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# taz.de -- Die Grünen für mehr Repräsentanz: Weg vom weißen Privileg
> Die Grünen wollen neue Wähler*innen gewinnen – und zwar diejenigen, für
> die sie eintreten. Die sind aber kaum in der Partei vertreten.
Bild: EU-Abgeordnete Katrin Langensiepen
Berlin taz | Die Grünen haben ein Problem. Das mag seltsam klingen in
diesen Tagen, wo der Partei die Stimmen nur so zuzufliegen scheinen. Bei
den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg legten sie zwar nicht so
massiv zu, wie manch einer gehofft hatte – doch wird die Partei wohl in
beiden Ländern [1][zur Regierungsmacherin]. In einer Zielgruppe aber hakt
es: Viele Menschen mit Rassismuserfahrung und Migrationsgeschichte finden
sich in der Partei nicht wieder. Den Grünen haftet der Ruf an, eine weiße,
privilegierte Partei zu sein. An diesem Image will die Partei nun etwas
ändern.
An einem Vormittag Ende August sitzt [2][Gesine Agena] an einem Tisch vor
der taz und erzählt von einem Beschluss des Bundesvorstands: Eine
Arbeitsgruppe soll Vorschläge dafür erarbeiten, wie die Partei vielfältiger
werden kann. „Natürlich ist in Sachen Vielfalt bei uns Grünen noch Luft
nach oben, und zwar auf allen Ebenen“, sagt die stellvertretende
Parteivorsitzende. „Wir wollen sowohl unter unseren Mitgliedern als auch
bei den Funktionsträger*innen die Breite der Gesellschaft abbilden.“
Agena meint damit vor allem, aber nicht nur [3][People of Color]. Es gehe
auch um queere Menschen, um Menschen mit Behinderung und aus
unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen. „Wir haben seit den 80er
Jahren viel dafür getan, damit Frauen ihren gerechten Anteil an der Macht
erhalten“, sagt Agena, selbst frauenpolitische Sprecherin ihrer Partei.
„Diversität ist für uns Grüne jetzt der nächste wichtige Schritt.“
Kritik müssen sich die Grünen schon lange gefallen lassen. Der Entwurf für
das neue Grundsatzprogramm lese sich „wie das Programm einer weißen Partei,
die Ausländer mag“, hatte im März etwa die Journalistin Ferda Ataman
gesagt. Fragt man ein halbes Jahr später nach, erklärt sie: „Typisch für
Grüne ist der Habitus, dass sie Ausländer*innen helfen wollen.
Migrant*innen und People of Color auf Augenhöhe zu begegnen, sie als Teil
der eigenen Gesellschaft oder gar der Umweltbewegung zu verstehen gelingt
vielen noch nicht so recht.“
## 15 statt 25 Prozent
Im Bundestag haben die Grünen nach den Linken die meisten Abgeordneten mit
einem sogenannten Migrationshintergrund. Es sind knapp 15 Prozent – in der
Bevölkerung ist es jeder Vierte. Und schaut man in den Bundesvorstand der
Partei oder in die Fraktionsspitze im Bundestag, dann findet man dort zwar
Geschlechterparität – aber nur weiße Gesichter.
Damit verschrecken die Grünen eine Zielgruppe mit Potenzial. Der
Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration
(SVR) hat 2018 die Parteipräferenz von Menschen mit Migrationshintergrund
untersucht. „Historisch gewachsene Bindungen erodieren“, resümiert er, und
vermutet, dass „sich Menschen mit Zuwanderungsgeschichte von den
bestehenden Parteien nicht hinreichend angesprochen und vertreten fühlen“.
2016 präferierten laut der Studie noch rund 40 Prozent der Befragten die
SPD, 2018 waren es nur noch 25.
Davon profitiert haben aber nicht die Grünen – sondern die Unionsparteien,
die von rund 28 auf rund 43 Prozent anstiegen. Die Grünen haben sogar an
Sympathien verloren: Nur rund 10 Prozent präferierten die Partei 2018 – 3
Prozentpunkte weniger als noch zwei Jahre zuvor. Doch wirklich belastbare
Zahlen sind auf diesem Feld rar, und die untersuchte Gruppe ist extrem
heterogen.
Die Grünen präsentieren sich als Gegenentwurf zu Rechtsruck und AfD. Das
macht sie eigentlich attraktiv, etwa für die Aktivistin, Autorin und
Anti-Rassismus-Trainerin Tupoka Ogette. Die Grünen hätten sich schon lange
auf die Fahne geschrieben, die Partei zu sein, die sich für Minderheiten
einsetze, sagt sie. „Aber es kann nicht nur ein Anspruch nach außen
formuliert werden – es muss auch nach innen gelebt werden.“ Ogette ist
schon lange Mitglied bei den Grünen. Sie habe sich aber nie aktiv
eingebracht, sagt sie; ihr erster Besuch bei einem Treffen habe sie
„abgeschreckt“: „Die Runde war komplett weiß, ich habe mich da nicht
wiedergefunden.“
## Erste Schwarze Vizepräsidentin – „reicht nicht“
Solche Menschen gebe es viele, sagt [4][Aminata Touré, grüne
Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein]. „Deswegen müssen wir uns jetzt
selbstkritisch mit unseren Strukturen und unserer Aufstellung
auseinandersetzen. Das wird ein Stück weit auch wehtun.“
Die Grünen waren die erste Partei, die mit Cem Özdemir einen Politiker mit
Migrationshintergrund an der Spitze hatte. Mit Aminata Touré sitzt jetzt
die erste Schwarze Frau im Landtag von Schleswig-Holstein, und zwar als
Vizepräsidentin. „Mich dort zu haben reicht aber nicht“, sagt Touré. „W…
Grüne müssen People of Color personell repräsentieren, wir müssen diese
Perspektiven aber auch programmatisch mit aufnehmen.“
Die neu eingesetzte AG Vielfalt besteht aus 25 Personen aus Bundesvorstand,
Bundestag, den Ländern und der Basis – darunter neben Agena und Touré auch
Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, die Bundestagsabgeordnete Filiz
Polat, Jens Parker von Queergrün und Katrin Langensiepen, die einzige Frau
im Europaparlament mit einer sichtbaren Behinderung.
