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# taz.de -- Sprache und Rassismus: Von wegen elitär
> In Deutschland wird über die Frage diskutiert, ob Antirassismus elitär
> sei. Das ist eine unerträgliche Frage.
Bild: Politikerin Aminata Touré findet Antirassismus mehr als zumutbar
Was darf man heutzutage noch sagen? Ein [1][Zeit-Artikel in der vergangenen
Woche] begann mit der Überschrift: „Wie war noch mal das korrekte Wort?“
Darunter stand: „Immer mehr Menschen sind unsicher, was sie noch sagen
dürfen und was nicht. Kein Wunder, sagt Eva Marie Stegmann. Unsere
Debattenkultur ist elitär und schließt viele aus.“ Das Ganze wurde mit
einem Bild eines Schokokusses garniert, der angematscht war.
Ich, Schwarz, 27 Jahre Rassismuserfahrungen, [2][erste afrodeutsche
Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtags, Abgeordnete für die
Grünen] und unter anderem zuständig für das Thema Antirassismus muss erst
einmal tief durchatmen bei dieser Kombination aus Bild und Überschrift.
Debatten darüber, was man tatsächlich noch sagen darf und was nicht,
verkennen, dass Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und viele
weitere menschenverachtende Ideologien, die oft ineinandergreifen, da sind.
Sie sind ein sehr hör- und sichtbares Problem. Organisiert in Parteien wie
der AfD, aber – unorganisiert – leider auch in der Mitte der Gesellschaft.
In Deutschland kann man alles sagen, was man möchte. Es gibt aber Kontra,
wenn es rassistisch wird. Das ist Teil der Meinungsfreiheit. Dass der
Widerspruch zu rassistischen Aussagen zunehmend hör- und sichtbarer wird,
ist eine extrem gute Entwicklung. Das hängt damit zusammen, dass wir, die
wir von Rassismus betroffen sind, lauter werden.
## Man kann Dinge erklären
Aber fangen wir von vorn an. Es gibt diskriminierungsfreie Begriffe, die
nicht alle Menschen kennen. Das ist der einzige Punkt, dem ich in dem
Zeit-Artikel zustimmen kann. Es gibt akademische Begriffe. Sie müssen an
Orten erklärt werden, an denen sie nicht tagtäglich benutzt werden. Ich
erlebe es oft bei Veranstaltungen, dass eine gute Moderation unbekannte
Begriffe erklärt. Online sieht es anders aus. Jemand benutzt Begriffe wie
„PoC“ oder „BIPoC“ – Black/Indigenous/People of Color. Es bedeutet
Schwarze, Indigene und Menschen, die nicht weiß sind.
Wie ich es herausgefunden habe, als ich die Begriffe noch nicht kannte? Ich
habe den Browser geöffnet, Google angeschmissen, die Wörter eingegeben, und
gleich das erste Suchergebnis hat mir erklärt, was es bedeutet.
Sprache ist kompliziert und sagt oft etwas über den Status einer Person
innerhalb einer Gesellschaft aus. Das haben wir allerdings nicht nur bei
Antirassismus, sondern überall.
Viele Menschen setzen voraus, dass ihr Umfeld sich genauso gut mit ihrem
Expert*innenwissen auskennt, wie sie selbst. Wer kennt das nicht? So
verhält es sich auch [3][bei diskriminierungsfreier Sprache]. Viele
Menschen, die sich zu diesen Themen äußern, sind Expert*innen, auch in
ihrer Sprache.
## Es geht nicht nur um Sprache
Es geht aber um viel mehr als um Sprache. Sie ist ein Teil der Forderung im
Kampf gegen Rassismus. Wir wollen, dass Menschen nicht mehr auf Grund ihrer
Herkunft, Religion oder Hautfarbe Nachteile in allen relevanten
Lebensbereichen haben.
Dieses Jahr habe ich eine Antirassismuskonferenz veranstaltet, an der über
500 wissende und unwissende Personen teilgenommen haben. Die Workshops
waren von Expert*innen, zum Schluss gab es eine Diskussion mit allen
Teilnehmenden. Da wurden die unterschiedlichsten Fragen gestellt, und wir
haben sie gemeinsam diskutiert.
