# taz.de -- Kolumne Schlagloch: Mit dem Flugzeug in die Sündenfalle | |
> Der Verzicht aufs Fliegen gilt als wichtiger Beitrag zur Schonung der | |
> Umwelt. Ist das aber wirklich so? Was kann, was darf der oder die | |
> Einzelne tun? | |
Bild: Im Urlaub gewesen. Mit dem Flugzeug etwa? | |
Vergangene Woche bin ich nach Ankara geflogen, und in manchen sozialen | |
Kontexten kommt das fast einem Schuldeingeständnis gleich. Mit dem Flugzeug | |
etwa? Schließlich gilt, neben dem Veganismus und dem Fahrradfahren, [1][der | |
Verzicht aufs Fliegen als der wohl wichtigste Beitrag der Einzelnen zur | |
Schonung der Umwelt]. Hier fängt die erste Streiterei schon an: Ist es | |
überhaupt sinnvoll, wenn wir als Einzelne versuchen, gegen den Klimawandel | |
anzukämpfen, oder ist dies nicht Aufgabe der Politik? | |
Ein zweiter Streit dagegen kocht noch auf kleiner Flamme. Er dreht sich | |
darum, dass die derzeitige Diskussion übers Fliegen nur Urlaubs- und | |
Geschäftsreisende im Blick hat, nicht aber Menschen mit | |
Migrationshintergrund. „Jede privilegierte Person, die fliegt, ist eine zu | |
viel“, schrieb Seyda Kurt kürzlich auf ze.tt. Sie dagegen bekannte offen: | |
„Ich habe meinen Flug in meinen Italienurlaub schon vor einigen Wochen | |
gebucht. Ich fliege regelmäßig, auch im Inland. Ganz ohne schlechtes | |
Gewissen.“ | |
Der Hinweis auf die Migration erfolgt vollkommen zu Recht. Bisher ist die | |
Umweltbewegung sehr homogen, weiß und bürgerlich. Sie schafft es respektive | |
bemüht sich bisher wenig, andere Milieus zu integrieren. Doch wer pauschal | |
übers Fliegen als Luxusding redet, der redet an allen vorbei, deren Eltern | |
aus süd- oder außereuropäischen Ländern stammen. Diese Menschen reisen | |
nämlich, um Familienbande aufrechtzuerhalten und vielschichtige | |
Heimatgefühle zu befriedigen. Gewiss, auch Flüge in die „alte Heimat“ | |
belasten das Klima, aber das sind sozusagen Nebenkosten unseres | |
kollektiven, globalisierten Lebenswandels. Menschliches Leben kostet immer | |
Ressourcen, in einer globalisierten Welt noch mehr als früher. Dieses | |
Dilemma ist nicht den Migranten allein anzulasten. | |
Umgekehrt folgt daraus allerdings nicht, dass jeder | |
Migrationshintergründler eine Art Persilschein fürs Fliegen besitzt. Warum | |
jemand, dessen Ahnen aus der Türkei stammen, ganz selbstverständlich auch | |
nach Italien fliegt, ist mir nicht plausibel. | |
## „Ich bin unterprivilegiert“ | |
Ehrlicherweise muss man zugeben: Manche von uns Migrationshintergründlern | |
jetten mit dem Flugzeug ins Land der Großeltern, als wäre es ein Omnibus. | |
Diese Gewohnheiten müssen wir kritisch hinterfragen. Keine Hilfe dabei ist | |
ein pauschales: „Ich bin unterprivilegiert.“ | |
Selbst wenn es stimmen mag. Selbst wenn es gewaltige Unterschiede zwischen | |
den Annehmlichkeiten im Leben einiger und den eher kargen Freuden anderer | |
gibt. Selbst wenn einige mit vollen Händen Ressourcen zum Fenster | |
rausschmeißen, während andere jeden Cent und jeden Flugkilometer zwei Mal | |
rumdrehen. Das ist unglaublich ungerecht, aber es hilft nichts, mit dem | |
Finger auf die Umweltverschwender zu zeigen und trotzig zu verlautbaren, | |
bis „die“ sich nicht ändern, werde man selbst auch nichts ändern. | |
