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# taz.de -- Die alte Debatte um das N-Wort: Und was ist mit unserer Würde?
> Das N-Wort mag „die Würde“ eines deutschen Landtags nicht verletzen, aber
> es verletzt Menschen. So zu tun, als sei das keine Absicht, ist perfide.
Bild: Hier sehen Sie das Haus, dessen Würde nicht verletzt wurde
Man wird nicht betroffen geboren, man wird betroffen gemacht. Bei mir hat
das nicht lange gedauert. „Blutschande“ hat ein Bekannter zu meinem Vater
gesagt, als er mich als Baby gesehen hat. Ein Kind mit Schwarzer Mutter und
weißem Vater. Ich kann mich an diese Begegnung nicht erinnern, mein Vater
schon. Woran ich mich erinnern kann, sind viele Begegnungen mit dem N-Wort.
Jenes Wort, das, nach einem [1][Urteil des Landesverfassungsgericht
Mecklenburg-Vorpommern], wenn es im Landtag von einem AfD-Abgeordneten
ausgesprochen wird, kein Anlass für einen Ordnungsruf sei, weil es nicht
die [2][„Würde oder die Ordnung des Hauses“] verletze.
Im Kindergarten hat mich ein Mädchen so genannt – es war klar, die wollte
mir nichts Gutes. Auch in der Grundschule haben mich Kinder so genannt, ich
sollte wegbleiben. Sie fühlten sich stark. Erwachsene zischten es mir
manchmal im Bus entgegen. Alkoholisierte Männer brüllten es mir auf der
Straße nach.
Ich kann mich erinnern, dass ich an einem Herbsttag im Hof unseres Wohnbaus
mit meinen älteren Stiefgeschwistern wegrennen musste. Ich war etwa sieben
und rannte so schnell ich konnte. Die warmen Tränen schossen mir dabei in
die Augen. Eine Gruppe älterer Kinder hatte sich vor mir aufgebaut, mich so
genannt, gelacht. Meine Schwester hat dem Lautesten kurzerhand Matsch ins
Gesicht geworfen. Dann rannten wir. Das war nicht das erste und nicht das
letzte Mal, dass meine beiden Geschwister mich vor Fremden in Schutz nehmen
mussten. Wir wussten, wieso die mich so nannten, ohne viel darüber zu
sprechen.
## Es geht um die Wirkung
Auch später als Erwachsene hörte ich dieses Wort noch – auf der Straße, in
der Bar, in der U-Bahn. Manchmal schossen mir noch die Tränen in die Augen.
Betroffenheit allein politisiert nicht. Ich komme aus keiner
Akademikerfamilie. Lange Zeit fehlte mir das Vokabular und das Wissen, das
es braucht, um rassistische Zustände zu benennen. Ich wusste nicht, wie ich
mit diesem Wort umgehen sollte. Ich war wütend und hilflos, ich habe es
ignoriert und darüber gelacht. Ich habe es gesagt und geschrieben, und ich
habe mich entschieden, es nicht mehr zu tun.
Denn irgendwann habe ich verstanden, dass jedes Mal, wenn dieses Wort
irgendwo steht, es wiederum anderen als Legitimation dient, es weiter zu
benutzen. Es ist nur ein Wort, ja, aber dieses Wort wird dazu benutzt,
Schwarze Menschen herabzuwürdigen. Es wird von Weißen gesagt, um sich
überlegen zu fühlen. Das alles mag die „Würde oder Ordnung des Hauses“ in
Mecklenburg-Vorpommern nicht verletzen, aber es verletzt Menschen in diesem
Land. So zu tun, als wäre das keine Absicht, ist nicht mehr nur ignorant –
es ist perfide.
Wörter haben Macht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wer meine Mutter
heute wäre, wenn sie nie verbalen Rassismus erlebt hätte. Ihr Leben wäre
grundlegend anders verlaufen; mein Leben wäre grundlegend anders verlaufen.
22 Dec 2019
## LINKS
[1] /Urteil-zum-N-Wort-in-Landtagsdebatte/!5651968
[2] https://www.mv-justiz.de/static/MVJ/Gerichte/Landesverfassungsgericht/Entsc…
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Minority Report
AfD Mecklenburg-Vorpommern
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Diversität
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