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# taz.de -- Forderung nach „nordischem Modell“: SPD-Frauen wollen Sexkaufve…
> Die Koalition unter Schröder hat Prostitution in Deutschland
> liberalisiert. Jetzt drängen führende Sozialdemokratinnen auf eine
> Kehrtwende.
Bild: SPDlerinnen fürchten, mit der aktuellen Gesetzgebung verkomme Deutschlan…
Berlin taz | Die SPD könnte die erste Partei Deutschlands werden, die ein
[1][Sexkaufverbot nach dem nordischen Modell] in ihr Parteiprogramm
aufnimmt. Prominente Sozialdemokratinnen sprechen sich dafür aus.
Landesverbände der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen und der
baden-württembergische Landesvorstand der Partei fordern es bereits. Im
Bundestag soll eine fraktionsübergreifende Initiative zum Thema ins Leben
gerufen werden.
So fordert etwa die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
sozialdemokratischer Frauen (AsF), Maria Noichl, ein Sexkaufverbot und
Freierbestrafung. „Noch einmal zur Klarstellung“, twitterte sie am
internationalen Hurentag Anfang Juni: „Sexarbeit ist weder Sex noch Arbeit.
Sexarbeit ist Menschenrechtsverletzung!“ Auch im Gespräch mit der taz wird
Noichl deutlich: „Am Tag von 30 Männern penetriert zu werden, mag für eine
sehr kleine Gruppe die Erfüllung sein“, sagte sie. Aber die Realität sehe
für viele Frauen anders aus: Prostitution sei „ein Spinnennetz, in dem sich
Frauen verfangen“. Mit einer liberalen Prostitutionsgesetzgebung verkomme
Deutschland „zum Puff Europas“.
Sollte sich diese Positionsbestimmung innerhalb der AsF durchsetzen, wäre
sie ein Paradigmenwechsel für die sozialdemokratischen Frauen. Noch 2014
waren die Frauen unter ihrer damaligen Vorsitzenden Elke Ferner der
Überzeugung: „Ein Verbot der Prostitution löst keine Probleme. Weder
Zwangsprostitution, Armutsprostitution noch Drogenprostitution können damit
verhindert werden“, so ein Beschlussbericht der damaligen Bundeskonferenz.
Das sogenannte nordische Modell verstärke die soziale Ausgrenzung von und
die Gefahren für Prostituierte, befanden die Frauen. Arbeitsbedingungen und
sexuelle Selbstbestimmung der in der Prostitution Tätigen sollten
verbessert werden.
Diese Positionen könnten bald der Vergangenheit angehören – denn Noichl,
erst seit einem Jahr AsF-Vorsitzende und Mitglied des SPD-Parteivorstands,
steht nicht allein. Im April forderte die ehemalige SPD-Justizministerin
Herta Däubler-Gmelin das nordische Modell in der Zeitschrift Emma. Der
Landesverband der AsF Bayern will die Einführung, so hat er es im Mai
beschlossen.
## Nicht Prostituierte, sondern Freier werden bestraft
In Baden-Württemberg gibt es bereits einen Beschluss des
SPD-Landesvorstands, sich für die Umsetzung des Modells in Deutschland
starkzumachen, im Herbst soll der Landesparteitag folgen. Die
Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier arbeitet daran, das Thema in der
Fraktion auf die Tagesordnung zu setzen.
In Deutschland war Prostitution bis nach der Jahrtausendwende sittenwidrig.
Prostituierte bewegten sich in einer Grauzone, konnten sich zum Beispiel
nicht bei der Krankenkasse anmelden oder sozialversichern. 2002
verabschiedete Rot-Grün das Prostitutionsgesetz, das die Rechte von
Prostituierten stärken sollte und sexuelle Dienstleistungen legalisierte.
Seit Anfang 2018 gilt zudem das sogenannte [2][Prostituiertenschutzgesetz]
für die je nach Schätzungen bis zu 400.000 Prostituierten in Deutschland.
Das Gesetz wurde erst nach langem Ringen zwischen Union und SPD eingeführt,
von Beginn an lehnten es vor allem Berufsverbände und Beratungsstellen ab:
Prostituierte müssen einen „Hurenpass“ mit Lichtbild bei sich tragen und
Steuererklärungen abgeben, BordellbetreiberInnen müssen sich registrieren
lassen.
Das nordische Modell hingegen bestreitet, dass Frauen überhaupt
selbstbestimmt als Sexarbeiterinnen tätig sein können, und sieht ein
Sexkaufverbot vor, in dem nicht die Prostituierten bestraft werden, sondern
gegen die Freier zum Teil hohe Geldstrafen verhängt werden. Vor 20 Jahren
wurde es in Schweden eingeführt, mittlerweile gilt es unter anderem in
Norwegen, Island, Irland und Frankreich. 2014 forderte auch das
EU-Parlament in einer nicht bindenden Resolution, das nordische Modell
einzuführen und Prostitution „aktiv zu bekämpfen“. Unumstritten ist das
Modell allerdings nirgends: durch Verbote verschwinde Prostitution nicht,
sondern werde in die Illegalität gedrängt, so die Kritik.
