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# taz.de -- Urteil zum N-Wort in Landtagsdebatte: Kontext ist alles
> Ein AfD-Politiker erhielt wegen wiederholter Verwendung des N-Wortes
> einen Ordnungsruf. Unzulässig, meint das Landesverfassungsgericht.
Bild: Der Landtag von MV: Von außen schön, drinnen sorgt die AfD für die üb…
Es gibt keine Sprechverbote. Wer das bislang nicht glaubte, kann sich in
einem aktuellen Urteil des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern
eines besseren belehren lassen. Dort hatte der Vorsitzende der Fraktion der
AfD, Nikolaus Kramer, gegen einen Ordnungsruf geklagt, der ihm wegen
wiederholter Verwendung des N-Wortes in einer Landtagsdebatte erteilt
worden war.
Das Gericht beschloss nun, [1][dass der Ordnungsruf des Landtagspräsidiums
gegen die Landesverfassung verstoße]. Die beanstandete Vokabel sei nicht
geeignet, Würde und Ordnung des Parlaments zu verletzen. Das implizite
Verbot, das N-Wort auszusprechen würde hingegen das Rederecht des
Abgeordneten verletzen.
Der ausführlichen Begründung des Urteils sind Auszüge aus dem
Plenarprotokoll beigelegt, die relativ klar die abwertende Verwendung des
N-Worts durch Kramer belegen. Die rassistische Herabwürdigung im
Landtagsplenum kann durchaus einen Ordnungsruf rechtfertigen – das sieht
auch das Verfassungsgericht so. Jedoch ist in dem summarischen Ordnungsruf,
der erst zwei Sitzungen später erteilt wurde, genau die konkrete Verwendung
nicht beanstandet worden. Dazu hätte nach Ansicht des Gerichtes auch
gehört, dass die tatsächlich in der Sitzung stattfindende Diskussion um die
vorherige Verwendung des Wortes getrennt hätte betrachtet werden müssen.
Schließlich sei es dort notwendig gewesen, auszusprechen, worum es
eigentlich ging.
Statt dessen wird der Kontext im Ordnungsruf nur knapp angesprochen und
erklärt: „Wenn ein Abgeordneter ein solches Wort in einer öffentlichen
Sitzung des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern verwendet, muss er sich
über dessen Konnotation bewusst sein. Vor diesem Hintergrund erteile ich
Ihnen, Herr Kramer, einen Ordnungsruf.“
## Fruchtlose Sophisterei
Insgesamt sieht das Verfassungsgericht hier den Versuch, die Verwendung
eines einzelnen Wortes generell zu unterbinden, was es nachvollziehbarer
Weise zurückweisen muss. „Auch polemische Ausdrücke müssen grundsätzlich
hingenommen werden, wenn sie in den Kontext einer inhaltlichen politischen
Stellungnahme eingebettet sind“, erklärt das Gericht und stellt klar, dass
ein Wort nur dann verbannt werden könnte, wenn es „in jedem denkbaren
Kontext ausschließlich der Provokation oder der Herabwürdigung anderer
dienen kann.“ Womit deutlich gemacht wird, dass praktisch kein Wort denkbar
ist, welches generell verboten werden könnte. Spätestens in einer
Metadebatte, ob nun wissenschaftlich oder politisch, über die Verwendung
einer Vokabel, wäre die Verwendung derselben zu gestatten. Soweit, so
banal.
Leider lässt die Formulierung des Ordnungsrufes die Tür zu dieser wenig
fruchtlosen juristischen Sophisterei weit offen. Und das
Landesverfassungsgericht geht gern hindurch. Kann es so doch den
Tunnelblick in aller Schärfe auf den Text richten und dabei selbst den
Kontext ignorieren. Da wäre zunächst der Tagesordnungspunkt, in dem das
N-Wort zunächst fiel. Es bestehen wohl kaum Zweifel, dass die AfD die
Debatte „Leistungsmissbrauch verhindern: Sachleistungen für Asylbewerber
und Ausreisepflichtige“ zum Zweck der Provokation und Herabwürdigung
Anderer beantragte.
Und auch [2][Nikolaus Kramer ist kein Unbekannter]. Auch wenn er nach
Einschätzung von Experten nicht unbedingt zu den größten Provokateuren der
AfD gehört, sorgten [3][ein SS-verherrlichendes Chatbild] oder in einem
Interview geäußerter beiläufiger Sexismus doch für eine klare Einordnung
seiner politischen Einstellungen. Am Ende geht das Gericht aber sogar
soweit, zu erklären: „Darauf, inwieweit die Äußerungen des Antragstellers
im Einzelnen zu Recht beanstandet werden könnten, kommt es nicht an.“
Daraus lässt sich zweierlei lernen. Zunächst ganz offensichtlich, dass die
sinnvolle gesellschaftliche Ächtung der Verwendung bestimmter Worte nicht
in ein juristisch haltbares Verbot übersetzt werden kann (und sollte).
Außerdem wird deutlich, dass der Kampf gegen den [4][Rassismus, der in der
AfD seine offenste Vertreterin gefunden hat], nicht mit Ordnungsrufen zu
gewinnen ist. Die tiefe Menschenverachtung zum Publikumsgaudi in die Welt
zu posaunen – dafür wird jede Bühne benutzt. Parlamente, Talkshows, Social
Media, egal, Hauptsache Öffentlichkeit. Da hilft am Ende wohl nur eins:
Licht aus und Vorhang.
20 Dec 2019
## LINKS
[1] https://www.mv-justiz.de/static/MVJ/Gerichte/Landesverfassungsgericht/Entsc…
[2] /AfDler-in-Mecklenburg-Vorpommern/!5479873
[3] /AfD-Fraktionschef-in-Erklaerungsnot/!5479316
[4] /Baseballschlaegerjahre-in-Ostdeutschland/!5642847
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
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