# taz.de -- Kommentar Mord an Kasseler Politiker: Trauern um Walter Lübcke | |
> Im Netz heißt es Hassrede, wo es um Mordfantasien geht. Die Demokratie | |
> kann sich Toleranz gegenüber dieser Form von Hetze nicht mehr leisten. | |
Bild: Es muss möglich sein, um einen ermordeten Politiker tu trauern. Ohne Ang… | |
Für den Tod Walter Lübcke fehlen die Worte. Sie [1][fehlen schon viel zu | |
lange]. Am 2. Juni wurde er vor seinem Wohnhaus erschossen. Sicher, die | |
Hinterbliebenen müssen vor Spekulationen und Hysterie geschützt werden. | |
Niemand sollte und darf eine solche Tat für seine Agenda missbrauchen. | |
Andererseits darf über [2][einen politischen Mord] nicht über zwei Wochen | |
betretenes Schweigen gelegt werden, aus Angst, man könnte die Falschen | |
beschuldigen. | |
Es ist der Tod eines Menschen, der sich ins politische Leben und in diese | |
Gesellschaft eingebracht hat. Es ist der Tod eines Mannes, der für die | |
Werte des Grundgesetzes einstand, ein Spitzenbeamter, der in schwierigen | |
Zeiten von allen Rückgrat verlangte. Es wäre wichtig gewesen, Lübcke zu | |
würdigen und seinem Tod Platz einzuräumen – trotz der offenen Fragen. | |
Man kann bei einem politischen Mord (und allem Anschein nach war es ein | |
politischer Mord) nicht zwei Wochen für die öffentliche Trauer auf Stand by | |
schalten, nur um keine falschen Debatten auszulösen. Vor allem wenn die | |
Ursache für die falschen Debatten schon an sich untragbar ist: Drohungen, | |
die Menschen über sich ergehen lassen müssen, wenn sie sich in diesem Land | |
für Nächstenliebe und die Umsetzung des geltenden Asylrechts starkmachen. | |
Die „Schonfrist“ für die öffentliche Aufarbeitung gilt meist insbesondere | |
dann, wenn rechtsextreme Milieus nicht vorschnell beschuldigt werden | |
sollen. Angeblich um die Spaltung der Gesellschaft nicht voranzutreiben. | |
Demokratie kann sich Geduld dieser Art nicht leisten. Jeder politische Mord | |
erfordert umgehend Parteinahme und Schutz, ganz gleich welche Motive noch | |
zu ergründen sind. Als am 16. Juni 2016 die britische Politikerin Jo Cox | |
ermordet wurde, gestattete sich Großbritannien zu trauern, auch wenn die | |
Hintergründe noch offen waren. Ihr Mörder galt zunächst lediglich als | |
psychisch gestört. Im Nachhinein wurden Verbindungen in die Neonaziszene | |
bekannt. | |
## Im Netz härter durchgreifen | |
Der Mord an einem Politiker muss die Möglichkeit, zu trauern, umgehend | |
anbieten. Stattdessen blieb tagelang Raum für Spekulationen. Rechtsradikale | |
konnten in aller Ruhe darüber entscheiden, ob sie nun mögliche Spuren | |
verwischen, vergangene Hass-Posts löschen – oder in Anbetracht des Todes | |
noch ihren Zynismus in die Öffentlichkeit tragen wollen. Bundespräsident | |
Frank-Walter Steinmeier verurteilte das Treiben in den sozialen Netzwerken | |
als Erster: „zynisch, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig.“ Er | |
wünsche sich mehr öffentliche Diskussion und Empörung. Man könnte sich auch | |
ein härteres Durchgreifen der Sicherheitsbehörden wünschen, die ihre | |
Rechte, private Gespräche zu belauschen, immer weiter ausbauen, zugleich | |
aber bei öffentlichen Foren kaum Durchsetzungskraft zeigen. | |
Das Internet ist keine Parallelwelt, in der andere Gesetze gelten. Im | |
Internet spricht man von Hassrede, als gäbe es keine Straftaten, sondern | |
nur Gefühle, die geäußert werden. Über solche Hassreden soll sich die | |
Öffentlichkeit korrektiv empören. Dabei handelte es sich bei einigen der | |
Kommentare um die Verunglimpfung des Andenkens Toter, auf die bis zwei | |
Jahre Haftstrafe drohen. | |
Das postmortale Persönlichkeitsrecht wurde zutiefst verletzt, nachdem schon | |
zu Lebzeiten die Persönlichkeitsrechte Lübckes angegriffen wurden. Der | |
Schutz von Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben stehen, muss in | |
Zeiten der Digitalisierung neu gedacht werden. Einzelne Zitate werden aus | |
dem Kontext herausgerissen und online verbreitet, mit dem einzigen Ziel, | |
[3][Feindbilder zu kreieren], gegen die Rechstradikale sich als Opfer | |
inszenieren können. Auch von Lübcke war ein Video im Umlauf, das | |
Rechtsradikale online stets so deuteten und kontextualisierten, dass Lübcke | |
scheinbar zu jenen zählte, die eher das eigene Volk auslöschen würden, als | |
die Grenzen zu schließen. Wer sich künftig in Bürgerforen den hitzigen | |
Debatten vor Ort stellt, wird diese Ereignisse im Hinterkopf haben. | |
Im Internet spricht man von Hassreden, wo es um Mordfantasien geht. Im | |
Internet spricht man von Zynismus, wo einem christdemokratischen Politiker | |
– nachdem er das Christentum und die Grundwerte auch auf Flüchtlinge | |
angewandt wissen wollte – mit dem Tod gedroht wird. Durch das Internet | |
finden solch krude Thesen über Menschen in gewaltbereite Netzwerke. Eine | |
Demokratie, die immer auch vom Einsatz der Demokratinnen und Demokraten | |
lebt, kann sich Toleranz gegenüber dieser Form von Hetzte nicht mehr | |
leisten. Nicht zu Lebzeiten eines Menschen. Und erst Recht nicht nach ihrem | |
Tod. | |
17 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jagoda Marinić | |
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