Immer wieder sollte man sich klarmachen, dass es hier nicht um individuelle | |
Sünden oder um lobenswertes Benehmen geht. Dieser ganze Sündengedanke ist | |
in der Klimaschutzdebatte fehl am Platz, obwohl er leider oft im | |
Vordergrund steht. Dann hört oder liest man Versuche der „Rechtfertigung“ | |
mit dem Tenor, man bemühe sich ja bereits um dieses oder jenes, daher habe | |
man sozusagen andere „Sünden“ gut. Der eine zum Beispiel erzieht seine | |
Kinder antirassistisch, andere essen kein Fleisch, wieder andere verzichten | |
auf Plastik etc. Alles zusammen sei zu viel. | |
Sorry, aber das ist doch kein Ablasshandel! Gerade weil es sich nicht um | |
ideelle Sünden und ideelle Rechtfertigungen, sondern um die ganz reale | |
Gestaltung der ganz realen Welt von morgen dreht, reicht es nicht, wenn man | |
bloß guten Willen zeigt und hofft, dass es aufs Handeln wohl nicht ankommt. | |
Natürlich kann kein Mensch alles auf einmal tun. Aber darum müssen wir | |
gemeinsam Prozesse finden, zwischen unseren sehr unterschiedlichen | |
Bedürfnissen und Pflichten zu vermitteln. So wie eine gute Sozialpolitik | |
und eine gute Bildungspolitik (idealerweise) auf die Individuen eingehen, | |
so sollte auch unser Klimaschutzverhalten sowohl gemeinschaftlich | |
orientiert als auch maßgeschneidert sein. | |
## Wir oder die Politik | |
Womit wir bei jenem zweiten Thema sind, das ich eingangs erwähnt habe: Seit | |
Jahren tobt ein Streit, ob wir als Individuen unser Verhalten ändern | |
müssten oder „die Politik“ etwas regeln müsse. Dieses „Oder“ ist völ… | |
unsinnig! Zum einen stehen individuelles Verhalten und Gesetzesänderungen | |
in einem Wechselverhältnis; „der Staat“ darf nichts beschließen, was den | |
Menschen völlig fremd ist. Umgekehrt orientiert sich der Einzelne an | |
allgemeinen Rahmenvorgaben. | |
Zum Zweiten darf man „Politik“ nicht auf Parlamentsbeschlüsse und Gesetze | |
reduzieren. Jüngst las ich in der Süddeutschen Zeitung einen Kommentar von | |
Claudia Tieschky, die die Konsumenten warnen wollte, ihren Einfluss zu | |
überschätzen: „Aber ein Bürger ist ein Bürger, ein Käufer dagegen bleibt | |
ein Käufer.“ – Nein! Auch als Käufer sind wir Bürger. Schließlich leben… | |
nicht als Eremiten, sondern bewegen uns stets in sozialen Kontexten. | |
Überspitzt gesagt: Auch als Konsumenten sind wir Demonstranten. Wir | |
demonstrieren, was wir für gut und was wir für schlecht befinden. | |
Wenn ich zum Beispiel eine Tofuwurst auf den Grill schmeiße, geht es mir | |
nicht nur um das Schwein, dessen Qual ich damit nicht subventioniere, | |
sondern ich will zeigen: Man kann auch anderes essen! Wer nicht auf die | |
Malediven fliegt, macht bewusst und sichtbar bei der Jagd auf Relax-Selfies | |
vor türkisgrüner Kulisse nicht mit. | |
Menschen entwerfen die Richtlinien ihres Lebens und Handelns gemeinsam. Und | |
auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Es geht nicht um Schuld und | |
nicht um Ablass, sondern darum, neue Lebensweisen und neue Formen des | |
Genießens zu finden, die mit der Zukunft der Erde kompatibel sind. | |
4 Jul 2019 | |
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## AUTOREN | |
Hilal Sezgin | |
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