In Deutschland spricht sich deshalb die Mehrheit der Organisationen, die
sich mit Menschenrechten und Rechten von Sexarbeiterinnen beschäftigen –
darunter der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, Hydra
oder Amnesty International –, nicht für ein Sexkaufverbot, sondern für eine
Verbesserung der rechtlichen und gesellschaftlichen Situation von
Prostituierten aus. Auf der anderen Seite stehen sogenannte
Abolitionistinnen wie Alice Schwarzer, Terre des Femmes oder die von Leni
Breymaier gegründete Ausstiegsorganisation Sisters.
Eine deutsche Partei unterstützt das nordische Modell bislang nicht – doch
nun werden die Stimmen innerhalb der SPD dafür lauter. „Ich kämpfe für eine
Welt ohne Prostitution“, sagt Breymaier der taz. „Momentan ist Dynamik im
Thema.“ Gerade wurde der Betreiber eines Bordells in Stuttgart wegen
Beihilfe zu Menschenhandel verurteilt. Im März fand in Mainz der
„Weltkongress Prostitution“ gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen und
Mädchen und für ein Verbot von käuflichem Sex statt, unter den rund 350
Teilnehmerinnen war Alice Schwarzer.
Breymaier ist Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für
Zwangsprostitution. „Da fängt der Wahnsinn schon an“, sagte sie: „Als ob
Prostitution etwas anderes sein könnte als Zwang.“ Prostitution mache
Frauen an Leib und Seele kaputt.
Die Befürworterinnen des nordischen Modells rühren die Werbetrommel. Im
Juli soll es in Karlsruhe eine Veranstaltung der Landespartei zum
nordischen Modell geben, sagte die Vize-Landeschefin der SPD in
Baden-Württemberg, Dorothea Kliche-Behnke, der taz. Und in Berlin lädt
Breymaier nach eigenen Angaben Ende Juni zusammen mit dem CDU-MdB Frank
Heinrich zum Parlamentskreis mit dem Arbeitstitel „Prostitution verbieten“
ein.
## Große Zuversicht bei den Befürworterinnen
In der SPD-Fraktion im Bundestag regt sich kaum Widerstand. Ulrike Bahr,
früher selbst Berichterstatterin zur Prostitution der Partei, will sich
momentan lieber nicht zum Thema äußern. Der frauenpolitische Sprecher der
SPD-Fraktion im Bundestag, Sönke Rix, neben Breymaier ebenfalls
Berichterstatter für Prostitution, ist trotz mehrfacher Nachfrage nicht für
die taz zu sprechen. Per Mail teilt er schließlich mit, eine Debatte um den
richtigen Weg, Zwangsprostitution zu bekämpfen, gebe es nicht nur in der
SPD. Zumindest in dieser Wahlperiode werde es keine „grundsätzlichen
Änderungen“ mehr geben.
Einzig Elke Ferner, frühere Staatssekretärin der SPD im Frauenministerium
und Vorgängerin von Maria Noichl als Vorsitzende der AsF, verweist auf den
bislang gültigen Beschluss der SPD-Frauen. „Zwangsprostituierte müssen jede
erdenkliche Unterstützung bekommen, die Nutznießer müssen hart bestraft
werden“, sagte Ferner. „Aber diejenigen, die der Prostitution freiwillig
nachgehen, dürfen nicht diskriminiert werden.“ Sie sei der Auffassung, dass
Prostituierte mit Einführung des nordischen Modells in die Illegalität
gedrängt würden. „Mag sein, dass das eigene Gewissen derjenigen mit einer
klaren Position reiner ist. Aber ich bezweifle, dass es denjenigen hilft,
die der Prostitution nachgehen.“
Doch Elke Ferner hat ihr Amt an Maria Noichl übergeben – und Noichl will
erreichen, dass das nordische Modell auf Bundesebene auf der Tagesordnung
steht: 2020 bei der Bundeskonferenz der AsF, dann auch auf SPD-Ebene.
„Momentan haben wir die Mehrheiten dort noch nicht“, räumt sie ein. Aber
dass das nordische Modell über kurz oder lang nicht nur in Deutschland,
sondern „in ganz Europa kommt – da bin ich mir sicher“.
12 Jun 2019
## LINKS
[1] /Prostitutionsgesetz-in-Schweden/!5046429
[2] /Kommentar-Prostituiertenschutzgesetz/!5594233
## AUTOREN
Patricia Hecht
## TAGS
SPD
Prostitution
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