# taz.de -- Debatte die Grünen und Sozialpolitik: Jenseits der Gutverdiener | |
> Zwischen Habeck und Lindner liegt nicht viel. Denn die Grünen vergessen | |
> beim Kampf fürs Klima soziale Fragen und Solidarität mit | |
> Marginalisierten. | |
Bild: An einem fehlt es der grünen Klimapolitik unter Habeck: Sozialpolitik | |
Die Grünen lösen die Sozialdemokraten bald als neue Volkspartei ab. [1][Die | |
größte Herausforderung, der Klimawandel], kann jetzt nicht mehr ignoriert | |
werden. Lautes Aufatmen, Erleichterung, Hoffnung. Allerdings nur für das | |
Klima. Für die deutsche Innenpolitik könnte der Wahlerfolg der Grünen fatal | |
sein, gerät ihre Neoliberalität doch gerne in Vergessenheit. | |
Die Grünen haben sich als mitgestaltende Regierungspartei etabliert, jetzt | |
erleben sie den größten Aufschwung seit ihrer Gründung. Ihre Klimapolitik, | |
entstanden in den 80er und 90er Jahren, verhilft ihnen jetzt zum Status | |
einer neuen Volkspartei. Bei aller Freude darüber: Womit sonst assoziiert | |
man die Grünen eigentlich? | |
Das Vorurteil über die linksgrünen Weltverbesserer existiert noch immer. | |
Aber die Grünen sind in ihrer Haltung alles andere als links. Der | |
Grünen-Wähler ist meist bürgerlich und gehört zur Mittelschicht. Das geht | |
aus dem „Handbuch Parteienforschung“ von Probst aus dem Jahre 2013 hervor. | |
Es passt zum Parteibild: gebildet, aber über alles erhaben, vor allem über | |
jene unterhalb der Mittelschicht. | |
Das war nicht immer so. Es begann aber mit der Abkehr vom Pazifismus durch | |
die rot-grüne Regierung unter Schröder, die dem Kampfeinsatz der Bundeswehr | |
im Kosovokrieg zustimmte. „Grüne Anpassung an die Realität“ nannten sie | |
das. | |
## Die grüne Kritik an Diversität | |
Angepasst haben sich die Grünen auch im Umgang mit Geflüchteten und Asyl. | |
Weil sie regieren wollen. Winfried Kretschmann sprach letztes Jahr davon, | |
[2][„junge Männerhorden“ aus den Städten zu jagen]. [3][Baerbock möchte | |
„konsequent durchgreifen“] und straffällige Flüchtlinge direkt abschieben… | |
in Länder, in denen mit deutschen Waffen Familien ermordet werden. „Eine | |
grüne Integrationspolitik schafft Rechte und Chancen in der Gesellschaft. | |
Für uns gilt: Jeder Einzelfall zählt“, heißt es im Parteiprogramm. | |
Einzelfälle innerhalb der Partei, wie der des Boris Palmer, zählen jedoch | |
nicht. Es ist normal, dass grüne Politiker sich über Diversität in der | |
Werbung rassistisch äußern und sich dann als Opfer inszenieren. | |
Innerparteilicher Druck auf Boris Palmer, nachdem er auf Twitter seine | |
Gedanken zur Werbung der DB mit verschiedenen Ethnien kundtat, blieb aus. | |
[4][„Welche Gesellschaft soll das abbilden?“], hatte er gefragt. Ein | |
kleiner rassistischer Vorfall eben, das sollten Marginalisierte wohl | |
aushalten können. Sie sind nämlich nicht die Zielgruppe der Grünen. | |
Wer das Klima retten will, will oft vor allem sich selbst retten. Der | |
Zyklon in Mosambik hat die Politik jedenfalls nicht erschüttert. Auch nicht | |
die starke Luftverschmutzung in anderen Ländern, auch Folge dessen, dass in | |
Deutschland „Concsious“-T-Shirts von H&M getragen werden können, während | |
wir über Kernkraftwerke diskutieren. Gegen die klimazerstörende | |
Autoindustrie wird ebenso wenig gnadenlos gewettert. Parteispenden von | |