Bis November 2020 soll die mit einem eigenen Budget ausgestattete AG
strukturelle Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt erarbeiten und diese auf
der Bundesdelegiertenkonferenz vorschlagen. Ogette begleitet den Prozess
als rassismuskritische Beraterin. Dass die Partei dabei nicht nur einzelne
Personen konkret fördern, sondern an die Strukturen heran will, nennt
Ogette einen „Schlüsselpunkt“.
## Finanzplan für die Vielfalt
Was genau am Ende herauskommen soll, ob Quoten, Zielvereinbarungen,
Erhebungen oder ganz andere Mittel, darauf will sich noch niemand
festlegen. Die Arbeit gehe ja gerade erst los. Es gehe auch um Ressourcen,
sagt Katrin Langensiepen. Um etwa Menschen mit Behinderung zu unterstützen,
müssten barrierefreie Räume gemietet oder Dolmetscher*innen gebucht werden.
„Am Ende des Tages reden wir also auch über die Finanzierung von Kreis- und
Ortsverbänden“, sagt Langensiepen.
Die Grünen sind die erste Partei, die sich auf Bundesebene so konkret mit
der fehlenden Vielfalt in den eigenen Reihen beschäftigt. Bei null anfangen
müssen sie derweil nicht – dank des Berliner Landesverbands. Der hat 2017
einen Antrag beschlossen mit dem Titel: „Plural nach vorne.
Gesellschaftliche Vielfalt in unserer Partei fördern“.
Nun gibt es einen Diversity-Rat und eine Antidiskriminierungsstelle – und
eine Zielvereinbarung: Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund
unter den Berliner Funktionsträger*innen soll dem in der Hauptstadt
entsprechen, also etwa 31 Prozent. Bis Herbst 2019 wollen die Berliner
Grünen 15 Prozent erreichen.
Ob das klappt, muss sich noch zeigen. Klar ist: Ohne Bunt-Grün hätte es
diesen Prozess niemals gegeben. Das Netzwerk von BPoC (Black and People of
Color) hat sich 2013 innerhalb der Landespartei gegründet, weil ihnen die
Perspektive auf Diskriminierung und Rassismus als Querschnittsthema fehlte
– in der Umwelt- und Klimapolitik, der Wohnungspolitik oder der
Sozialpolitik.
Beim Feminismus haben die Grünen es geschafft, dass dieser sich durch ihr
gesamtes Programm zieht. Im Europawahlprogramm gab es Forderungen nach
einer feministischen Außenpolitik oder danach, den digitalen Wandel
feministisch zu gestalten. Bei rassistischer Diskriminierung ist das noch
nicht der Fall.
Bunt-Grün hat lange dafür gestritten, das zu ändern. „Es ist, wie Gandhi
sagte: Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann
bekämpfen sie dich und dann gewinnst du“, sagt Deniz Yıldırım,
Co-Sprecherin des Netzwerks. Der Beschluss „Plural nach vorne“ sei ein
„Meilenstein“, die vereinbarte Zielgröße eine der „wichtigsten
Vereinbarungen“, deren Umsetzung man genau beobachten werde. Yıldırım sagt
aber auch, dass sich schon viel verändert habe. „Wenn wir heute das Thema
Rassismus in die Diskussion tragen, dann wird das nicht mehr abgewiegelt.
Das ist ein großer Schritt.“
Dass es diesen Prozess ohne Bunt-Grün nicht gegeben hätte, weiß auch Werner
Graf, Co-Vorsitzender des Landesverbands. Und er gesteht ein, dass die
Aktivist*innen es nicht leicht hatten. „Wenn es um Fragen von Teilhabe und
Macht geht, dann klatschen nicht alle nur in die Hände“, sagt er. Auch im
nun anstehenden bundesweiten Prozess erwartet er Auseinandersetzungen.
Wichtig sei aber, dass am Ende etwas stehe, das von Dauer sei.
Das fordert auch Yıldırım. Sie begrüßt, dass die Initiative diesmal vom
Bundesvorstand ausgeht und so an Gewicht gewinnt – auch über die Grünen
hinaus. „Es ist wichtig, dass die Parteien da vorangehen“, sagt sie. Auch
sie rechnet mit Gegenwind, Fragen und Diskussionen. „Diese Reibung
auszuhalten und mutig zu bleiben, das muss der Bundesvorstand schaffen.“
5 Sep 2019
## LINKS
[1] /CDU-Politiker-ueber-Kenia-in-Sachsen/!5623586
[2] /Gruene-Jugend-Sprecherin-im-Interview/!5133138
[3] /Ein-Podcast-von-People-of-Color/!168802/
[4] /Gruene-Aminata-Toure-ueber-junge-Politik/!5603371
## AUTOREN
Dinah Riese
## TAGS
Bündnis 90/Die Grünen
Vielfalt
Leben mit Behinderung
People of Color
Doku
Landesantidiskriminierungsgesetz
Feminismus
Cem Özdemir
Cem Özdemir
Schleswig-Holstein
Grüne
Kenia-Koalition
Schwerpunkt Landtagswahlen
Schwerpunkt Fridays For Future
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