzeugt. Das habe ich auch | |
| auf unserem letzten Landesparteitag angesprochen und einen Antrag | |
| „Gesellschaft der Vielen“ eingebracht. Wenn Parteien es verpennen, Menschen | |
| mit Migrationshintergrund mitzudenken, dann werden sie sich in zehn Jahren | |
| umschauen. | |
| Was müssen Parteien da tun? | |
| Genau daran arbeiten wir Grüne gerade. Wir dürfen nicht so klingen, als | |
| seien wir eine weiße Partei, die Ausländer gerne mag. Einen solchen Sound | |
| müssen wir in unserem Grundsatzprogramm, das wir gerade neu schreiben, | |
| unbedingt vermeiden. Deshalb lassen wir uns auch von der | |
| rassismuskritischen Trainerin Tupoka Ogette beraten. Wir wollen die | |
| Perspektiven von People of Color ernsthaft mitdenken. | |
| Wird das den Grünen gelingen? | |
| Ich hoffe es. Zumindest sagen wir von uns, dass wir ein selbstkritischer | |
| Laden sind. Das muss man dann auch an solchen Stellen leben, wo man nicht | |
| gut aufgestellt ist. Viele Parteien sind ja eher unfähig zur Selbstkritik. | |
| Wie die CDU [1][mit Fridays for Future] oder [2][Rezo] umgegangen ist, sagt | |
| ja einiges über die Christdemokrat*innen. | |
| Wird Ihnen persönlich im Parlament manchmal weniger zugetraut, weil Sie | |
| jung sind? | |
| Nein, dieses Problem habe ich nicht. Ich habe früh klargestellt, dass ich | |
| Interesse an Sachpolitik habe und mich nicht davor scheue, Dinge | |
| anzusprechen. Deswegen habe ich nicht den Eindruck, dass man mich nicht | |
| ernst nimmt. | |
| Das Durchschnittsalter der Grünen-Mitglieder liegt bei 50 Jahren. Trotzdem | |
| ist Ihre Partei gerade sehr erfolgreich bei jungen Wähler*innen. Warum? | |
| Na ja, was junge Menschen wählen, hat ja nicht nur damit zu tun, ob die | |
| Politiker*innen selbst auch jung sind. Denen geht es natürlich um | |
| politische Inhalte. Das merke ich bei jedem Schulbesuch, den ich mache. Die | |
| Schüler*innen sprechen immer sofort klimapolitische Themen an, durch die | |
| Bank weg. Deswegen finde ich es absurd, wenn die CDU sich jetzt fragt, wie | |
| sie Influencer organisieren kann. Die haben nicht verstanden, dass es um | |
| politische Inhalte geht – und nicht nur darum, auf Instagram zu sein. They | |
| don’t get the point. | |
| Fördern die Grünen junge Leute engagiert genug? Wichtige Posten werden ja | |
| dann doch oft an verdiente, ältere PolitikerInnen vergeben. | |
| Der Generationenkonflikt ist bei uns auf jeden Fall ein Thema. Wer seit 30 | |
| Jahren ausdauernd und gut für eine Sache kämpft, darf zu Recht Ansprüche | |
| anmelden. Wichtig ist, eine Ausgewogenheit zu finden zwischen neuen und | |
| erfahrenen Leuten. | |
| Im Moment geht eine Generation auf die Straße, der häufig unterstellt | |
| wurde, sie sei unpolitisch. Fridays for Future agiert aber sehr | |
| realpolitisch, fordert die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele – die | |
| die Bundesregierung ja unterschrieben hat. | |
| Ich finde genau dieses Spannungsverhältnis sehr interessant. Die Jugend | |
| wird ja mit widersprüchlichen Ansagen konfrontiert. Einerseits heißt es, | |
| sie sei unpolitisch und surfe nur auf Instagram rum. Wenn sie dann aber | |
| politische Forderungen formuliert, wird gesagt: Ihr seid keine Profis, ihr | |
| habt nichts zu melden. | |
| Junge Menschen werden unterschätzt. | |
| Genau. Da denkt man sich manchmal schon: Was wollt ihr eigentlich, old | |
| people? Wollt ihr jetzt, dass wir uns politisch einbringen oder nicht? | |
| Unabhängig davon ist es den meisten jungen Menschen gerade völlig egal, was | |
| die ältere Generation davon hält. Wenn einen etwas stört, dann steht man | |
| auf und sagt was dazu. | |
| Fridays for Future ist also eine Selbstermächtigung? | |
| Natürlich. Ich finde stark an dieser Bewegung, dass ihr egal ist, ob sie | |
| eine Legitimation von der Generation bekommt, die vieles verkackt hat. Ich | |
| habe als junge Politikerin auch oft gehört: Mach erst mal was Anständiges, | |
| bevor du Politik machst. Was soll das? Ist Politik nichts Anständiges? | |
