| # taz.de -- Rechtsextremismus und AfD: AfD als Matrjoschka-Puppe | |
| > Es wird darum gerungen, wie man das rechte Projekt um die AfD | |
| > charakterisieren soll – etwa konservativ, populistisch oder rechtsextrem. | |
| > What’s right? | |
| Bild: Im Inneren der AfD agieren Rechtsextreme | |
| Dieses Jahr wurden bei [1][Kassel] und in [2][Halle] Menschen von | |
| Rechtsterroristen ermordet – darunter ein Politiker. In Thüringen ziehen es | |
| Teile der Partei, für die dieser Politiker aktiv war, in Erwägung, die | |
| Regierungsverantwortung mit Björn Höcke zu teilen, der über ein [3][„groß | |
| angelegtes Remigrationsprojekt“ mit „wohltemperierter Grausamkeit“ | |
| nachdenkt.] | |
| Die letzten Monate haben verdeutlicht, dass von rechten Kräften eine Gefahr | |
| sowohl für Leib und Leben als auch für die Demokratie ausgeht. Während die | |
| Gesellschaft insgesamt offener wird, drängen Rechte auf eine radikale | |
| Umkehr dieser Entwicklung. Der Sozialwissenschaftler Sebastian Friedrich | |
| spricht hier von der [4][„Formierung eines rechten Projekts“]. | |
| Darum, wie die Akteure dieses Projekts bezeichnet werden sollten, wird | |
| heftig gerungen. Mittlerweile darf man Gerichtsurteilen zufolge Björn Höcke | |
| als einen Faschisten, den „Flügel“ als „immer extremistischer“ und die | |
| ganze AfD als „rechtsextremistisch“ bezeichnen. Doch nur weil eine | |
| Bezeichnung erlaubt ist, ist sie nicht unbedingt analytisch sinnvoll. Wie | |
| also sollten die Akteure des rechten Projekts bezeichnet werden? | |
| Politisch rechts ist nach dem italienischen Philosophen Norberto Bobbio, | |
| wer sich an Tradition und Hierarchie orientiert sowie Ungleichheit zwischen | |
| Menschen als natürlich und erhaltenswert erachtet. Dies gilt für die AfD | |
| und ihr Umfeld in aller Deutlichkeit. Rechts in diesem allgemeinen Sinne | |
| sind jedoch viele politische Akteure – auch Union und FDP wollen | |
| Ungleichheiten erhalten, wenn auch anders als die AfD. Daher muss man die | |
| Art, auf die die AfD rechts ist, genauer fassen. | |
| ## Volk gegen Elite | |
| Gern würde die Partei ihre Art des Rechtsseins als „bürgerlich-konservativ�… | |
| bezeichnet wissen. Dieser Ausdruck passt jedoch nicht zur Beschwörung einer | |
| „Wende 2.0.“, in der die bestehenden Verhältnisse grundlegend transformiert | |
| werden sollen. Das Wort „reaktionär“ charakterisiert die rückwärtsgewand… | |
| Umwälzungsfantasien besser, ist aber zu vage und eher ein politischer | |
| Kampfbegriff als eine brauchbare Kategorie. | |
| Mit dem Begriff „völkischer Nationalismus“ wird eine im Deutschland des | |
| späten 19. Jahrhunderts entstandene, romantische und ethnische Form des | |
| Nationalismus bezeichnet, die für Teile des rechten Projekts prägend ist – | |
| aber eben nur für Teile. Verständlich ist der Begriff vor allem für eine | |
| fachlich informierte Teilöffentlichkeit. So trägt der Begriff nur bedingt | |
| dazu bei, dass die von der rechten Formierung ausgehende Gefahr sichtbar | |
| wird. Zudem handelt es sich um einen spezifisch deutschen Begriff, der für | |
| ein international in ähnlicher Weise verbreitetes Phänomen nur bedingt | |
| sinnvoll ist. | |
| „Rechtspopulismus“ ist nach wie vor die gängigste Kategorie zur Einordnung | |
| der AfD und verwandter Parteien. In der Wissenschaft herrscht weitgehende | |
| Einigkeit darüber, dass der Kern des Populismus in einer Entgegensetzung | |
| von „gutem Volk“ und „korrupten Eliten“ besteht. Rechtspopulismus | |
| unterscheidet sich dabei vom Linkspopulismus dadurch, dass das „gute Volk“ | |