BMW, bis zum letzten Jahr auch von Daimler nehmen die Grünen gern an. So | |
viel „grüne Anpassung“ muss sein auf dem Weg nach oben. | |
„Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“, das war also | |
einmal. Einzig „ökologisch“ und „basisdemokratisch“ sind – in Grundz… | |
noch geblieben. Aus Jamaika wurde schließlich deshalb nichts, weil Lindner | |
nicht falsch regieren wollte. Und nicht etwa, weil die Grünen nicht mit der | |
CDU hätten koalieren wollen. Konservatismus ist für die Grünen keine Hürde, | |
sondern ein Anknüpfungspunkt. | |
## Habeck und Lindner: super männlich | |
Die peinliche Rivalität zwischen [5][Robert Habeck] und Christian Lindner | |
offenbart auch, wie nah sich die beiden eigentlich sind. Der eine setzt | |
zwar auf liberale Wirtschaft, der andere auf Klimaschutz, aber beide auf | |
männliche Wirkung. Nur über Enteignungen sind sie sich nicht so einig. | |
Vielleicht der letzte Strohhalm, an den sich sozialpolitisch links | |
orientierte Grünen-Wähler klammern können. | |
Die Bilanz der schwarz-grünen Regierung in Baden-Württemberg offenbart die | |
gleiche Stagnation wie die Groko. „Erfolge im Klimaschutz“, „Erhöhung der | |
Wohnraumförderung“ und „Wandel der Automobilindustrie zur Elektromobilitä… | |
– aber was können die Grünen sonst vorweisen? Nichts, wie der | |
Abschlussbericht der Regierung in Baden-Württemberg zeigt. Gähnende | |
Innovationslosigkeit. | |
Baden-Württemberg zeigt, wie Schwarz-Grün auf Bundesebene aussehen könnte. | |
Die Themen überschneiden sich. Großes, fundamentales Umdenken in der | |
Umweltpolitik? Gute Sozialpolitik? Nirgends zu finden. Nur den Beleg eine | |
Status-quo-Partei im Süden zu sein, kann sie vorweisen. Das sollte ein | |
Alarmsignal sein. | |
Der Wechsel von links zu konservativ wurde insbesondere angetrieben von dem | |
Wunsch, sich von der SPD zu distanzieren. Dabei haben sich die Grünen kein | |
eigenes sozialpolitisches Profil erarbeitet, sondern sich einfach an eine | |
neue Partei angepasst, um regieren zu können. | |
## Weniger Inlandsflüge helfen nicht gegen Rechts | |
Es liegt aber in der Verantwortung der Grünen, bei einem so erfolgreichen | |
Wahlergebnis nicht nur die Wähler der Mitte abzuholen. Sie müssen sich auch | |
für gute Politik jenseits der Klimapolitik aussagekräftig positionieren. | |
Die Gesellschaft besteht nicht nur aus gut verdienenden Gutbürgern. | |
Die Partei muss sozialpolitisch verantwortlicher werden, denn insbesondere | |
durch rechtspopulistische Kräfte erfahren alle Marginalisierten Angst und | |
Ausgrenzung. Und dagegen hilft eine Reduzierung der jährlichen Inlandsflüge | |
leider nicht. | |
Einzelne Politiker wie etwa die Landtagsabgeordnete Aminata Touré wissen | |
das. Sie hielt im Februar eine Antirassismuskonferenz ab, um zu | |
sensibilisieren. Habeck sowie Kretschmann hingegen plädierten im Juli 2018 | |
noch für mehr Gelassenheit gegenüber der AfD. Solidarität klingt anders. | |
Wohin diese Attitüde führen kann, zeigt der rechtspopulistische Ruck bei | |
den EU-Wahlen. Die Grünen lassen sich immer noch als Ökopartei lesen. Aber | |
sie müssen alle ansprechen, denn die umweltbewusste Ethik sieht schwach aus | |
neben dem Mangel an sozialer Ethik. | |
21 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Yasmine M'Barek | |
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