| Wie kommt es, dass Parteiengagement bei jungen Leuten nicht gerade angesagt | |
| ist? | |
| Die Gesellschaft vermittelt jungen Menschen doch eher: Ihr seid nicht | |
| politisch, ihr dürft euch auch nicht einbringen. Das halte ich für ein | |
| großes Problem. Dort, wo junge Menschen sich trotzdem einbringen, versucht | |
| man sie massiv davon abzuhalten – weil man die Kritik nicht hören möchte. | |
| Das ist völlig irre. Sich dann darüber zu wundern, dass junge Leute nicht | |
| in Parteien eintreten, ist etwas naiv. | |
| Viele Leute brennen für etwas, wollen sich aber nicht mit der ganzen | |
| Themenpalette einer Partei beschäftigen. Ist das Konzept „Partei“ | |
| vielleicht überholt? | |
| Klassische Parteiarbeit ist aus meiner Sicht an einigen Stellen überholt. | |
| Viele Leute haben keine Lust mehr, mittwochs um 19 Uhr zu einer | |
| staubtrockenen Sitzung zu gehen. Lose Formate können auch funktionieren, in | |
| denen man sich ab und zu einbringt, sich aber nicht auf Dauer bindet. Für | |
| so was braucht es mehr Akzeptanz in Parteien. Wenn du nächstes Mal nicht | |
| kommst, wirst du hier nichts – diese Anspruchshaltung ist falsch. | |
| Ist Parteipolitik vielleicht auch deshalb unsexy, weil es immer um | |
| Kompromisse geht? Attac darf fröhlich fordern, was die Unterstützer*innen | |
| wollen. | |
| Viele Menschen fremdeln mit Parteien, weil sie dem Programm nicht zu | |
| hundert Prozent zustimmen können. Denen sage ich: Entscheidend ist doch, ob | |
| es grundsätzlich in die richtige Richtung geht. Du kannst eine gute Idee | |
| haben. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie deswegen alle mittragen. | |
| Du musst politisch überzeugen und eine Mehrheit hinter dich bringen, damit | |
| diese Position Parteiposition wird. So funktioniert Demokratie. | |
| Bewegungen wie Fridays for Future sind für junge Leute also deswegen | |
| attraktiver, weil sie kompromissloser sind? | |
| Auch. Ich sehe da auch keinen Widerspruch. Parteien sind wichtig. Soziale | |
| Bewegungen aber auch. Dass sich junge Menschen stark in ihnen engagieren, | |
| ist toll. Sie treiben die Parteien an, ihre Themen ernst zu nehmen. | |
| Apropos Kompromisse. Sie verantworten in der Jamaika-Koalition in | |
| Schleswig-Holstein ein Abschiebegefängnis mit. Wie können Sie das vor sich | |
| rechtfertigen? | |
| Die Frage war, ob wir eine eigene Einrichtung haben werden oder weiterhin | |
| die von anderen Bundesländern nutzen. Das Aufenthaltsgesetz des Bundes | |
| sieht Abschiebehaft vor, die in den Ländern umgesetzt werden muss. Der | |
| Handlungsspielraum auf Landesebene ist begrenzt. Die vorherige Koalition | |
| aus SPD, Grünen und SSW hat gesagt, es gibt keine Abschiebeeinrichtung in | |
| Schleswig-Holstein. Das stimmte zwar. Aber die Menschen wurden einfach in | |
| Abschiebegefängnisse in andere Bundesländer gefahren. | |
| Das heißt: Das Abschiebegefängnis, das das Jamaika-Bündnis plant, ist im | |
| Grunde gut für die gescheiterten Asylbewerber*innen – weil es anderswo | |
| schlimmer wäre? | |
| Nein. Diese Abschiebeeinrichtungen sind falsch, das ist die grüne Position. | |
| Ich habe während der Koalitionsverhandlungen schlecht geschlafen. Aber die | |
| Länder müssen am Ende ausführen, was der Bund und die europäische | |
| Richtlinie vorsehen. Diesen Kampf müssen Grüne im Bund und in Europa | |
| führen. Ahmed interessiert es nicht, ob das Abschiebegefängnis in | |
| Schleswig-Holstein steht, in Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern, sondern | |
| dass es sie gibt. Das muss aus dem Aufenthaltsgesetz gestrichen werden, | |
| damit Menschen da nicht reinkommen. | |
| Ist das nicht sehr pragmatisch? Natürlich beeinflussen Länderproteste die | |
| Debatte. | |
| Ja, absolut. Deshalb werden wir als Koalition im Bundesrat beantragen, dass | |
| immerhin Familien mit Kindern und Minderjährige nicht inhaftiert werden. | |
| Das umfasst nicht alle Menschen. Aber wir haben uns auf den Weg gemacht, | |