| ethnisch-kulturell exklusiv bestimmt wird. Es steht außer Frage, dass die | |
| AfD so charakterisiert werden kann. Ob sie damit aber auch sinnvoll | |
| bezeichnet ist, hängt vom Kontext ab. | |
| Für die Verwendung des Populismusbegriffs spricht, dass er es ermöglicht, | |
| eine politische Konjunktur zu erklären, nämlich den „populistischen Moment�… | |
| ([5][Chantal Mouffe]) oder „populistischen Zeitgeist“ ([6][Cas Mudde]). | |
| Diese Ausdrücke verweisen darauf, dass Bedingungen vorherrschen, aufgrund | |
| derer zahlreiche politische Parteien und Bewegungen Erfolge feiern, die | |
| teils unterschiedliche politische Ziele verfolgen, sich aber in der Art | |
| ihrer Mobilisierung ähneln. | |
| ## Rechtsradikalismus als Konsens | |
| Jedoch hat der Begriff Schwächen: Das Wort „Populismus“ wird in der | |
| öffentlichen Debatte als inhaltlich fast beliebiger Kampfbegriff verwendet, | |
| der kaum mehr bedeutet als „irgendwie unseriös“. Zudem ist der | |
| Populismusbegriff nur bedingt geeignet, die Aspekte sichtbar zu machen, | |
| aufgrund derer Parteien wie die AfD die Demokratie gefährden. | |
| Die Gefährdung geht in erster Linie nicht davon aus, dass sie populistisch | |
| sind, sondern davon, dass sie gegen Minderheiten agitieren und auf eine | |
| autoritäre Ausrichtung der Gesellschaft hinwirken. Das führt dazu, dass der | |
| in der wissenschaftlichen Analyse mitunter sinnvolle Populismusbegriff in | |
| der politischen Öffentlichkeit eher zu einer Verharmlosung der so | |
| bezeichneten Akteure beiträgt. | |
| Um solche Verharmlosung zu vermeiden, plädiert der [7][Soziologe Matthias | |
| Quent] dafür, die Aktivitäten der AfD und ihres Umfelds als | |
| „Rechtsradikalismus“ zu kategorisieren – womit er im Einklang mit dem | |
| Großteil der internationalen Parteienforschung ist. Tatsächlich hebt dieser | |
| Begriff den gängigen Definitionen zufolge genau die Aspekte des rechten | |
| Projekts hervor, von denen eine besondere Gefahr ausgeht: den | |
| Nationalismus, die Herabwürdigung von Minderheiten, das | |
| verschwörungsideologische Weltbild und die autoritäre Orientierung. | |
| Diese Merkmale lassen sich an der AfD anhand zahlloser Äußerungen und | |
| Wahlkampfmaterialien aufzeigen. Zudem haben die meisten Menschen eine | |
| Vorstellung davon, was mit Rechtsradikalismus gemeint ist – und diese | |
| Vorstellung kommt der politikwissenschaftlichen Definition recht nahe. | |
| ## Spuren von Rechtsextremismus | |
| Einen Schritt weiter gehen diejenigen, die die AfD unter dem Label | |
| „Rechtsextremismus“ einsortieren, wie es etwa der | |
| [8][Politikwissenschaftler Samuel Salzborn] schon länger tut. | |
| Sowohl den meisten wissenschaftlichen Definitionen als auch dem in der | |
| Öffentlichkeit verbreiteten Verständnis zufolge sollte von | |
| Rechtsextremismus gesprochen werden, wenn sich zusätzlich zu den Merkmalen | |
| von Rechtsradikalismus auch eine Ablehnung von Demokratie und | |
| Rechtsstaatlichkeit, eine Verherrlichung des Nationalsozialismus, eine | |
| Bereitschaft zur Gewaltanwendung, eine Nähe zum organisierten | |
| Rechtsextremismus oder eine offene Artikulation von Rassismus und | |
| Antisemitismus aufzeigen lässt. | |
| Ähnliches gilt für die Begriffe (Neo-)Faschismus und (Neo-)Nazismus. Gegen | |
| eine Kategorisierung der ganzen AfD als rechtsextreme, neofaschistische | |
| oder neonazistische Partei spricht, dass sich entsprechende Positionen in | |
| den offiziellen programmatischen Dokumenten der Gesamtpartei nur in Spuren | |
| finden. Dasselbe gilt auch für die regelmäßig geleakten internen Papiere | |
| und Korrespondenzen des Vorstands. | |
