| # taz.de -- Tödlicher Schuss auf Walter Lübcke: Das Fanal | |
| > Jetzt ermittelt Karlsruhe im Fall Lübcke. Der Verdächtige war bereits als | |
| > rechter Gewalttäter bekannt – und hatte der AfD Geld gespendet. | |
| Bild: Tatort Wolfhagen-Istha: Walter Lübcke wurde in seinem Haus in dem hessis… | |
| Wiesbaden/Berlin taz | Am Montag sitzt Stephan E. weiter in U-Haft, in der | |
| JVA Kassel I. In der Nacht zu Samstag war der 45-Jährige unter „dringendem | |
| Tatverdacht“ [1][von Spezialeinheiten der Polizei in Kassel festgenommen | |
| worden]. Er soll es gewesen sein, der vor zwei Wochen Walter Lübcke | |
| erschossen hat, den Regierungspräsidenten von Kassel, einen CDU-Mann. Und | |
| er ist es, der dem Fall nun eine neue Wendung gibt. | |
| Denn Stephan E. hat eine einschlägige Vita: Schon 1993 verübte er nach | |
| taz-Informationen einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim im hessischen | |
| Hohenstein-Steckenroth. In einem Auto hatte er eine Rohrbombe versteckt, | |
| den Pkw vor der Unterkunft in Brand gesetzt. Bewohner konnten den Brand | |
| rechtzeitig löschen. | |
| E. blieb der rechtsextremen Szene und der Gewalt treu: Noch am 1. Mai 2009 | |
| war er an einem Angriff von gut 300 Neonazis auf eine Dortmunder | |
| DGB-Kundgebung beteiligt. Mit Steinen und Holzstangen gingen sie auf die | |
| Gewerkschafter los. | |
| Nun soll Stephan E. der Mörder von Walter Lübcke sein. Der Todesfall | |
| bekommt damit eine neue Dimension. Denn nun muss über ein rechtsextremes | |
| Attentat an einem Politiker gesprochen werden. | |
| Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni vor seinem Haus in Wolfhagen-Istha | |
| erschossen worden. Der Kopfschuss aus nächster Nähe kam einer Hinrichtung | |
| gleich. Die Polizei hatte zunächst einen Bekannten der Familie | |
| festgenommen, [2][einen Sanitäter, der am Tatort geholfen hatte] – und den | |
| Mann mangels Tatverdacht wieder freigelassen. | |
| ## Beamte ermitteln zum Umfeld des mutmaßlichen Täters | |
| Dann folgte die Festnahme von Stephan E. Offenbar wurde der 45-Jährige über | |
| einen DNA-Treffer auf der Kleidung von Lübcke überführt. In der Wohnung | |
| beschlagnahmten die Ermittler umfangreiches Datenmaterial, auch Waffen | |
| sollen sie gefunden haben. Hatten bis dahin das Landeskriminalamt Hessen | |
| und die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelt, übernahm am Montagvormittag | |
| nun die Bundesanwaltschaft den Fall. | |
| Am Nachmittag bekräftigte ein Sprecher, dass seine Behörde von einem | |
| „rechtsextremistischen Hintergrund der Tat“ ausgehe. Dafür spreche das | |
| Vorleben von Stephan E. und dessen zuletzt wiedergegebenen Meinungen. | |
| Hinweise auf Mittäter oder eine rechtsterroristische Vereinigung gebe es | |
| bisher nicht, so der Sprecher. | |
| Stephan E. selbst schweigt bisher zu den Vorwürfen. Die Ermittler klären | |
| das finale Tatmotiv deshalb derzeit noch ab – und auch das Umfeld von | |
| Stephan E. Was war der konkrete Grund für den Schuss auf Lübcke? Gab es | |
| Mitwisser? | |
| [3][Lübcke war bereits 2015 in den Fokus von Rassistinnen und Rassisten | |
| geraten.] Auf einer Bürgerversammlung hatte der CDU-Mann offensiv für die | |
| Aufnahme von Geflüchteten geworben. Wer mit dieser Hilfsbereitschaft nicht | |
| einverstanden sei, könne das Land ja verlassen, sagte der CDU-Mann. Ein | |
| Video des Auftritts machte die Runde, die rechte Szene bedrohte Lübcke | |
| danach über Monate, auch die frühere CDU-Abgeordnete Erika Steinbach | |
| mischte mit. Ein Blog veröffentlichte die Wohnadresse des 65-Jährigen. | |
| Bisher hatte das LKA Hessen erklärt, hierzu keinen Zusammenhang zu sehen. | |