| das Aufenthaltsgesetz zu verändern. Diese Debatte habe ich im | |
| schleswig-holsteinischen Parlament angestoßen, was nicht einfach war, weil | |
| CDU und FDP die Einrichtungen richtig finden. | |
| Was ist mit den Abschiebungen nach Afghanistan? Im Bund plädieren die | |
| Grünen für einen sofortigen Abschiebestopp, Ihre Koalition schiebt in das | |
| Kriegsland ab. | |
| Auch wir Landesgrünen sind für den Abschiebestopp. Aber die Große Koalition | |
| hat den Abschiebestopp nach Afghanistan aufgehoben. Theoretisch könnten | |
| heute schon alle Ausreisepflichtigen zurückgeführt werden. Die Regelung, | |
| die die meisten Bundesländer aber haben, ist, Straftäter und Gefährder | |
| abzuschieben und darüber hinaus niemanden. So machen wir es auch in | |
| Schleswig-Holstein. In Bayern werden auch Menschen abgeschoben, die sich in | |
| einer Ausbildung befinden und keine Straftat begangen haben. In unserem | |
| Koalitionsvertrag steht, dass jede Abschiebung nach Afghanistan über den | |
| Tisch des Ministers gehen muss. | |
| Die Lage in Afghanistan ist weiterhin hochgefährlich. Ihre Koalition | |
| schickt Menschen im Zweifel in den Tod. Ist das bei Straftäter*innen | |
| legitim? | |
| Nein, finde ich nicht. Es gibt aber keine politischen Mehrheiten für einen | |
| Abschiebestopp. Ich bedauere das sehr. | |
| Warum ist das kein Grund für die Grünen in Schleswig-Holstein, die | |
| Koalition aufzulösen? | |
| Wir haben uns auf den Kompromiss geeinigt, alle Ausweitungen zu verhindern, | |
| die über Straftäter und Gefährder hinausgehen. Diese Frage stand zum | |
| Beispiel bei der letzten Innenministerkonferenz auf der Tagesordnung. Auch | |
| durch unseren Kompromiss kam es nicht zu einer Ausweitung. Zum | |
| Fluchtkapitel des Koalitionsvertrages gehört auch, dass wir Grüne einen | |
| Aktionsplan gegen Rassismus verhandelt haben. Wir haben ein | |
| Landesaufnahmeprogramm für 500 Personen aus afrikanischen Flüchtlingcamps | |
| vereinbart und uns für den Spurwechsel im Einwanderungsgesetz eingesetzt, | |
| der jetzt kommt. Das ist der Grund, warum ich Politik mache. Real Leben | |
| verändern. | |
| Wenn eine Frage um Leben und Tod keine Schmerzgrenze für Grüne ist: Wo | |
| liegt die Grenze dann? | |
| Diese Schmerzgrenze haben nicht wir gezogen, sondern die Bundesregierung | |
| durch die Aufhebung des Abschiebestopps nach Afghanistan. Politik bedeutet | |
| Kompromiss. Ich kann darauf keine andere Antwort geben. | |
| Sie sind als Politikerin, die für eine humane Flüchtlingspolitik kämpft, | |
| seit Jahren in der Defensive. Der Diskurs dreht sich immer nur um | |
| Verschärfungen. Wie gehen Sie damit um? | |
| Nehmen wir noch mal das geplante Abschiebegefängnis in Glücksstadt. Wenn | |
| wir das nicht hätten, müssten wir Leute durch das neue | |
| Geordnete-Rückkehr-Gesetz der Großen Koalition in die normalen | |
| Justizvollzugsanstalten in Neumünster oder Kiel stecken. Ich sage das und | |
| finde es gleichzeitig absurd, so argumentieren zu müssen. | |
| Es geht immer darum, zu verhindern, dass der unbefriedigende Status quo | |
| nicht noch schlimmer wird? | |
| Ja, manchmal erfordert Politik genau das. | |
| Frustriert Sie das? | |
| Manchmal schon. Wenn man immer zwischen Pest und Cholera entscheiden muss, | |
| dann fühlen sich kleine Siege auch nicht an, als hätte man gewonnen. Die | |
| Debatte in der Asylpolitik bewegt sich immer nach rechts, keinen Millimeter | |
| nach links oder liberal. So Politik zu machen macht oft keinen Spaß. | |
| Warum tun Sie’s trotzdem? | |
| Es macht einen Unterschied, ob ich da bin oder nicht. Das merke ich jeden | |
| Tag. Meine Familie und ich waren selbst jahrelang von asylpolitischen | |
| Gesetzen betroffen. Ich hätte mir damals auch gewünscht, dass da jemand für | |
| diese Themen kämpft. Das Ding ist ja, wenn man nicht kämpft, wird es | |
| schlimmer. Das kann ich nicht zulassen. | |
| 30 Jun 2019 | |
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