# taz.de -- Mobbing an Schulen: Viele Schüler erleben Gewalt | |
> Ein Viertel der Kinder und Jugendlichen fühlen sich in ihrer Schule | |
> unsicher. Ausgrenzung, Hänseleien oder körperliche Gewalt kennen die | |
> meisten. | |
Bild: Viele Kinder und Jugendliche in Deutschland erleben Gewalt an der Schule | |
Gütersloh dpa | Die Mehrheit der Schüler in Deutschland hat einer | |
Untersuchung zufolge Ausgrenzung, Hänseleien oder körperliche Gewalt | |
bereits selbst erlebt. Und ein Viertel fühlt sich an der Schule nicht | |
sicher. Zu diesen Ergebnissen kommt eine am Mittwoch veröffentlichte | |
repräsentative Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, für die | |
bundesweit 3.448 Schüler zwischen acht und 14 Jahren befragt worden waren. | |
„Die Politik ist hier gefordert, Kinder und Jugendliche besser zu | |
schützen“, mahnt Stiftungsvorstand Jörg Dräger. | |
„Auffällig“ und „irritierend“ aus Sicht der Autoren: Besonders hoch is… | |
Anteil der Übergriffe in den Grundschulen. Dort gaben knapp 30 Prozent der | |
befragten Jungen und Mädchen an, im Vormonat von anderen Schülern | |
gehänselt, auch ausgegrenzt und zudem „absichtlich gehauen“ worden zu sein. | |
An Haupt-, Real-, Gesamt- und Sekundarschulen sagte jeder Fünfte, alle | |
diese drei Übergriffsformen im Monat zuvor erlebt zu haben. Im Gymnasium | |
war es jeder Zehnte. | |
Über alle Schulformen hinweg betrachtet, haben rund 65 Prozent der | |
befragten Schüler im Monat mindestens eine einzelne derartige | |
Negativerfahrung gemacht. Nehme man die Grundschüler heraus, komme man auf | |
60 Prozent, ergänzt eine Stiftungssprecherin auf Anfrage. | |
Gar nicht betroffen von Ausgrenzung und Gewalt waren nach eigener Aussage | |
nur knapp 22 Prozent der Grundschüler – und 36 bis 43 Prozent der Befragten | |
in weiterführenden Schulen. In der Erhebung richteten sich die Fragen nach | |
solchen Erlebnissen auf die eigene Schule, „sie können aber auch auf dem | |
Schulweg, bei Begegnungen außerhalb der Schule oder in den sozialen Medien | |
vorkommen.“ | |
## Dringender Handlungsbedarf | |
Zum Sicherheitsgefühl gibt je ein Viertel der Schüler an, sich in der | |
Schule – und auch in der Nachbarschaft – nicht sicher zu fühlen. Umgekehrt | |
stimmten der Aussage „Ich fühle mich in der Schule sicher“, 29 Prozent der | |
befragten Grundschüler „sehr“ und 52 Prozent „100 Prozent“ zu. Ebenso | |
fühlen sich 81 Prozent der Gymnasiasten sehr oder absolut sicher an ihrer | |
Schule. Unter Realschülern sagen das 73 Prozent, an Haupt-, Gesamt- und | |
Sekundarschulen aber nur 67 Prozent. | |
Es bestehe dringender Handlungsbedarf, betont Studienautorin Sabine | |
Andresen von der Uni Frankfurt. „Es ist ganz wichtig, diese Ergebnisse | |
jetzt nicht abzutun und zu bagatellisieren – nach dem Motto: Gewalt an | |
Schulen, das gab es doch immer schon. Nein, wir müssen den Ursachen auf den | |
Grund gehen.“ Für die meisten ist ihr Zuhause laut Studie ein sicherer Ort | |
– für 8,6 Prozent gilt das aber nicht. „Es ist davon auszugehen, dass es | |
auch nicht in allen Familien gewaltfrei zugeht“, sagt Andresen der | |
Deutschen Presse-Agentur. | |
Die Bildungsexpertin nennt es einen „irritierenden Befund“, dass es gerade | |
in den Grundschulen oft zu Ausgrenzung und Gewalterfahrungen komme. Denn 81 | |
Prozent der Grundschüler sagten auch, dass sie sich völlig sicher in der | |
Schule fühlen. Das klingt widersprüchlich. „Ein Erklärungsansatz ist, dass | |
das Klassenlehrersystem mit einem täglich verlässlichen Ansprechpartner den | |
jüngeren Schülern Sicherheit vermittelt.“ Womöglich habe „Hänseln und | |
Hauen“ für Acht- und Neunjährige auch „nicht so eine bedrohliche | |
Konnotation“ wie für ältere Schüler, heißt es in der Untersuchung | |
„Children's Worlds+“. | |
Zwischen dem Unsicherheitsgefühl und den eigenen Erfahrungen mit | |
Ausgrenzung oder körperlicher Gewalt gebe es bei den Befragten der | |
weiterführenden Schulen „Überschneidungen“. „Dem müssen wir genauer | |
nachgehen – auch der Frage, ob das über den erfragten Monat hinaus | |
womöglich schon seit längerer Zeit läuft und warum viele Schüler nicht | |
wissen, an wen sie sich wenden sollen“, sagt Andresen. Bei den Achtjährigen | |
haben zwar 79 Prozent das Gefühl, dass ihre Lehrer sie ernstnehmen, bei den | |
14-Jährigen sind es dagegen nur 57 Prozent. | |
## „Politik vom Kind aus denken“ | |
Andresen stellt klar: „Schulen sind ein zentraler Ort für Kinder und | |
Jugendliche, wo sie sehr viel Zeit verbringen. Dort muss es sicher sein. | |
[1][Wenn die Bildungspolitik Schulen mit dem Problem] allein lässt, dann | |
lässt sie auch die Kinder allein.“ Der Begriff „Mobbing“ wird möglichst | |
vermieden, weil es sich dabei definitionsgemäß um gezielte Attacken gegen | |
eine Person über einen längeren Zeitraum handele. Auch einige Teilnehmer | |
der Studie seien dem wohl ausgesetzt. Die Befragung sei aber eine | |
Monats-Momentaufnahme, die sich der Mobbing-Problematik nur annähere; dazu | |
sei eine eigene Untersuchung notwendig. | |
Die Bertelsmann-Studie zeigt: Schüler, die mitbekommen, dass das Geld | |
Zuhause knapp ist, sind stärker von Ausgrenzung und Gewalt betroffen als | |
Mitschüler, die sich nicht um die finanzielle Lage der Familien sorgen. | |
Warum? „Da ist die Scham, das man finanziell nicht mithalten kann. Und | |
manche reagieren auf Verletzungen und Hänseleien auch mit Rückzug“, | |
schildert Anette Stein von der Stiftung. Auch wenn die meisten Befragten | |
ihre materielle Situation insgesamt positiv einschätzen, belaste es, wenn | |
daheim Geldmangel oft Thema sei. Gegen Kinderarmut müsse mehr getan werden, | |
verlangt Stein. | |
Viele Jugendliche bemängelten massiv, [2][dass sie von Erwachsenen und | |
Politik nicht ausreichend gehört und beteiligt würden], betont die | |
Bildungsexpertin. Die Bewegung „Fridays for Future“ könne da ermutigen. | |
Klarer Appell der Autoren: „Politik vom Kind aus denken“. | |
3 Jul 2019 | |
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