# taz.de -- Debatte Politik und Verbote: Wir brauchen eine Verbotspartei | |
> Was ist an Verboten so schlimm? Sie sind in einigen Fällen absolut | |
> sinnvoll und schaffen sogar Freiräume. Deshalb: her mit der | |
> Verbotspartei! | |
Bild: So viele Verbote. Aber ist das wirklich immer so schlimm? | |
Es ist relativ egal, was die Grünen fordern, schon ist es da, das böse | |
V-Wort. „Grüne wollen Amazon verbieten, Retouren zu vernichten“, hieß es | |
Anfang der Woche. Diese Verbotspartei! Schlimm. | |
Dieses Wort hängt den Grünen spätestens an, seit im Bundestagswahlkampf | |
2013 ihre Forderung nach einem Veggieday in öffentlichen Kantinen | |
debattiert wurde und sie dafür von der Bild-Zeitung und anderen | |
niedergemacht wurden. Dass es damals nicht einmal um ein Verbot gehen | |
sollte – geschenkt. | |
Dass „Verbotspartei“ ein Schimpfwort zu sein scheint, ist ein Problem. Denn | |
Verbote an sich sind nichts Schlechtes. Und eine Verbotspartei ist an sich | |
auch nichts Schlechtes. Ohnehin sind alle real existierenden Parteien | |
Verbotsparteien; die Frage ist nur, was sie verbieten wollen. | |
Wir brauchen Verbote. Wir brauchen eine richtige Verbotspartei. Denn den | |
Klimawandel und alles, was mit der Erderhitzung zusammenhängt, kann man | |
nicht ohne Verbote bekämpfen. Das Schöne daran: Es muss nicht einmal | |
wehtun. Zumindest nicht unbedingt. Verbote können sogar Freiheit bringen. | |
## Verbote gegen die Unvernunft | |
Es geht nicht darum, einfach so Lebensstile zu verbieten, die einem nicht | |
passen. Die individuelle Freiheit ist ein hohes Gut. Es geht darum, Dinge | |
zu verbieten, die nach einer objektiven Betrachtung gesellschaftlich mehr | |
Schaden bringen als Nutzen für die Einzelnen. Dinge, zu denen es oft | |
Alternativen gibt, die mit keinen oder kaum Einschränkungen einhergehen. | |
Es gibt etwa keinen vernünftigen Grund, mit dem Flugzeug von Nürnberg nach | |
München zu fliegen. Aber solange es geht, werden Menschen mit dem Flugzeug | |
von Nürnberg nach München fliegen. Obwohl dabei fünfmal so viele Klimagase | |
ausgestoßen werden wie bei der Bahnfahrt. (Diese Überlegung kann gerne auf | |
München–Berlin und sämtliche [1][Inlandsflüge] ausgedehnt werden.) | |
Es gibt auch keinen vernünftigen Grund, mit einem SUV durch Innenstädte zu | |
fahren. Aber solange es geht, werden Menschen mit dem SUV durch Innenstädte | |
fahren. Obwohl auch dabei nicht nur mehr Treibhausgase ausgestoßen werden, | |
sondern auch Fußgänger*innen und Radfahrer*innen gefährdet werden. Wir | |
müssen damit aufhören, Verbotsforderungen als etwas Negatives zu | |
betrachten. | |
## Verbote sind stärker als Bequemlichkeit | |
Gerade hat Aldi angekündigt, dass die dünnen Plastiktüten, mit denen man im | |
Supermarkt Obst und Gemüse einpackt, künftig Geld kosten, einen Cent | |
zunächst. Kann man so machen, Symbolkraft, kleine Schritte. Aber die | |
Freiheit des Einzelnen hängt nicht an [2][Einwegplastiktüten] im | |
Supermarkt. Wieso also nicht gleich ganz abschaffen, notfalls mit einem | |
Verbot, wie es es bereits in vielen Ländern gibt? Und wie es EU-weit auch | |
für Plastikstrohhalme und Plastik-Einweggeschirr beschlossen ist? | |
Gerade Plastikstrohhalme sind ein gutes Beispiel dafür, dass Verbote keine | |
Einschränkung sein müssen. Wer wird Plastikstrohhalme vermissen, wenn sie | |
