Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rechtsextremismusexperte über Mordfall: „Das ist die Generation …
> Matthias Quent hält den Mord an Politiker Walter Lübcke für eine Zäsur.
> Er warnt, dass sich terroristische Strukturen weiterentwickeln könnten.
Bild: Mit Gewalt erfolgreich Politik machen: Neonazi in Rostock-Lichtenhagen, 2…
taz: Herr Quent, ein [1][Neonazi steht unter Verdacht], den Kasseler
Regierungspräsidenten Lübcke erschossen zu haben. Haben wir es hier mit
einer neuen Qualität des Rechtsterrorismus zu tun?
Matthias Quent: Wenn das alles so stimmt, wonach es derzeit aussieht, dann
haben wir den ersten vollendeten Mordanschlag auf einen Politiker durch
radikale Rechte seit 1945. Das ist eine neue Dimension. Gleichzeitig war
der Rechtsextremismus auch vorher schon tödlich. Die Gefahr betraf aber
eher Migranten, Obdachlose, Geflüchtete, Linke. Die Zäsur betrifft also das
Opfer, nicht die Gewalttätigkeit.
Noch gibt es nach Aussage des Generalbundesanwalts keine Anhaltspunkte für
eine rechtsterroristische Vereinigung, schnell ist wieder von einem
möglichen Einzeltäter die Rede. Was halten Sie davon?
Es muss jetzt genau geprüft werden, ob der Täter bei der Tat Unterstützung
hatte, wie er an die Waffe gekommen ist, ob da rechtsradikale Netzwerke
eine Rolle gespielt haben. Zudem hat er ja schon zahlreiche Straftaten
begangen.
Unabhängig von der Tatbegehung muss man aber sagen, dass sich niemand im
luftleeren Raum radikalisiert. Der Täter soll ja 2016 an die AfD gespendet
und sich auf YouTube auch an entsprechenden Debatten beteiligt haben, er
hat also auch aktuell Kontakte in das rechtsradikale Milieu. Die
Vorstellung, dass man einen Politiker umbringen will, fällt ja nicht vom
Himmel, davor stehen die entsprechenden Diskurse.
Welche Rolle spielt dabei die AfD?
Einerseits ist die AfD auch ein Symptom für die Radikalisierung. Stephan
E., den Tatverdächtigen, könnte man ja als Schläfer bezeichnen, der schon
vor vielen Jahren im Sinne des Rechtsradikalismus massiv straffällig
geworden ist und jetzt wieder zur Tat geschritten sein könnte.
Ähnlich ist es ja bei der AfD und ihrer Wählerschaft. Auch diese Leute sind
nicht über Nacht zu Rechten geworden. Sie waren schon vorher da. Das ist
die erste Ebene. Die zweite ist das Agieren von Personen wie Björn Höcke,
die gewaltverstärkend und gewaltlegitimierend wirken können, wenn sie zum
Beispiel eine kommende Katastrophe herbeireden, gegen die man sich jetzt
mit extremen Mitteln wehren muss.
Wie hat sich die Gefahr von rechtsextremer Gewalt und rechtsextremem Terror
seit dem NSU entwickelt?
Die Gefahr hat zugenommen, insbesondere durch die Radikalisierung des
öffentlichen Diskurses. Es sind im Bundestag Begriffe sagbar und im
Feuilleton Dinge lesbar, die früher dem Neonazi-Milieu vorbehalten waren.
Das führt zu Legitimationseffekten und auch der Wahrnehmung, man müsse
jetzt endlich handeln.
Und wie haben sich rechtsextremen Strukturen entwickelt?
Das Spektrum hat sich ausdifferenziert, einerseits gibt es das Milieu der
Neonazis, die schon in den 1990ern aktiv waren, in Verbindung mit klassisch
neonazistischen Organisationen wie Combat 18 und der Rechtsrockszene
beispielsweise.
Dann gibt es wie in Chemnitz oder Freital im Kontext von asylfeindlichen
Diskursen neue Tätertypen, die sich sehr schnell radikalisieren. Und wir
haben zum Beispiel in Christchurch im März dieses Jahres gesehen, dass sich
auch Leute im Spektrum der Neuen Rechten, der Identitären sehr schnell
radikalisieren können.