| Mit der Festnahme von Stephan E. ist nun alles anders. Noch am Montag | |
| beantragte die Opposition im Bundestag eine Sondersitzung des | |
| Innenausschusses. Der Grüne Konstantin von Notz erklärte, nun müsse alles | |
| zu dem Fall „auf den Tisch“. FDP-Mann Konstantin Kuhle forderte: „Schluss | |
| mit dem bürgerlichen Appeasement gegen Rechtsextreme.“ | |
| An der rechtsextremen Vergangenheit von Stephan E. haben die Ermittler | |
| keinen Zweifel. Die Sicherheitsbehörden listeten den 45-Jährigen als | |
| militanten Rechtsextremisten, dort wird er als extrem gewaltbereit, | |
| impulsiv und NPD-nah beschrieben. | |
| Offenbar wurde E. in der rechtsextremen Szene der neunziger Jahre | |
| politisiert – einer Zeit, in der die Szene offen zu Gewalt neigte und auch | |
| das spätere NSU-Trio sich radikalisierte. Als der NSU 2006 in Kassel seinen | |
| neunten Mord an dem Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat verübte, war E. in | |
| der Kassler Neonazi-Szene aktiv. | |
| Dazu passt, dass Stephan E. nach taz-Informationen mit dem Kasseler Neonazi | |
| Stanley R. bekannt ist. Der gilt als prägende Figur des hessischen „Combat | |
| 18“-Ablegers. Das militante Netzwerk machte zuletzt Schlagzeilen, weil | |
| Mitglieder, auch aus Hessen, zu Schießübungen nach Tschechien ausrückten. | |
| Der hessische Verfassungsschutz attestiert der Gruppe eine grundsätzliche | |
| „Waffenaffinität und Gewaltbereitschaft“. | |
| Noch kürzlich soll Stephan E. in einem YouTube-Video gedroht haben, wenn | |
| die Regierung nicht bald handele, werde es Tote geben. Und 2016 spendete er | |
| nach taz-Informationen 150 Euro an die AfD Thüringen. Betreff: „Gott segne | |
| euch“. | |
| ## Hunderte Angriffe gegen Politiker bereits im ersten Quartal | |
| In Hessen reagierte die Politik mit Entsetzen. Dort war Stephan E. bereits | |
| Thema im NSU-Ausschuss gewesen. Die Linken-Fraktionschefin Janine Wissler | |
| sprach von einer „NSU-Nachahmungstat, wenn sich die Berichte bestätigen“. | |
| Die Gefahr des Rechtsextremismus sei in Hessen „konsequent unterschätzt“ | |
| worden. | |
| Der Verfassungsschutz dort habe nach ihrer Kenntnis schon lange von der | |
| hohen Gewaltbereitschaft von Stephan E. gewusst. Auch SPD-Innenexpertin | |
| Nancy Faeser forderte die Behörden auf, „endlich mit der nötigen Härte“ | |
| gegen die Neonazi-Szene vorzugehen. Es sei „mindestens irritierend“, dass | |
| diese ungeachtet der vielen Drohungen gegen Lübcke „immer wieder | |
| verlautbart haben, sie ermittelten im persönlichen Umfeld des Opfers – um | |
| dann anhand einer DNA-Spur doch auf einen behördenbekannten Neonazi als | |
| möglichen Täter zu stoßen“. | |
| Das weckt Erinnerungen an den Fall Henriette Reker. Im Oktober 2015 hatte | |
| der Rechtsextremist und arbeitslose Malergeselle Frank R. der Kölner | |
| Oberbürgermeisterkandidatin ein Messer in den Hals gerammt. Reker | |
| überlebte. Der 45-Jährige hatte seine Tat als Zeichen gegen die „irre“ | |
| Flüchtlingspolitik erklärt – und er war schon in den Neunzigern in der | |
| rechtsextremen Szene aktiv bei der Neonazi-Partei FAP. | |
| Bis zuletzt waren Politiker Angriffen ausgesetzt, in AfD- und | |
| Pegida-Kreisen werden sie als „Volksverräter“ geschmäht. 217 Delikte | |
| zählten Sicherheitsbehörden allein im ersten Quartal 2019. Zuvor hatten | |
| bereits rechtsterroristische Gruppen wie [4][die Oldschool Society, | |
| Nordkreuz oder Revolution Chemnitz Politiker zum Ziel erkoren.] Die drei | |
| Gruppen wurden indes hochgenommen, bevor sie zur Tat schreiten konnten. | |
| 17 Jun 2019 | |
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| Christoph Schmidt-Lunau | |
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