Anderes Beispiel: Bei uns im Parlament ist Tag der offenen Tür und Tausende
sind zu Besuch. Irgendwann entsteht eine Traube von Menschen um mich herum.
Ein 70-jähriger Mann fragt, was am N-Wort problematisch sei. Ich erkläre
ihm Kolonialismus, Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen und dass daher
auch dieser Begriff stammt. Dass es nicht nur um das lateinische Wort
„schwarz“ geht. Dass der historische Kontext entscheidend ist. Er guckt
mich an, nickt langsam und beginnt zu verstehen. Viele stellen Fragen, ich
beantwortete sie.
Dieser 70-jährige Mann steht nicht im Verdacht, ein urbanes Leben mit
regelmäßigen antirassistischen Workshops mit BIPoCs zu besuchen und wird
vielleicht auch gar nicht wissen, was das bedeutet. Das ist auch nicht so
relevant. Er hat für sich mitgenommen, dass er das N-Wort aus seinem
Wortschatz streichen kann, den Begriff BIPoC gar nicht kennen muss, aber
einfach Schwarze Menschen sagen kann, zu Menschen wie mir.
## Antirassismus ist Basisarbeit
Unsere Erwartungshaltung ist nicht, alle akademischen Begriffe zu kennen,
sondern keine rassistischen zu benutzen. Ich bin glückselig, weil es der
Grund ist, weshalb ich Politik mache. Vermitteln, antirassistische Politik
gestalten und mit Menschen aushandeln, wie wir zusammenleben wollen.
Diese Arbeit mache nicht nur ich. Seit über dreißig Jahren gibt es zwei
[4][große Schwarze Organisationen]. Adefra (Schwarze Frauen in Deutschland)
und ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland). Neben ihnen gibt es
viele andere, die täglich Aufklärungsarbeit für die gesamte Gesellschaft
sowie Selbstermächtigungsarbeit für Schwarze Menschen leisten. Each One
Teach One, Kollektiv – afrodeutscher Frauen*, Tupoka Ogette, Natasha Kelly,
Alice Hasters und viele mehr.
Deshalb ist es vermessen, zu behaupten, es sei elitär. Es ist Arbeit an der
Basis, und wir leisten dieser Gesellschaft damit auch einen großen Dienst.
Wir verteidigen die Verfassung. Diese besagt, dass man ein Anrecht auf ein
rassismusfreies Leben hat.
Immer noch Tag der offenen Tür im Landtag, ich auf dem Weg nach Hause. Eine
Familie geht neben mir her. Sie reden abfällig über Schwarze Menschen,
benutzen Worte, die die Autorin der Zeit im Eingang ihres Artikel kess
wieder zur Disposition für die gesamte Gesellschaft stellt, was man noch
sagen darf und was nicht. Nicht die Sorte Mensch, die unwissentlich und aus
keiner bösen Absicht bestimmte Begriffe benutzt. Sie machen es bewusst und
in Anwesenheit einer Schwarzen Person. Für diese Menschen sind Menschen wie
ich nicht Ihresgleichen. Sie besitzen nicht einmal die Scham, es laut zu
sagen, so dass ich es höre.
Die Erwartungshaltung von Menschen, die sagen, man solle alles sagen
dürfen, ist also, dass wir aushalten müssen, dass Menschen rassistische
Begriffe benutzen und sie bloß nicht damit konfrontieren, weil sie sonst
die AfD wählen?
Ich glaube nicht. Ich glaube, Menschen sind lernfähig, selbst wenn sie 70
Jahre alt sind. Und wenn sie es nicht sind, dann werden die den Widerspruch
zu hören bekommen. Weil es wiederum unser Recht ist, rassismusfrei zu
leben – auch in der Ansprache. Das sichert uns das Grundgesetz zu.
3 Dec 2019
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/2019/48/debattenkultur-toleranz-sprachregeln-sensibilit…
[2] /Gruene-Aminata-Toure-ueber-junge-Politik/!5603371
[3] /Ueber-Rassismus-reden/!5371808
[4] /Schwarze-Menschen-in-Deutschland/!5645236
## AUTOREN
Aminata Touré
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