Haben die Sicherheitsbehörden den Rechtsextremismus ausreichend im Blick –
und die richtigen Lehren aus dem NSU gezogen?
Ja und nein. Auf der Bundesebene, in der Bundesanwaltschaft und beim BKA
hat es ein Umdenken gegeben. Auf der Landesebene aber scheint man weniger
sensibilisiert zu sein, das haben in den vergangenen Jahren verschiedene
Fälle gezeigt.
Der mutmaßliche Täter Stephan E. ist der gleiche Jahrgang wie Uwe Mundlos,
einer der Täter des NSU. E. ist wohl auch in den 80er und 90er Jahren
politisch sozialisiert worden – als es eine massive Welle rechter Gewalt
gab. Spielt das eine Rolle?
Ja, das ist die Generation NSU. Da kommt, nach allem, was man weiß, auch
Stephan E. her. Sie haben die Erfahrung von Rostock-Lichtenhagen und der
Einschränkung des Asylrechts gemacht, dieses: Mit Gewalt kann man
erfolgreich Politik machen.
Wir haben heute eine ganz ähnliche Situation: Wir haben Einschränkungen im
Asylrecht, die mit Gewalt, mit Straßenprotesten hervorgerufen oder
zumindest begleitet wurden. Wir haben in den 1990er gesehen, dass zumindest
die Massengewalt sich auf zwei oder drei Jahre beschränkt hat, dass sich
die radikalisierten und terroristischen Strukturen danach aber
weiterentwickelt haben. Und es ist zu befürchten, dass das wieder passiert.
19 Jun 2019
## LINKS
[1] /Toedlicher-Schuss-auf-Walter-Luebcke/!5600568
## AUTOREN
Sabine am Orde
## TAGS
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Neonazis
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Schwerpunkt AfD
Enver Simsek
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
Lesestück Recherche und Reportage
IG
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
Schwerpunkt Rechter Terror
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rechtsextremismus und AfD: AfD als Matrjoschka-Puppe
Es wird darum gerungen, wie man das rechte Projekt um die AfD
charakterisieren soll – etwa konservativ, populistisch oder rechtsextrem.
What’s right?
Gedenkbaum in Zwickau abgesägt: Die Geschichte von Enver Şimşek
Irgendwer hat einen Gedenkbaum für ein NSU-Opfer entfernt. Lasst uns diese
Leute ignorieren. Lasst uns lieber über die Opfer sprechen.
Gedenkkundgebung für Walter Lübcke: Empathie kommt von links
Auf einer Kundgebung in Berlin kritisieren Linke die Hetze von Erika
Steinbach gegen Walter Lübcke. Der CDU werfen sie vor, ihren Feind links zu
suchen.
Rechtsradikaler unter Mordverdacht: Der unauffällige Typ von nebenan
Einst war Stephan E. als militanter Neonazi polizeibekannt. Dann geriet er
in Vergessenheit. Nun ist er des Mordes tatverdächtig.
Tödlicher Schuss auf Walter Lübcke: Das Problem heißt nicht RAF
140 Todesopfer rechter Gewalt gibt es seit 1993. Dennoch verweisen nach der
Tötung von Lübcke viele auf die 70er. Der Bezug ist geschichtsvergessen.
Ermittlungen zur Tötung von Lübcke: Kommunalpolitiker beunruhigt
Sie engagieren sich gegen rechts und wurden dafür bedroht. Nun sind
Kommunalpolitiker wegen des rechten Tatverdächtigen im Fall Lübcke besorgt.
Kommentar zum Fall Walter Lübcke: Das muss ein Wendepunkt sein
Immer wieder wird auch bei schwerster rechtsextremer Gewalt gezögert, das
Wort Terrorismus in den Mund zu nehmen.
Tödlicher Schuss auf Walter Lübcke: Das Fanal
Jetzt ermittelt Karlsruhe im Fall Lübcke. Der Verdächtige war bereits als
rechter Gewalttäter bekannt – und hatte der AfD Geld gespendet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.