verboten sind? Es gibt ja für alle Strohhalmliebenden genügend | |
Alternativen. Aber jedes Mal präventiv in der Kneipe oder im Eiscafé „Aber | |
bitte ohne Strohhalm“ zu sagen, das nervt – und führt dazu, dass man es | |
lässt. Verbote sind stärker als Bequemlichkeit. | |
Und es geht nicht nur um Bequemlichkeit. Immer mehr Menschen sind ja | |
bereit, sich möglichst umweltbewusst zu verhalten. Oder behaupten das | |
zumindest. Nur: Was wirklich gut für die Umwelt ist, das ist gar nicht so | |
leicht zu durchschauen. Da ist es doch sinnvoll, dass sich nicht jede | |
Einzelne mit Ökobilanzen und Studien herumschlagen muss, sondern dass es | |
die Leute machen, die wir in Parlamente gewählt haben, und die Leute, die | |
in Ministerien arbeiten und die wir dafür bezahlen, dass sie Arbeit machen, | |
die wir nicht selbst machen können oder wollen. Wenn am Ende ein empirisch | |
belegtes Ergebnis dasteht und daraus eine Regelung und womöglich ein Verbot | |
entsteht, als Verordnung oder in Gesetzesform gegossen: dann ist das doch | |
perfekt. Und es ist Demokratie und keine Ökodiktatur, auch so ein | |
Totschlagwort. | |
## Keine Pseudo-Umweltschutz-Aktionen mehr | |
Der Vorteil an Verboten ist, dass Menschen, die sich umweltbewusst | |
verhalten wollen, sich ohne große Anstrengung umweltbewusst verhalten | |
können. Sinnvolle Verbote schaffen also Freiräume: Wenn nur Dinge erlaubt | |
sind, die zumindest nicht völlig umweltschädlich sind, kann ich mich frei | |
zwischen den Möglichkeiten entscheiden. Die absoluten No-gos sind bereits | |
vorher eliminiert. Freiheit. | |
Und es kommt dann nicht länger zu anstrengenden | |
Pseudo-Umweltschutz-Aktionen. Wer den Joghurtbecher bei ausgeschaltetem | |
Wasserhahn ausschleckt, bevor er ihn in den Abfall wirft und dann trotzdem | |
mit dem SUV zum Flughafen düst, um den Flug nach München zu bekommen, der | |
fühlt sich vielleicht als großer Umweltschützer – hat aber nichts für die | |
Umwelt getan. | |
Wir brauchen ja auch nicht so zu tun, als ob Verbote eine neue | |
gesellschaftliche Errungenschaft wären. Verbote gibt es, seit es | |
Gesellschaft gibt. Nur die Ausgestaltung ändert sich. Es gibt aus guten | |
Gründen gewisse Vorbehalte Verboten gegenüber. Weil es immer Verbote gab | |
und gibt, die zu verurteilen sind, weil sie die Freiheit ohne guten Grund | |
einschränken. Aber eben nicht jedes Verbot ist eine Einschränkung der | |
Freiheit. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt, dass Verbote | |
erfolgreich sein können – und dann gar nicht so schlimm waren wie | |
vielleicht befürchtet. | |
1991 wurden Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe verboten, und das Ozonloch hat | |
sich seitdem erholt. Haben Sie von irgendjemanden gehört, der seinen | |
FCKW-Gefrierschrank vermisst? Neue Staubsauger dürfen seit September 2017 | |
nur noch mit 900 Watt saugen, eine höhere Leistung ist seitdem verboten; | |
das spart Strom. Es ist nicht bekannt, dass deswegen nun alle europäischen | |
Wohnungen im Hausstaub versinken. | |
## Ohne Inlandsflüge gibt es bessere Bahnangebote | |
Als vor einiger Zeit das Ende der Glühbirne politisch verordnet wurde, war | |
die Angst riesig, dass mit der Glühbirne gleich das gesamte Abendland in | |
der Dunkelheit verschwindet. Ist nicht passiert. Das sind auch Beispiele | |