| Ein Vergleich mit Dokumenten der NPD zeigt bei der AfD ein Bekenntnis zu | |
| den demokratischen Institutionen, das deutlich über das zur taktischen | |
| Täuschung der wehrhaften Demokratie notwendige Minimum hinausgeht. | |
| ## Die Macht des Flügels | |
| Jedoch haben sich in der Hülle des Parteiprogramms rechtsextreme Kräfte | |
| eingenistet, die in der Partei mittlerweile eine dominante Position | |
| erlangen konnten. Der „Flügel“ muss im oben genannten Sinne als | |
| rechtsextrem bezeichnet werden – hier finden sich zahlreiche Äußerungen, | |
| die verdeutlichen, dass man auf ein ethnisch homogenes Deutschland und den | |
| Bruch mit den demokratischen Institutionen zielt. | |
| Seit dem Sommer 2019 scheinen Versuche, den Einfluss dieser Kräfte | |
| einzuhegen, eingestellt zu sein, und Alexander Gauland bezeichnet Höcke als | |
| [9][„die Mitte der Partei“]. So muss sich die AfD die Positionen der | |
| Flügel-Politiker insgesamt zurechnen lassen. | |
| Beim [10][Bundesparteitag in Braunschweig] zeigte sich deutlich, dass gegen | |
| den Flügel in der AfD keine Entscheidungen mehr getroffen werden können, | |
| seine deutlichsten Gegner fielen bei der Vorstandswahl durch. | |
| ## Am Kipppunkt | |
| Die AfD erweist sich als Matrjoschka-Puppe: Im Innern sitzen rechtsextreme | |
| Kräfte, die [11][„Selbstverharmlosung“] (Götz Kubitschek) betreiben, indem | |
| sie sich fürs Erste hinter rechtsradikalen Kräften verstecken. Diese | |
| wiederum verbergen sich hinter einer bürgerlich-konservativen | |
| Selbstdarstellung, aus der heraus sie Koalitionsofferten an die Union | |
| machen. Damit hat die AfD im Widerspruch zum eigenen Parteiprogramm den | |
| Kipppunkt von einer rechtsradikalen Partei mit einer starken rechtsextremen | |
| Strömung hin zu einer rechtsextremen Partei erreicht. | |
| Freilich macht es einen Unterschied, ob eine Partei wie „Der [12][III. Weg“ | |
| in Deutschland] oder die „Goldene Morgenröte“ in Griechenland mit | |
| militareskem Pomp und offener Verachtung für Menschenwürde, Demokratie und | |
| Rechtsstaatlichkeit durch die Straßen zieht oder ob sie sich wie die AfD | |
| Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf die Fahnen schreibt, dabei aber | |
| entscheidende Gehalte der liberalen Demokratie ablehnt und in ihrem Innern | |
| von rechtsextremen Kräfte dominiert wird. | |
| Dieser Unterschied sollte berücksichtigt werden, ohne zu verdrängen, dass | |
| rechtsextreme Kräfte den Takt in der AfD angeben. Jedoch zeigt gerade | |
| dieser Vergleich, dass die AfD gefährlicher ist, als die NPD je war: | |
| Während Letztere immer eine marginalisierte Splitterpartei blieb, hat die | |
| AfD mittlerweile erhebliches politisches Gewicht, das in den nächsten | |
| Jahren nicht geringer werden dürfte. | |
| 10 Dec 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Verbindungen-des-Luebcke-Moerders/!5634545 | |
| [2] /Antisemitismus-nach-dem-Halle-Anschlag/!5642816 | |
| [3] /Essay-rechte-Netzwerke/!5602141 | |
| [4] http://www.bertz-fischer.de/afd3/pdf/afd3_einleitung.pdf | |
| [5] /Chantal-Mouffe-ueber-Demokratie/!5538435 | |
| [6] /Debatte-Je-suis-Charlie/!5024247 | |
| [7] /Rechtsextremismusexperte-ueber-Mordfall/!5604268 | |
| [8] /Antisemitismus-in-der-AfD/!5346882 | |
| [9] /AfD-bei-der-Thueringen-Wahl/!5636399 | |
| [10] /AfD-Parteitag-in-Braunschweig/!5645685 | |
| [11] https://uebermedien.de/41948/die-afd-will-harmlos-wirken-die-medien-muesse… | |
| [12] /Rechtsextreme-Demo-in-Fulda/!5556396 | |
| ## AUTOREN | |
| Floris Biskamp | |
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