dafür, dass reine Anreiz-Regelungen nicht funktionieren. Sie funktionieren | |
zu langsam. Und sie senden keine klaren Botschaften: Das schadet uns allen, | |
das kann weg. Muss weg. Ein Verbot setzt nicht nur eine klare Grenze, es | |
zwingt auch die Industrie und die Politik, schnell Alternativen zu | |
schaffen, wenn es sie noch nicht gibt. Bei den Glühbirnen etwa hat es | |
funktioniert. Ohne Inlandsflüge gäbe es bald bessere Bahnverbindungen. | |
Wetten? | |
Bemerkenswert ist, dass oft über Verbote diskutiert wird, die niemand | |
fordert. „Das Schnitzel sollte anderen nicht verboten werden“, sagte der | |
FDP-Vorsitzende Christian Lindner in der Zeit. Fleisch verbieten? Ja, warum | |
eigentlich nicht? Derzeit traut sich das zwar niemand anzusprechen, weil | |
schon vorsichtige Verzichtsüberlegungen mit der Verbotskeule zerschlagen | |
werden. | |
Spätestens wenn im Labor gezüchtetes Fleisch preislich konkurrenzfähig ist, | |
müssen wir diese Frage neu stellen – nicht nur aus ökologischen, sondern | |
auch aus ethischen Überlegungen. Ein erster Schritt wäre es, | |
Massentierhaltung zu verbieten. Hoffentlich haben wir bald eine Partei, die | |
das macht. Diese Partei ist hoffentlich mutig genug, zuzugeben, dass sie | |
ein Verbot plant. Weil es sinnvoll ist. Wenn es am Ende mehr nützt als | |
schadet, klingt „Verbotspartei“ nicht mehr so schlimm. Oder? | |
17 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Der-Oekodiktator---10/!5256738 | |
[2] /Umweltbelastung-sinkt/!5596283 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
## TAGS | |
Freiräume | |
Massentierhaltung | |
Verbot | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Freiheit | |
Wir retten die Welt | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
SPD | |
Diesel | |
Plastiktüten | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Vom Ozonloch fürs Klima lernen: Keine Politik, nur Glück | |
Die Rettung der Ozonschicht zum Vorbild für echten Klimaschutz nehmen – das | |
wäre russisches Roulette. Denn damals regierte der absolute Zufall. | |
Kolumne Schlagloch: Mit dem Flugzeug in die Sündenfalle | |
Der Verzicht aufs Fliegen gilt als wichtiger Beitrag zur Schonung der | |
Umwelt. Ist das aber wirklich so? Was kann, was darf der oder die Einzelne | |
tun? | |
Debatte die Grünen und Sozialpolitik: Jenseits der Gutverdiener | |
Zwischen Habeck und Lindner liegt nicht viel. Denn die Grünen vergessen | |
beim Kampf fürs Klima soziale Fragen und Solidarität mit Marginalisierten. | |
Soziologe über Klimawandel: „Ziele formulieren kann jeder“ | |
Wie kann man die Erderhitzung stoppen? Die einen glauben an Greta, die | |
anderen an den Markt. Der Soziologe Armin Nassehi hat eine bessere Idee. | |
Forderung nach „nordischem Modell“: SPD-Frauen wollen Sexkaufverbot | |
Die Koalition unter Schröder hat Prostitution in Deutschland liberalisiert. | |
Jetzt drängen führende Sozialdemokratinnen auf eine Kehrtwende. | |
Dieselfahrverbote in Hamburg: Ein bisschen bessere Luft | |
Hamburgs Umweltsenator Kerstan sagt, 2021 könnte das erste | |
Durchfahrtsverbot enden. Der BUND hingegen will, dass die Verbote | |
ausgeweitet werden. | |
Umweltbelastung sinkt: Tschüss, Plastiktüte | |
Seit die Plastiktaschen etwas kosten, greifen die Deutschen seltener zu. | |
Gute Nachricht, finden Umweltschützer. Reicht aber noch lange nicht. |